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Stadt und Krankenkasse müssen Dronabinol für die Behandlung einer Schmerzpatientin aus Oldenburg nicht bezahlen

Nach einem Zeitungsbericht der Nordwest-Zeitung muss weder die Stadt Oldenburg noch die Krankenkasse einer Schmerzpatientin die Kosten für Dronabinol erstatten. Die Zeitung berichtete über ein Urteil vom 14. Februar wie folgt:

„Das Urteil ist ein schwerer Schock für Frau D.: Die Stadt Oldenburg muss nicht länger ihre Medikamente bezahlen. Das entscheidet das Sozialgericht Oldenburg am 14. Februar. Die monatlich 450 bis 500 Euro für das Dronabinol soll die Schwerbehinderte nun alleine von ihren 364 Euro Grundsicherung zahlen. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Bei ihrer Geburt hatte die heute 37-jährige Oldenburgerin zu wenig Sauerstoff bekommen, das zentrale Nervensystem wurde geschädigt. Seitdem leidet sie unter einer so genannten spastischen Tetraplegie: Sowohl Beine als auch Arme sind bis zur Unbeweglichkeit verkrampft. Ohne ihren Elektrorollstuhl kann sich Frau D. nicht bewegen. Morgens braucht sie fünf Stunden für Waschen und Anziehen. Nachts durchschlafen kann sie nicht. Die starken Schmerzen machen sie immer wieder wach. Bis sie Dronabinol bekommt. Dronabinol ist ein vollsynthetisch hergestellter Wirkstoff, der einem Bestandteil der Hanfpflanze nachgebaut wird. 2003 verschreibt ihr die Psychotherapeutin Dr. Ulrike Bretschneider erstmals das Medikament. [Anmerkung Dr. Grotenhermen: Dronabinol ist ein anderer Name für Delta-9-THC, ein Wirkstoff der Cannabispflanze, der aus der Pflanze extrahiert oder auch synthetisch hergestellt werden kann.]
Bereits nach zwei Tagen wird die Wirkung deutlich: Frau D. braucht morgens nur noch zwei Stunden für Waschen und Anziehen. Sie kann auf dem Therapiedreirad fahren, läuft sogar kleine Strecken an Unterarmstützen. Nachts schläft sie endlich wieder durch. Dronabinol ist das erste Medikament, durch das Frau D. Linderung erfährt.
Für diese Wirkung muss Frau D. zwischen fünf und zehn Milligramm Dronabinol, das sind zwei bis vier Kapseln, am Tag einnehmen. Wenn es zum Beispiel kalt ist, hat sie stärkere Schmerzen und muss mehr Kapseln schlucken.
Das Problem: In Deutschland ist es nicht für die Behandlung von Spastiken zugelassen. Der Wirkstoff darf nur in Ausnahmesituationen verschrieben werden, so bei Multipler Sklerose und für Krebs- oder Aids-Patienten im Endstadium. [Anmerkung Dr. Grotenhermen: Auch bei multipler Sklerose muss Dronabinol von der Krankenkasse nicht erstattet werden, bei Krebs oder Aids nur in seltenen Ausnahmefällen.] Ein Medikament mit ähnlicher Wirkung gibt es jedoch nicht.
Ein würdiges Leben ohne Dronabinol kann sich Frau D. nicht mehr vorstellen. Geistig ist sie nicht behindert: Die junge Frau, die gerne liest und am liebsten Kammermusik hört, bekommt klar und deutlich mit, wie sehr die Behinderung sie einschränkt.
Die Auseinandersetzung mit der Stadt Oldenburg in den vergangenen Monaten hat sie stark mitgenommen. Zuvor hatte sie der jahrelange Rechtsstreit mit ihrer Krankenkasse, den sie letztendlich auch verlor, bereits viel Kraft gekostet. Frau D. leidet unter Depressionen, zieht sich immer mehr zurück, sieht keine Chance mehr auf ein schmerzärmeres Leben. Ihre Ärztin diagnostiziert eine hohe Suizidgefahr.
Auf Grund der akuten Lebensgefahr beantragt ihr Rechtsanwalt, Alfred Kroll, noch einmal eine einstweilige Anordnung beim Sozialgericht. Das beschließt am 15. April, dass zwar nicht die Stadt, wohl aber ihre Krankenkasse, die Techniker, die Kosten für das Medikament wieder übernehmen muss.
Frau D. kann aufatmen. Aber nur kurz: Denn der Beschluss ist lediglich vorläufig. Die Techniker Krankenkasse äußert sich grundsätzlich nicht zu laufenden Verfahren. Doch Rechtsanwalt Kroll geht davon aus, dass sie Beschwerde einlegen. Damit stände Frau D. wieder am Anfang. ‚Wir haben große Sorge, dass die Gerichte den Fall genauso betrachten wie damals.‘
Damals endete der Rechtsstreit damit, dass die Techniker Krankenkasse die Kosten für die Medikamente wieder zurückfordern konnte: Im Mai 2006 belief sich der Betrag bereits auf 10 242,21 Euro. Wie hoch er nun, fünf Jahre später, sein würde, mag Rechtsanwalt Kroll erst gar nicht ausrechnen. ‚Die Summen kann Frau D. niemals zurückzahlen.'“

https://www.nwzonline.de/Region/Stadt/Oldenburg/Artikel/2590796/Starke-Schmerzen-werden-wieder-Alltag.html

(Quelle: Nordwest-Zeitung vom 28. April 2011)

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