In einem Schreiben vom 28. April 2014 an das Sozialgericht Mannheim gesteht die Bundesopiumstelle ein, dass der Selbstanbau von Cannabis für viele Patienten „scheinbar als einzige Alternative [bleibt], um die medizinische Versorgung sicherzustellen“. In dem Verfahren vor dem Sozialgericht streitet Herr H. mit seiner Krankenkasse um die Kostenübernahme für seine Cannabisblüten im Rahmen einer von der Bundesopiumstelle erlaubten ärztlich begleiteten Selbsttherapie mit Cannabisblüten des Unternehmens Bedrocan.
Das Sozialgericht stellte dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am 1. April 2014 dazu die folgenden Fragen:
„1. Handelt es sich bei den o.g. Präparaten um zulassungspflichtige Fertigarzneimittel oder um zulassungsfreie Rezepturarzneimittel?
2. Falls Ersteres: Liegt zwischenzeitlich eine Zulassung nach deutschem Arzneimittelrecht vor? Falls ja, für welche Indikationsgebiete?
3. Falls Zweiteres: Ist derzeit ein Verfahren zur Anerkennung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode anhängig, die die Therapie mit diesen Präparaten vorsieht?“
In seinem Antwortschreiben der Bundesopiumstelle beim BfArM heißt es:
„Ihre Fragen aus o.g. Schreiben vom 1.4.2014 beantworten wir wie folgt:
zu Frage 1:
Es handelt sich bei den Cannabisprodukten Bedrocan, Bedica, Bedrobinol und Bediol nicht um zulassungspflichtige Fertigarznelmittel oder in Deutschland verschreibungsfähige
Rezepturarzneimittel. Nach hiesiger Kenntnis sind die genannten Cannabisprodukte in den
Niederlanden verschreibungsfähig.
Durch die Aussagen in der Antwort zu Frage 1 wird die Beantwortung der Fragen 2 und 3
überflüssig.
Ergänzende Ausführungen:
Bei den Cannabisprodukten Bedrocan, Bedica, Bedrobinol und Bediol handelt es sich um vier
Sorten von Cannabisblüten, die bezüglich ihres Gehalts der beiden Hauptwirkstoffe, delta-9-
Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), standardisiert sind. Patienten, die im Besitz einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb dieser Cannabisprodukte zum Zweck der ärztlich begleiteten Selbsttherapie sind, können diese Produkte über eine in Deutschland ansässige Apotheke erwerben.
Nach der Rechtsprechung des Bundesrrerwaltungsgerichtes (BVerwG 3 C 17.04, Urteil vom 19. Mai 2005) stellt die Sicherstellung der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung einen im öffentlichen Interesse liegenden Zweck im Sinne des § 3 Absatz 2 BtMG dar.
Die Erlaubnis nach § 3 Absatz 2 BtMG kann für die Therapie eines einzelnen Patienten erteilt
werden, sofern die Behandlung mit dem Betäubungsmittel im Hinblick auf das Krankheitsbild
erforderlich ist und keine Versagungsgründe nach § 5 BtMG vorliegen.
lm Rahmen der Antragsbearbeitung wird geprüft, ob zur Therapie der vorliegenden Erkrankung weitere Therapieoptionen mit zugelassenen oder grundsätzlich verfügbaren Arzneimitteln (z.B. Rezepturarzneimitteln) zur Verfügung stehen. Dies ist im Fallvon Herrn H. nicht der Fall.
Herr H. und die behandelnden Ärzte haben gegenüber der Bundesopiumstelle plausibel gemacht, dass herkömmliche Therapieformen zur Behandlung des (…) nicht ausreichend wirksam waren..
Das Rezepturarzneimitiel Dronabinol (Wirkstoff THC) ist grundsätzlich verfügbar und kann auf einem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Die IKK classic hat die Kostenübernahme für Dronabinol abgelehnt, so dass es Herrn H. wegen der hohen Kosten nicht tatsächlich zur Verfügung steht.
Für Patienten, denen Cannabis oder auch Dronabinol in ihrem speziellen Krankheitsfall
nachweisbar hilft, die beides aber nicht aus eigenen Mitteln finanzieren können, entsteht eine
nahezu ausweglose Situation, die u.U. – wie im Fallvon Herrn H. – darin mündet, die
Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu therapeutischen Zwecken einzuklagen.
Nachfolgende Kaskade wird dabei in der Regel durchlaufen:
1. Zugelassene Fertigarzneimittel sind nicht ausreichend wirksam oder nicht verträglich.
2. Ggf. im Ausland verfügbare und mit Bezug auf § 73 Absatz 3 AMG importierte Fertigarzneimittel sind nicht ausreichend wirksam oder nicht verträglich.
3. Das Rezepturarzneimittel Dronabinol kann auf einem Betäubungsmittelrezept verschrieben
werden. Bei fehlender Kostenerstattung durch die Krankenkassen, d.h. in nahezu allen
Fällen in denen keine unmittelbar lebensbedrohende oder (unbehandelt) tödlich
verlaufende Erkrankung vorliegt, ist Dronabinol aufgrund der hohen Kosten nicht
tatsächlich verfügbar.
4. Die Kosten für Cannabisblüten werden nicht übernommen. Hier gilt Gleiches wie unter
Drittens, wobei zudem wissenschaftlich belastbare lnformationen zur Wirksamkeit der
Cannabissorten Bedrocan, Bedica, Bedrobinol und Bediol nicht vorhanden sind, bzw. sich
auf Einzelfallberichte beziehen.
5. Der Selbstanbau von Cannabis bleibt scheinbar als einzige Alternative, um die
medizinische Versorgung sicherzustellen.
Aus ärztlicher Sicht ist dies ein -im Sinne der adäquaten Patientenversorgung- kaum vertretbarer Zustand. Das qualitativ mit Abstand schlechteste Arzneimittel, nämlich Cannabis aus dem Selbstanbau, verbleibt als einzige Therapieoption, weil die Therapie mit Dronabinol oder Cannabis aus kontrolliertem Anbau nicht finanzierbar und damit auch nicht verfügbar ist.“