Am 7. Dezember 2012 wurde das Urteil im Verwaltungsrechtstreit zwischen dem MS-Patienten Michael F. aus Mannheim gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), wegen Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis zu therapeutischen Zwecken gesprochen. Kurz vor Weihnachten 2012 wurde die Begründung des Oberverwaltungsgerichts Münster bekannt gemacht.
Zunächst die schlechte Nachricht: Die Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, der Patient und Kläger könne auch Dronabinol verwenden, das die gleiche Wirksamkeit wie Cannabis besitze, obwohl Herr F. deutlich gemacht hat, dass Dronabinol und Cannabis nicht die gleiche Wirksamkeit besitzen. Im Urteil heißt es dazu: „Dem Kläger steht aber, nachdem die AOK Rhein-Neckar-Odenwald mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Übernahme der Kosten für das Arzneimittel „Dronabinol“ erklärt hat, nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ein gleich wirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung“ (Seite 20 des Urteils).
Und nun die gute Nachricht: Alle anderen vom BfArM vorgetragenen Argumente gegen den Eigenanbau von Cannabis durch Patienten für medizinische Zwecke wurden vom Gericht zurückgewiesen. So heißt es zusammenfassend auf Seite 33 des Urteils: „Für den Fall der – belegten – unzureichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf durch die AOK Rhein-Neckar-Odenwald dürfte der vom Kläger beantragte Eigenanbau von Cannabis für seine medizinische Versorgung notwendig und geeignet sein. Die Versorgung des schwer kranken Klägers mit Cannabis dürfte in diesem Fall notwendig sein, da eine alternative erschwingliche Therapiemöglichkeit nicht verfügbar wäre.“
10 Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Münster
* Gerichtliche Feststellung Nummer 1: Bei einer Ablehnung der Kostenübernahme für die Selbstmedikation mit Cannabisblüten aus der Apotheke durch seine Krankenkasse, wird Herrn F. nicht zugemutet, die Kostenübernahme vor dem Sozialgericht zu erstreiten.
** Zitat aus dem Urteil: „Sollte die AOK den Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für Medizinalhanf erneut – etwa wegen fehlender Erkenntnisse zu dessen Zulassungsstatus, Wirksamkeit und Sicherheit – ablehnen, dürfte es dem schwer kranken Kläger nicht mehr zumutbar sein, ein weiteres Mal den sozialgerichtlichen Klageweg zu beschreiten. Es liegt nicht In der Hand des Klägers, die rechtlichen Rahmenvorgaben für die Zulassung von Medizinalhanf als weiterer Behandlungsalternative zu schaffen. Der Kläger ist auch ersichtlich nicht in der Lage, die monatlichen Kosten für Medizinalhanf in Höhe von ca. 400 EUR aus seiner geringen Erwerbsunfähigkeitsrente von etwa 890 EUR monatlich zu bestreiten. Fehlt aber eine erschwingliche Behandlungsalternative, kommt die – im Ermessen des BfArM stehende – Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis in Betracht.“ (Seiten 26/27)
* Gerichtliche Feststellung Nummer 2: Von einem Patienten können nicht die Anforderungen wie von pharmazeutischen Firmen hinsichtlich der Qualifikation der für den Umgang mit Betäubungsmitteln verantwortlichen Personen verlangt werden.
** Zitat aus dem Urteil: „Der Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis dürften keine zwingenden Versagungsgründe nach § 5 Abs.1 BtMG entgegen stehen. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken modifiziert anzuwenden sind. § 5 Abs.1 BtMG ist – ebenso wie §§ 6, 7 BtMG – ersichtlich nicht auf Privatpersonen zugeschnitten, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren. Nachdem aber nach § 3 Abs. 2 BtMG auch für diese Personen die Erteilung einer Erlaubnis in Betracht kommt, ist § 5 Abs. 1 BtMG modifiziert anzuwenden. Einerseits ist der Schutzzweck der Vorschrift zu beachten, andererseits darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, dass die Erteilung einer Erlaubnis an Privatpersonen, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren, praktisch ausscheidet oder unzumutbar erschwert wird.“
* Gerichtliche Feststellung Nummer 3: Von einem Patienten, der einen Antrag auf Eigenanbau stellt, kann kein abgeschlossenes Hochschulstudium der Pharmazie oder Medizin verlangt werden.
** Zitat aus dem Urteil: “ Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BtMG wird der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln, die keine Arzneimittel sind, durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln erbracht. Diese (strengen) Voraussetzungen dürfte der Kläger zwar offensichtlich nicht erfüllen. Da aber auch § 6 BtMG auf die Fallgestaltung des privaten Eigenanbaus von Cannabis aus therapeutischen Gründen modifiziert anzuwenden ist und dem Betroffenen die Erteilung der Erlaubnis nicht unzumutbar erschwert werden darf, spricht Überwiegendes dafür, dass auch auf andere Weise eine sachkundige Betreuung sichergestellt werden kann. Dabei käme zum einen in Betracht, den Hausarzt des Klägers, Dr. B… als Verantwortlichen zu benennen. Dass eine Bereitschaft des Hausarztes Dr. B… zur Übernahme entsprechender Pflichten nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren. Dort hatte der Kläger bereits mit Schriftsatz vom 30. Mai 2007 darauf hingewiesen, dass sich sein Hausarzt Dr. B…zur Unterstützung bereit erklärt habe. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger aufgrund des jahrelangen – nach § 34 StGB gerechtfertigten – Eigenanbaus von Cannabis selbst bereits weitreichende Sachkenntnis gerade hinsichtlich der von ihm verwendeten Cannabissorte angeeignet hat. Abgesehen davon kann das BfArM gemäß § 6 Abs. 2 BtMG im Einzelfall auch von den in Absatz 1 genannten Anforderungen an die Sachkenntnis abweichen, wenn die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen gewährleistet sind. Das BfArM dürfte das ihm zustehende Ermessen bislang noch nicht ausgeübt haben, da es das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BtMG zu Unrecht verneint hat.“ (Seiten 27/28)
* Gerichtliche Feststellung Nummer 4: Das BfArM darf auch hinsichtlich der Anforderungen an die Räumlichkeiten bei Patienten nicht die gleichen Anforderungen stellen wie an pharmazeutische Unternehmen.
** Zitat aus dem Urteil: „Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG dürfte nicht vorliegen. Nach Dieser Vorschrift ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnehme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind. Wer am Betäubungsmittelverkehr teilnimmt, hat die Betäubungsmittel, die sich in seinem Besitz befinden, gesondert aufzubewahren und gegen unbefugte Entnahme zu sichern (§ 15 Satz 1 BtMG). Das BfArM kann Sicherungsmaßnahmen anordnen, soweit es nach Art oder Umfang des Betäubungsmittelverkehrs, dem Gefährdungsgrad oder der Menge der Betäubungsmittel erforderlich ist (§ 15 Satz 2 BtMG).
Die Vorschrift soll verhindern, zumindest erschweren, dass der illegale Betäubungsmittelhandel sich im Wege des Diebstahls, der Unterschlagung oder der unbefugten Entnahme aus legalen Betäubungsmitteldepots versorgt. Um die Diebstahlsgefahr möglichst gering zu halten, wird der Erlaubnisinhaber deshalb je nach Menge und Gefährdungsgrad der Betäubungsmittel zu besonderen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet. (Vgl. Patzak, In: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 1.)
Das BfArM hat Richtlinien entwickelt, wie Betäubungsmittelvorräte von Erlaubnisinhabern nach§ 3 BtMG besonders gegen unbefugte Wegnahme zu sichern sind. Diese Richtlinien unterscheiden drei Vorkehrungen (Stand: 1. Januar 2007), und zwar 1. Aufbewahrung in (zertifizierten Wertschutz-)Schränken, 2. Aufbewahrung in Räumen und 3. zusätzliche elektrische Überwachung. (Vgl. Patzak, a. a. 0., § 15, Rn. 2.)
Entgegen der Auffassung der Beklagten dürften diese Richtlinien beim Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung zur medizinischen Eigenbehandlung des Wohnungsinhabers aber keine Anwendung finden. Die Richtlinien sind ebenso wenig wie die Regelung in § 5 Abs. 1 BtMG selbst – nicht auf diese Fallkonstellation zugeschnitten, weil die darin geforderten Sicherungsmaßnahmen (z. B. zertifizierte Wertschutzschränke und -türen) und die hierfür anfallenden Kosten ersichtlich außer Verhältnis zu dem Gefahrenpotential stehen, das die wenigen für die Eigentherapie benötigten Cannabispflanzen bergen. Von Privatpersonen können daher nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen verlangt werden.“ (Seiten 28/29)
* Gerichtliche Feststellung Nummer 5: Das BfArM kann eine Erlaubnis unter der Bedingung an Patienten erteilen, bestimmte Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen.
** Zitat aus dem Urteil: „Dass die dargestellten Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, dürfte das BfArM auch im Berufungsverfahren nicht substantiiert dargelegt haben. Entgegen der Auffassung des BfArM ist auch nicht ersichtlich, warum – auch mit Blick auf § 15 Satz 2 BtMG – eine Erlaubniserteilung unter Auflagen nicht in Betracht kommen sollte. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BtMG kann die Erlaubnis befristet, mit Bedingungen erlassen oder mit Auflagen versehen werden, wenn dies zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Das BfArM könnte daher eine Erlaubnis unter der Auflage, konkrete Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen, erteilen, und damit auch für eine Umsetzung der bislang nur geplanten Sicherheitsvorkehrungen sorgen.“ (Seite 31)
* Gerichtliche Feststellung Nummer 6: Eine Anbaugenehmigung an Patienten gefährdet nicht die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs.
** Zitat aus dem Urteil: „Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG dürfte nicht gegeben sein. Hiernach ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn durch das beantragte Projekt die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet sind.
Die Erteilung einer Anbauerlaubnis geringer Cannabismengen zur therapeutischen
Behandlung einer schweren Krankheit unter ärztlicher Aufsicht verstößt
nicht generell gegen § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG, da eine ärztliche Betreuung die erforderliche
Sicherheit und Kontrolle gewährleisten kann. (Vgl. Patzak, a. a. 0., § 5, Rn. 14 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 – 3 C 17.04-.)
Hiervon ausgehend dürfte ein Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG nicht gegeben sein. Es ist nicht ersichtlich, dass das vom Kläger (in einer überschaubaren Menge) angebaute Cannabis dem illegalen Betäubungsmittelverkehr zugeführt werden könnte. Der Kläger hat substantiiert dargelegt, dass er das angebaute Cannabis zur Eigentherapie benötigt und die geernteten Blüten ausschließlich für den Eigenverbrauch weiter verarbeitet bzw. – im Ausnahmefall nicht benötigte Blüten im Tresor aufbewahrt und die Reste der Pflanzen zu Kompost und Dünger verarbeitet. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des angebauten Cannabis durch den Kläger.“ (Seiten 31/32)
* Gerichtliche Feststellung Nummer 7: Ein Antrag auf Eigenanbau von Cannabis kann nicht mit dem Argument abgelehnt werden, dass selbst angebaute Hanfpflanzen nicht arzneimittelrechtlichen Standards entsprechen.
** Zitat aus dem Urteil: „Zwar hat das BfArM in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 darauf verwiesen, dass ein Betäubungsmittelverkehr zu therapeutischen Zwecken mit Pflanzenteilen, die hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit in keiner Weise arzneimittelrechtlichen Standards entsprechen könnten, weder sicher sein noch wirksam kontrolliert werden könne. Der Senat geht aber in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich der Wirksamkeit und der Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte verfügt. Auch hat der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren klar gestellt, dass der Eigenanbau unter hausärztlicher Kontrolle erfolge. Abgesehen davon dürfte dem Kläger die fehlende konkrete Bestimmung des THC-Gehalts des von ihm angebauten Cannabis nicht anzulasten sein, da diese derzeit aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Das BfArM hat bereits in seinem an das BGM gerichteten Schreiben vom 29. Juni 2010 darauf hingewiesen, dass derartige Untersuchungen von den entsprechenden Einrichtungen nicht ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis durchgeführt werden.“ (Seite 32)
* Gerichtliche Feststellung Nummer 8: Ein Antrag kann vom BfArM auch nicht mit dem Hinweis auf einen möglichen Missbrauch bzw. eine mögliche Abhängigkeit von Cannabis abgelehnt werden.
** Zitat aus dem Urteil: „Auch dürfte der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG nicht gegeben sein. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist.
Kann der Kläger im Falle der fehlenden gleichen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf seine notwendige medizinische Versorgung nur durch den Eigenanbau von Cannabis sicherstellen, dürfte es auch hinzunehmen sein, dass bei dem schwer kranken Kläger inzwischen eine Betäubungsmittelabhängigkeit entstanden ist.“ (Seiten 32/33)
* Gerichtliche Feststellung Nummer 9: Eine Erlaubnis an Patienten darf nicht versagt werden, weil in Deutschland keine Cannabisagentur besteht, die von dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe verlangt wird.
** Zitat aus dem Urteil: „Entgegen der Auffassung der Beklagten dürfte die Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 BtMG mit der Begründung versagt werden können, die Erlaubniserteilung verlange nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBI II, S.111; im Folgenden: ÜK1961) die Einrichtung einer Cannabis-Agentur, die aber nicht geplant sei. Gemäß § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis (u, a.) versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen entgegensteht. Einer Entscheidung zu Gunsten des Klägers dürfte aber das ÜK 1961 nicht entgegen stehen. Zum einen bringt das ÜK 1961 in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mal 2005 – 3 C 17.04 -, a. a, 0.; Patzak, a. a. 0., § 3, Rn. 77.)
Zum anderen finden – entgegen der im Schreiben vom 30. Juli 2010 vertretenen Auffassung des INCB – Art. 28 Abs. 1, 23 ÜK 1961, die bei einer Erlaubniserteilung für den Anbau von Cannabis die Errichtung einer staatlichen Stelle vorsehen, auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Die Bestimmungen sind nach ihrem Sinn und Zweck auf den Fall der Erlaubniserteilung an eine Einzelperson zu therapeutischen Zwecken nicht anwendbar. Gestattet eine Vertragspartei den Anbau von Cannabis zur Gewinnung von Cannabis oder Cannabisharz, so errichtet sie, wenn dies nicht bereits geschehen ist, und unterhält eine oder mehrere staatliche Stellen zur Wahrnehmung der in diesem Artikel vorgesehenen Aufgaben (Art. 28 Abs. 1 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 ÜK 1961). Ausweislich der in Art. 23 ÜK 1961 geregelten Aufgabenzuteilung spricht aber Überwiegendes dafür, dass der „Stelle“, die in der BRD als Cannabis-Agentur eingerichtet würde, nur die Kontrolle über den großflächigen Anbau von Cannabis obliegt und jedenfalls der vorliegende Einzelfall des Eigenanbaus von maximal 24 Cannabispflanzen, die aus therapeutischen Zwecken zum absehbaren Eigenverbrauch gedacht sind, ersichtlich nicht erfasst ist. So bezeichnet etwa die Stelle die Gebiete und Landparzellen, auf denen der Anbau von Cannabis gestattet wird (Art. 23 Abs. 2 a) ÜK 1961) und kauft, nachdem alle Anbauer von Cannabis die gesamte Ernte abgeliefert haben, die geernteten Mengen und nimmt sie körperlich in Besitz (Art. 23 Abs. 2 a) ÜK1961). Für eine derartige Vorgehensweise dürfte im vorliegenden Fall keine Veranlassung bestehen. Der Kläger verbraucht das von ihm – in einer überschaubaren Menge – angebaute Cannabis unmittelbar nach der Ernte zu therapeutischen Zwecken. Abgesehen davon hätte die Einrichtung einer Cannabis-Agentur im vorliegenden Fall die geradezu absurde Folge, dass der schwer kranke Kläger, wäre er mangels Behandlungsalternative auf die ständige Verfügbarkeit des von ihm angebauten Cannabis sativa angewiesen, die von ihm geerntete (verhältnismäßig geringe) Cannabisernte an die Cannabis-Agentur verkaufen müsste, um sie sodann zurück zu erwerben. Wie zudem die praktische Abwicklung einer derartigen Prozedur dem in Mannheim wohnhaften und durch seine Krankheit an die Wohnung gebundenen Kläger innerhalb eines zumutbaren zeitlichen Rahmens möglich sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht.“ (Seiten 33 – 35)
* Gerichtliche Feststellung Nummer 10: Selbst wenn die Genehmigung zum Eigenanbau den internationalen Drogengesetzen widerspräche, so wäre sie dennoch zu genehmigen, da es höherrangige Normen des Grundgesetzes gibt, die verlangen, Patienten eine bestehende Behandlungsmöglichkeit nicht zu verweigern.
** Zitat aus dem Urteil: „Abgesehen davon erwiese sich eine – wie vom BfArM im Widerspruchsbescheid vom10. August 2010 getroffene – Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 BtMG aber auch bei Annahme eines Verstoßes gegen das ÜK1961 als fehlerhaft. Die Ermessenskontrolle ist zwar ihrer Natur nach eine nachvollziehende Kontrolle, dennoch beschränkt sie sich nicht auf die Suche nach der Berücksichtigung sachwidriger Gesichtspunkte. Eine Ermessensentscheidung ist (auch) fehlerhaft, wenn wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen werden, die zu berücksichtigen gewesen wären. (Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage 2012, § 114, Rn. 12; Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Auflage 2010, § 114, Rn. 178.)
So läge der Fall, wenn das BfArM wie bisher ausschließlich auf im öffentlichen Interesse liegende Gesichtspunkte abstellte und geltend machte, dass eine Verletzung der sich aus dem ÜK1961 ergebenden Pflichten die enge Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit dem INCB belaste. Insoweit dürfte es wesentliche Belange des Klägers außer Acht lassen, die gegen eine Versagung der Erlaubnis sprächen. Das BfArM dürfte konkret die Schwere der Erkrankung des Klägers, die fehlende alternative Behandlungsmöglichkeit und seine hochrangigen Schutzgüter aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu berücksichtigen haben. Ferner dürfte es bei seiner Ermessensausübung mit Blick auf die besondere Notlage des Klägers zu seinen Gunsten zu beachten haben, dass der Kläger selbst die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht beeinflussen kann.“ (Seiten 35/36)