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Presseschau: Kiffer erwarten die große Drogen-Revolution (Die Welt)

Die Welt berichtete in einem ausführlichen Beitrag über die weltweiten Veränderungen zur Haltung gegenüber der aktuellen Rechtslage von Cannabis für medizinische Zwecke und den Freizeitkonsum.

Kiffer erwarten die große Drogen-Revolution

Noch nie wurde die Legalisierung von Cannabis so diskutiert wie heute. Mehrere Bundesländer wollen bald selbst Haschisch verkaufen. In Berlin, München und Barcelona warten Menschen auf die Revolution.

Die Zeit ist reif, sagen sie. Es passiert gerade etwas, sagen sie. Es liegt etwas in der Luft. Weltweit. Sagen sie. Und zählen auf: Colorado, Washington State, Uruguay. Sie alle haben in den vergangenen Monaten Cannabis legalisiert. Und wenn es da geht, sagen sie, die Menschen, die für eine Freigabe kämpfen, für die Anerkennung der Droge als Medizin, dann muss es doch auch bei uns gehen. Und deshalb steht, an einem Junivormittag, beobachtet von einem halben Dutzend Kamerateams und Journalisten, eine gut gelaunte Frau vor einem Postkasten in Berlin und hält einen Briefumschlag in die Objektive. Es ist ein gewöhnlicher Umschlag, braunes Umweltpapier, die Adresse wurde in sauberer Handschrift mit einem schwarzen Filzstift aufgetragen.

Bundesinstitut für Arzneimittel und

Medizinprodukte
Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3
53175 Bonn

Ein Brief aus der neuen in die alte Hauptstadt, mit freundlichem Gruß, dessen Inhalt für Schlagzeilen sorgen wird. Denn in dem Umschlag steckt ein Antrag auf die Erlaubnis von reguliertem Verkauf von Cannabis im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Zwei Jahre hat Monika Herrmann, die Bürgermeisterin des Bezirks, daran gearbeitet.

Ihre Revolution ist 25 Seiten dick und passt in einen DIN-A4-Umschlag.

In München steht ein paar Tage später ein Mann in einer Fußgängerzone, verteilt Flyer und Lutscher in grünem Papier. Steht dort, wie seit Wochen schon mit seinem Wohnmobil, und sammelt Unterschriften. Auf Klemmbrettern liegen Kopien eines Papierbogens, der erst Bayern und dann Deutschland verändern soll. Es ist der Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens. „JA! Zur Legalisierung von Cannabis in Bayern als Rohstoff, Medizin und Genussmittel“, steht darauf. Der Mann hinter dem Begehren heißt Vaclav Wenzel Cerveny, er war mal Wirt, Kandidat für den Bayrischen Landtag und ist jetzt, so sagt er es, wenn er eine Gaudi macht, der Robin Hood der Kiffer.

Auch seine Revolution passt in einen DIN-A4-Umschlag.

In Barcelona sitzt derweil einer und wartet. Beobachtet. Die Eingangstür, an der eine Kamera angebracht ist. Wenn Polizisten vor seiner Tür stehen, das weiß der Mann, dann ist etwas schiefgelaufen, dann hat er ein Problem. Der Mann, er nennt sich Alex, beobachtet auch, was überall anders gerade passiert. In Colorado, in Berlin, in München. Weil das Auswirkungen haben könnte. Wenn alles gut geht, wenn die Zeit wirklich reif ist, dann braucht er irgendwann keine Kamera mehr.

Er wartet auf die Revolution.

Drei Menschen in drei Städten, sie kennen sich nicht. Sie haben sich noch nie gesehen, aber sie haben eine Gemeinsamkeit, die seit einiger Zeit ihr Leben bestimmt. Cannabis sativa, Hanf, süßlicher Duft, bewusstseinserweiternde Wirkung durch das in den Blütenständen der weiblichen Pflanzen enthaltene Halluzinogen Tetrahydrocannabinol (THC). Die getrockneten Blüten sind als Marihuana, das Harz als Haschisch bekannt. Medizin seit fast 5000 Jahren, Volksdroge bereits während der ersten Kreuzzüge. Irgendwie immer schon da, ein alter Begleiter der Menschheit, die seit jeher nach dem nächsten High sucht. Fast so alt wie die Droge selbst ist die Debatte darum: bester Freund oder Gefahr?

Cannabis, sagen die einen, kann Flugbegleiter sein auf einer ganz eigenen Reise, die Muse der Kreativen, der Musiker, Künstler, Bob Marley, Keith Richards, 2Pac, der Joint im Breitgrinsen der Inspirierten.

Cannabis, sagen die anderen, kann aber auch der Schlag in die Fresse sein, das andere Gesicht, wenn es sich in den Kopf frisst, die Reise nicht an den Strand geht, sondern in die Abgründe, an deren Boden die Psychosen warten. Einstiegsdroge sowieso.

Die Debatte wird mal hysterisch geführt, mal abgestumpft, im Moment aber ist die Frage nach dem Nutzen und Wagnis der Legalisierung so präsent wie lange nicht. Als Reizwortthema, dessen öffentliche Schlagkraft über die Fraktionsgrenzen hinweg für ein Meinungsgewitter sorgt, für eine Schlacht der Schlagzeilen und Zitate.

„Erster CDU-Politiker fordert Cannabis-Legalisierung“ („Bild“ vom 13. Mai 2015)

„FDP-Mehrheit will Cannabis-Legalisierung“ („Süddeutsche Zeitung“, vom 17. Mai 2015)

„Cannabis-Legalisierung: Die Politik entdeckt das Kiffen“ (Spiegel-Online am 23. Juli 2015)

Die Politik des Wegschauens in Holland

Politiker beginnen zu handeln. In Hamburg, wo die SPD-Altona eine kontrollierte Abgabe plant, aber auch in Bremen, wo der SPD-Bürgermeister Cannabis frei zugänglich machen möchte, als erster Ministerpräsident überhaupt. Eine Kriminalisierung, sagt er, ist nicht mehr zeitgemäß. Unabhängig voneinander sind nun Menschen dabei, die Legalisierung von Cannabis voranzutreiben. Sie wollen die Droge aus der Schmuddelecke holen, sie kämpfen gegen die Stigmatisierung ihrer Konsumenten, gegen einen, wie sie es sagen, großen Quatsch. Sie kämpfen aber auch jeder für sich. Es ist deshalb ein guter Zeitpunkt, sie zu treffen.

Monika Herrmann also, Berlin. Sie empfängt in ihrem Büro an der Frankfurter Allee, Funktionsbauniedrigkeit, Amtstristesse, gut drauf. Monika Herrmann ist bei den Berliner Grünen die Frau für die Debatten. Flüchtlingsdebatte, Homo-Ehen-Debatte und jetzt Cannabisdebatte, sie kämpft gerne. Stellt sich in die erste Reihe, ihre eigene Biografie ist dabei Schild und Angriffsfläche zugleich. Was man über Monika Herrmann weiß, weil man es gerade ständig liest: Sie ist Lesbe, Feministin, Politologin. Und sagt tatsächlich so feine Gendersätze, die Gleichberechtigung auch in den Aufzählungen. Sie sagt dann: Bürgerinnen und Bürger. Touristinnen und Touristen. Sagt sogar CDUlerinnen und CDUler.

Monika Herrmann, die Frau für die Kifferinnen und Kiffer, setzt sich und stellt erst mal klar, bretthartes Neuköllner Idiom¸ worum es nicht geht. Wir machen keen Coffeeshop. Coffeeshop war nur ein Arbeitstitel. Vorbild Amsterdam? Nee, sagt sie. Winkt ab.

In Holland hat der Staat, anders als viele denken, die Droge nie vollständig legalisiert, aber eine Politik des Wegschauens etabliert.

Das Problem in Amsterdam ist, sagt Monika Herrmann, dass man die Droge legal kaufen, aber nicht legal produzieren kann. Sie möchte genau das, die gesamte Kette, von der Produktion bis zum Verbrauch streng regulieren. So steht es auch im Antrag, der nun in Bonn liegt.

Das ist ihr Plan, über den sie in den vergangenen Wochen so viel erzählt hat, dass die Sätze abgenutzt wirken, wie abgespult von einer alten Kassette. Es soll demnach vier offizielle Verkaufsstellen in Friedrichshain-Kreuzberg geben, Suchthilfestellen, Apotheken, Headshops, in denen Menschen legal Gras erwerben können. Gras, das nach Möglichkeit in Berlin oder Brandenburg angebaut werden soll. Monika Herrmann würde es gerne im Hauptstadtgarten in Lichtenberg wachsen lassen, ökologisch wertvoll. Um die Details aber will sie sich erst nach der Genehmigung kümmern.

Wer das Gras kaufen möchte, muss allerdings im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gemeldet sein und sich registrieren lassen, erhält dann eine Zugangsberechtigung mit Lichtbild. Einen Kifferpass. Die Mitgliedschaft ist nicht übertragbar.

Es heißt jetzt immer, sagt sie, die Herrmann fordert die Freigabe und alles wird noch viel schlimmer. Sie lacht, dröhnend, das passiert ihr immer dann, wenn sie sich ungerecht behandelt oder falsch zitiert fühlt. Sie lacht oft in letzter Zeit. Aber, sagt sie dann, wenn man es sich genau anschaut, wollen wir das Gegenteil erreichen. Sie zeigt hinter sich aus dem Fenster, irgendwo dort liegt der Görlitzer Park, stehen die Dealer zwischen den Bäumen, unter den U-Bahnbögen und verkaufen ihr Zeug, Gramm für Gramm. An jeden, der fragt, der die Codes kennt. Dort im Park, sagt sie, das ist doch der freiste Verkauf, der möglich ist, wild.

Der Park ist Synonym geworden für die verfehlte Drogenpolitik der vergangenen Jahre, für einen Kampf, der offenbar nicht zu gewinnen ist, nicht durch polizeiliche Restriktionen, nicht durch Verbote und Sofortverfahren. Der Park ist der Schwarzmarkt, den Monika Herrmann gerne schließen würde, austrocknen, wie sie sagt, weil es eben auch Sumpf ist, Verbrechen. Im Park, sagt sie, kann jeder kaufen. Egal, wie alt. Jeder kriegt, watt er will.

Eine Ware allerdings, deren Zusammensetzung unmöglich zu kontrollieren ist, gestreckt, um den Gewinn zu erhöhen, besprüht oftmals mit Haarspray oder vermengt mit Vogelsand. Das Gramm im Park ist nie ein echtes Gramm, dafür aber nicht selten gefährlich, wie zuletzt in Leipzig, als dort mit Blei versetztes Cannabis in Umlauf kam. Schwerwiegend, lebensgefährlich. Zudem hat die Nachfrage nach dem immer besseren High Grassorten auf den Markt gespült, hochgezüchtet, genetisch verändert, die mit dem einstigen Blumenmädchen-Hasch der Hippies nichts mehr gemein haben.

Sorten wie Silver Haze weisen mitunter einen THC-Gehalt von 22 Prozent auf, dreimal höher als vor 30 Jahren. Heißt also, dass die Kinder aus dem Park heute viel weniger rauchen müssen, um ähnlich high zu werden wie ihre Eltern früher, heißt aber eben auch, dass dieselbe Menge Cannabis heute eine viele stärkere Wirkung entfesselt und damit im Zweifel auch mehr Schaden anrichten kann.

Zumindest gilt es als erwiesen, dass Cannabis im frühen Alter, dem ersten Lebensdrittel, kaum zu stopfende Löcher im Nervenkostüm hinterlassen kann.

Im Urban-Klinikum, wenige Kilometer vom Görlitzer Park entfernt, sind 80 Prozent der Jugendlichen, die wegen Psychosen behandelt werden, regelmäßige Konsumenten von Cannabis.

Ihr geht es nicht um Flowerpower

Mit dieser Schattenseite der Sonnendroge wirbt Monika Herrmann für ihr Projekt. Denn der Park macht zwei Dinge unmöglich, die in ihrem Antrag, in ihrer ganzen Idee der Legalisierung die beiden Säulen bilden. Jugendschutz und Verbraucherschutz. Und das, sagt sie, erreichst du nur über die Kontrolle des Verkaufs.

Es klingt schnell sehr bürokratisch, wenn Monika Herrmann über ihren Legalisierungsversuch spricht. Anträge, Abgabemenge, Registrierung. Einige kritisieren ja, sagt sie, dass wir das zu formalistisch machen. Preußisch fast, die Wochenzeitung „Der Freitag“ schrieb bereits vom Apotheker mit der Pickelhaube. Monika Herrmann, im Park nur zum Joggen, hat selbst noch nie geraucht, trinkt allenfalls mal ein Glas Rotwein. Ihr geht es nicht um das Flowerpower-Ding, freie Drogen, freie Liebe. Ihr geht es um etwas, das nicht in ihrer grünen DNA, sondern in ihrer Herkunft angelegt ist.

Ihre Eltern, Kindheit in Rudow, waren beide Abgeordnete der CDU. Das Elternhaus katholisch, aber viel liberaler, als man es erwarten würde. Sie durfte ihren eigenen Weg gehen und der führte sie irgendwann auf die Straße, in die Frauenbewegung, die Demonstrationen auf dem Kurfürstendamm, zu dem sie natürlich Ku’damm sagt, mitten hinein in ein neues, gerade aufkeimendes Selbstverständnis, der lange Marsch in die Emanzipation. In einem Interview mit einem Frauenmagazin hat sie kürzlich gesagt: Wir brauchen beides, sowohl den Kampf auf der Straße als auch die Leute, die mit klaren Positionen in die Verwaltung gehen.

An diesem Tag in ihrem Büro sagt sie: Das gilt für die gesamte politische Arbeit. Also auch für den Kampf um die Legalisierung von Cannabis, der für sie auch ein Anrennen gegen etwas ist. Auf die Frage, wie sie ihre Chancen einschätzt, antwortet sie nicht sofort.

Die Frage ist, sagt sie dann, machen sie es mit Vernunft oder mit Ideologie?

Denn darum geht es hier auch, um Weltbilder und Weltanschauung, um recht haben und recht bekommen. Sie hat dabei ein paar Zahlen auf ihrer Seite. Ein Viertel der Deutschen hat Erfahrungen mit Cannabis. Die Hälfte der Berliner ist für eine Legalisierung. Ist das nüscht? Aber, sagt Herrmann, das wollen die nicht sehen.

Die. Die anderen. Die Konservativen. So sagt sie es. Und meint damit zum Beispiel Frank Henkel, Innensenator und Landesvorsitzender der Berliner CDU. Henkel ist der Sheriff vom Görlitzer Park, ein Law-and-Order-Mann, der das Dickicht der Dealer roden wollte, die Ärmel hochgekrempelt, die Überzeugung so hart wie die Linie im Kampf gegen die Drogen. An Henkel arbeitet sich Herrmann gerne ab, er mindestens ebenso gerne an ihr. Sie begegnen sich ja auch ständig. Auf dem Oranienplatz, wo es um Flüchtlinge geht, um Schicksale und Menschenwürde. Oder im Abgeordnetenhaus, wo es um die Homo-Ehe geht, um Schicksale auch, Menschenwürde. Ich mag den Kerl, sagt Monika Herrmann, ein Getriebener vielleicht, aber kein Zyniker.

Für ein Treffen zu einem Gespräch über die Legalisierung, den Park, das Cannabis, ließ Henkel ausrichten, habe er gerade keine Zeit. Die Basis der Berliner CDU war kurz davor, über einen Antrag zur Homo-Ehe abzustimmen. Das brauchte seine ganze Aufmerksamkeit Auch da ging es um viel. Um Grenzen und Freiheit. Am Ende stimmte seine Partei dagegen.

So stehen sie sich also gegenüber. Monika Herrmann, die Straßenkampffeministin und Regenbogenlesbe, und Frank Henkel, der die christdemokratischen Werte hochhält. Ehe zwischen Männern und Frauen. Keine Macht den Drogen. Und dabei mitunter so aussieht, als müsste er mit den Überzeugungen seiner Partei auch die alten Anzüge Helmut Kohls auftragen.

In Bayern sind die Strafen am härtesten

Herrmann meint damit aber auch die Bundesregierung, die CDUlerinnen und CDUler. Meint Marlene Mortler, CSU-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Roth/Nürnberger Land und Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Marlene Mortler spricht sich, mit Sätzen wie aus dunklem, schwerem Holz geschnitzt, seit Monaten öffentlich gegen eine Legalisierung aus.

Sie hat noch nie einen Joint geraucht. Sie ist die Tochter eines Hopfenbauern. Ein Umstand, der mittenrein führt in die Volksdrogendebatte. Und raus aus Berlin.

Marlene Mortler wird seit einiger Zeit eine Aussage zugeschrieben, die in den Foren der Hanffreunde gleichsam für Gelächter und Entsetzen sorgte. Alkohol gehört im Gegensatz zu Cannabis zu unserer Kultur. So oder so ähnlich soll sie es gesagt haben. Ein Zitat als Prosit.

Strauß, Stoiber, Seehofer. Man muss viel Fantasie aufbringen, um sich diese Riege älterer Herren mit einem Joint im Mund vorzustellen. Man muss aber nur den Fernseher anmachen, um sie mit Bierkrügen in der Hand zu sehen, die Volksnähe dabei als Schaum vor dem Mund. Eine Inszenierung oft, Apfelschorle im Glas. Aber es geht eben auch um die Macht der Bilder. O’zapft ist, am Abend in der „Tagesschau“.

In Bayern sind der Alkohol und das Bierzelt Teil der Gesellschaft.

In Bayern wird der Anbau und Besitz von Cannabis so unnachgiebig verfolgt wie in sonst keinem Bundesland. Die Strafen hier, die Kontrollen sind härter.

In Bayern gelten 6 Gramm Besitz als geringe Menge und sind offiziell straffrei, in Berlin werden bis zu 15 Gramm toleriert. In Bayern wurde eine Lehrerin, ganze Härte des Gesetzes, jedoch für den Besitz von 0,01 Gramm Marihuana zu einer Geldstrafe von 700 EURo verurteilt. In Bayern kommt man mit 11 Gramm angeblich schon mal neun Monate in Untersuchungshaft.

Medieninteresse XXL

In Bayern hat Vaclav Wenzel Cerveny es auch deshalb geschafft, mehr als 25.000 Unterschriften für ein Volksbegehren zur Legalisierung von Cannabis zu sammeln. Und nebenbei hat er die erste deutsche Cannabis-Messe seit mehr als zehn Jahren organisiert, „Cannabis XXL“. Die Menschen hier, sie nennen ihn nur Wenzel. Oder: den Wenzel, als wäre das ein Titel, den man für besondere Leistungen verliehen bekommt.

Der Wenzel, sagen also die Ordner am Eingang der Cannabis-Messe, der ist hier alles. Chef, Einpeitscher, Anscheißer. Raucht nicht, trinkt nicht, schläft fast nie. Und wenn ihn eine Idee befällt, dann hört er nicht mehr auf, bis er diese Idee verwirklicht hat. Der ist eine Maschine, die nur zwei Schalter kennt. Aus und Vollgas. Ein Besessener, du findest ihn in der Halle.

Dort wird schnell deutlich, dass man mit Cannabis derzeit große Aufmerksamkeit erzeugen kann. In der Halle: Medieninteresse XXL. Der Wenzel steht dort umringt von Journalisten, im Aufnahmelicht einer ZDF-Kamera, später kommen auch noch die Kollegen von RTL; „Bild“ und „Süddeutsche“ sind schon da. Und der Wenzel erzählt jedem, der ein Mikrofon dabeihat, seine Geschichte, die jetzt auch ein Teil der Cannabis-Geschichte in Deutschland ist.

Wenig später lässt er sich in einen dunklen Sessel fallen und sagt: Natürlich muss man bekloppt sein, um das zu machen. Und dann erzählt der Wenzel, wie der Wenzel zum Cannabis gekommen ist. Er, geboren in Tschechien, Bayern in der Stimme, war 25 Jahre Gastronom. Und hatte einen Raucherclub. Dann aber kam dieses eine Volksbegehren, kam das Nichtraucherschutzgesetz über ihn wie eine Plage. Und er, der Wirt, war plötzlich ohne Kneipe, bald auch ohne Konzession. Und vor allem ohne Beschäftigung.

Er ging dann in die Bayernpartei. In Mittelfranken hatten sie damals keinen Kandidaten, sagt er. Da ist er nach Ansbach gezogen. Ganz oder gar nicht, der Wenzel, Bezirksvorsitzender plötzlich. Hat dann 22 Wahlkreise aufgestellt, hat sich dafür ein Wohnmobil gekauft, mit dem er durch Bayern gefahren ist, 90 Tage lang, 50.000 Kilometer. Auf eigene Kosten, es war schließlich auch sein persönlicher Wahlkampf. Denn Vaclav Wenzel Cerveny wollte nicht nur in den Landtag, er wollte sich auch seinen Raucherclub zurückholen. Und das auf die einzig mögliche Weise.

Ich war ein Opfer des Volksbegehrens, sagt er, jetzt wollte ich es für mich nutzen. Also stieg er in sein Wohnmobil und fing an zu sammeln. Stimmen für den Landtag, Unterschriften für die Gerechtigkeit. Der Wenzel mag Heldenworte.

Stellte deshalb das Wohnmobil in die Fußgängerzone, nannte es Kundgebung, versammelte die Raucher um sich. Und hörte immer öfter ein Wort, mit dem er nicht viel anfangen konnte. Hörte zum ersten Mal von Cannabis. Die Leute kamen, sagt er, und haben immer gesagt: Du Wenzel, wenn du das mit dem Rauchen geschafft hast, dann kümmerst du dich als Nächstes um die Legalisierung.

Und er nickte, ja mei, a Schmarrn, die Kiffer.

Der letzte Beweis, den er brauchte

Das mit dem Landtag wurde dann nichts, trotz der vielen Kilometer, der vielen schlaflosen Nächte, 2,1 Prozent immer noch zu wenig. Und Vaclav Wenzel Cerveny ging nach London, wurde Messebauer, das konnte er noch von früher, und lernte dort, in einem Zimmer für Wanderarbeiter, einen Franzosen kennen, der sich am ersten Abend einen Joint ansteckte und damit begann, ihm alles zu erzählen, was er über Cannabis wusste. Zehn Tage, sagt der Wenzel, ist der mir damit auf den Geist gegangen. Zehn Tage lang hörte Wenzel ganz unglaubliches Zeug. Cannabis als Heilpflanze, Cannabis als Nutzpflanze, Cannabis als Friedensstifter. Cannabis für alle.

Diese Sachen, sagt Wenzel heute, das war so viel Wahrheit.

Zurück zu Hause, Winter in Bayern, Weihnachten 2013, setzte er sich an den Computer, verschwand im Internet, prüfte, las sich ein. Drei Wochen lang, bis er an einem Januartag wie immer die Nachrichten im Radio hörte, diesmal mit einem Bericht aus Colorado, USA. Und weil Wacalav Wenzel Cerveny als junger Mann auch mal ein paar Jahre in Kalifornien gelebt hatte, hörte er genauer hin. Es war die Nachricht von der Legalisierung, der letzte Beweis, den er brauchte.

Noch am selben Abend rief er seine Mutter an, die noch immer in Prag lebt, in der Tschechei, wie Wenzel sagt. Ihr erzählte er alles. Der Franzose, die Heilkraft, Colorado. Diese Pflanze, Mutter, sagte er, die soll gegen alles helfen. Kannst du dir das vorstellen, Mutter? Dachte dabei an den Vater, der am Prostatakrebs gestorben war. Vielleicht, sagt er, hätten wir auch ihm helfen können. Und die Mutter, in der Tschechei, am anderen Ende der Leitung, erzählte ihm nun von den letzten Tagen des Vaters, von der kleinen Gabe seiner Freunde, dem Tütchen, davon, wie es die Schmerzen linderte und er schon wieder Pläne hatte, im Garten, im Leben. Cannabis, der Begleiter guter Abschiedsstunden.

Als sich Vaclav Wenzel Cerveny an diesem Abend von der Mutter verabschiedet hatte, wusste er genau, was zu tun war. Er hatte die Erfahrung mit dem Volksbegehren und er hatte das Wohnmobil. Also fuhr er wieder los, in die Innenstadt, an den Stachus, auf den Marienplatz. Dieses Mal mit einem großen Hanfblatt auf dem Wohnmobil. Man muss eine große Idee schließlich von Weitem sehen können. Er nahm sich Urlaub. In der ersten Woche schaffte er 2500 Unterschriften. Mittlerweile kennen ihn die Menschen. Mittlerweile behandelt er seine Mutter, sie hat Alzheimer, mit Cannabis. Cannabidiol-Öle, Hanfsamen, alles. Und, sagt er, es geht ihr besser, man kann mit ihr normal telefonieren, sie nimmt wieder am Leben teil. Ich glaube an Cannabis, sagt er, das ist Medizin.

Das ist das Herz seiner Geschichte, die von seinem Wohnwagen, über das tschechische Krankenbett seiner Mutter bis in ein Altersheim in Israel führt, wo die Insassen seit Jahren erfolgreich mit Cannabis behandelt werden. Es ist sein Lieblingsbeispiel, es zeigt ihm, dass er nicht allein ist, kein Spinner.

Menschen, für die Cannabis Hoffnung bedeutet

Gras als Medizin, Gras als Krankmacher. Arznei der Massen oder Psychosenkeule, das sind die zwei Seiten der Droge, der öffentlichen Meinung. Die zwei Lager, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Und selbst Ärzte sprechen von einer großen Ratlosigkeit. Weil doch beides stimmt. Es ist ein Konflikt, der sich kaum auflösen lässt. Die Beweise, Zeugen und Statistiken, für das eine wie das andere, auch sie werden derzeit so prominent hergezeigt wie selten zuvor.

An dem ersten Tag der Cannabis-Messe sind auch einige da, die nicht für die Stände nach München gekommen sind, sondern, um von sich zu erzählen. Sie sitzen in Rollstühlen vor dem Podium, auf Stöcke gestützt, in Wut vereint, zitieren aus ihren Krankenakten, die sie auswendig kennen, die sie auch dabeihaben. Diagnosen und Enttäuschungen.

Ein Rentner ist dort, der an Polyneuropathie leidet, einer Nervenkrankheit. Seit Jahrzehnten schon. Hat bisher nichts finden können, das den Schmerz lindert, scharf wie ein Messer im Auge.

Ein anderer, lange Dreadlocks, raucht Cannabis, um mit der Migräne, dem Kotzen, den Krampfanfällen klarzukommen. Es ist das Einzige, was hilft, sagt er.

Und ein Dritter zählt die Dosis auf, die Chemie. 500 mg Morphium, Tilidin. Ich bin Schmerzpatient, sagt er, und werde mit jedem Scheiß vollgepumpt. Wo doch das Gras reicht, damit die Schmerzen vergehen.

Es sind Menschen, für die Cannabis Hoffnung bedeutet. Sie hoffen auf die Legalisierung. Sie hoffen auf Vaclav Wenzel Cerveny. Er hat sie deshalb eingeladen. Robin Hood der Kiffer.

Diese Menschen, sagt er nun, haben Krankheiten. Und es grenzt an Körperverletzung, dass man ihnen ihre Medikamente vorenthält. Er will das ändern, im Namen des Vaters. Mit seinem Volksbegehren, das aber nur ein Teil seines Plans ist. Er hat ja längst weitergedacht, eine Lösung gefunden, die nur ihm einfallen konnte.

Ein Raucherclub als Ort, an dem die Menschen in Ruhe rauchen, die Patienten ihre Medizin bekommen. Geschlossene Gesellschaft. Bisher hat er 14 Clubs gegründet, Anträge gestellt. In Bayern. Jeder Club hat sieben Mitglieder, sagt er, das reicht, um als Verein im Vereinsregister eingetragen zu werden. Und in die Satzung schreibe ich rein, dass wir anbauen wollen.

Er hat also alles vorbereitet, durchdacht, er hat das Wohnmobil und eine Vereinssatzung. Jetzt muss er nur noch warten, bis 2017. In seiner Zeitrechnung ist dies das Jahr der Legalisierung. Denn 2017 ist Bundestagswahl, da wird das Thema über Sieg und Niederlage entscheiden, weil die Stimmen nicht mehr überhört werden können. Glaubt er. Hofft er.

Er sieht sich da als Teil einer globalen Bewegung, spricht von einem Domino-Effekt, bei dem die ersten, vielleicht auch die größten Steine, bereits umgekippt wurden. In den USA, die doch einst felsenfest dagegen standen, nun aber den Konsum von Cannabis aus gesundheitlichen Gründen in 23 Staaten erlaubt haben. Und mit jedem weiteren Staat, der Cannabis legalisiert, ist es wahrscheinlicher, dass die Erschütterung auch in EURopa zu spüren ist.

So einfach ist das, sagt Vaclav Wenzel Cerveny, global gesehen.

Europas größter Markt für Drogen

Der Cannabis Social Club, feine Wenzel-Utopie, liegt in München noch in ferner Zukunft. In Barcelona liegt er hinter der Tür mit der Kamera, DCC, steht auf dieser Tür. Dragon Cannabis Club. Der Dragon, wie die sagen, die dort klingeln. Initiierte Gäste, Mitglieder, Eingeweihte.

Der Mann, der sich Alex nennt, ist der Chef des Dragon. Und eigentlich könnte er dort, hinter den Türen, seine Ruhe haben. Doch vor einem Jahr hat die „New York Times“ einen Bericht über die Cannabis Clubs in Barcelona veröffentlicht, in dem es auch ein Zitat von ihm gab. Und seitdem gilt Barcelona als sonniges Amsterdam, das neue Paradies für alle Kiffer.

Die Medien, sagt Alex, haben lange versucht uns zu ignorieren. „Die Politiker haben geleugnet, dass es gibt. Wir sind der große rosa Elefant, der mitten im Zimmer steht und sie haben versucht, ihn zu übersehen.“ Den Kifferclub vor ihrer Haustür. sind sie alle verrückt geworden, haben den Verstand verloren, und die Politiker fingen an, sich gegenseitig des Kontrollverlusts zu bezichtigen. Und Alex wurde der Kopf hinter einer Idee, die in Spanien für Hysterie sorgt. Weil sie für die einen der Anfang und für die anderen das Ende ist.

Das Land gilt als EURopas größter Markt für Drogen, Kokain, Cannabis, MDMA, als Organismus, der, gerade in den Zeiten der Krise, nach allem greift, das eine Flucht verspricht. Und Barcelona ist der Kopf, Drogenhauptstadt des Kontinents. Die Luft, sagen die Katalanen, ist süß durch den Rauch. Ein Drittel der Spanier hatte schon Kontakt mit Cannabis. Die Gesetze sind so locker wie in kaum einem anderen Land der Welt, so gilt der Besitz von Cannabis als Ordnungswidrigkeit, die mit Bußgeld bestraft wird. 300 EURo, in Ausnahmefällen. Der Verkauf aber ist noch immer eine Straftat, die mit fast bayrischem Eifer verfolgt und geahndet wird.

Am Abend stehen die Polizisten, die Guardia Civil, in den Straßen der Innenstadt und kontrollieren die Jungs, durchsuchen die Eckensteher, kleine Fische im großen Strom der Hauptstraße, der nicht abebbt, immer neue Menschen, Touristen, potenzielle Käufer heranspült.

Das Schlupfloch

Der Dragon Cannabis Club liegt genau dort, auf La Rambla, der Aoarta im Herzen Barcelonas, eine Straße nicht mehr, ein Jahrmarkt wohl eher.

Das Gespräch mit Alex findet unweit davon in einem Restaurant statt, das Ruhe garantiert. Alex kommt ganz in Weiß. Kommt selbstverständlich zu spät. Südamerikaner, sagt er. Ein Lächeln als Entschuldigung. Er könnte, in dieses Weiß, in dieses Lächeln gehüllt, auch der Führer einer Erleuchtungssekte sein. Später wird er über sich sagen: Ich bin ein Guru. Erst einmal aber erklärt er, wie das überhaupt funktioniert. Der Club.

Ganz einfach, sagt er. Der Weg in sein Wunderland, er führt durch ein Schlupfloch.

Nach dem Ende der Franco-Diktatur sollte die Privatsphäre der Spanier unbedingt geschützt werden. In der Verfassung des spanischen Königreiches, am 29. Dezember 1978 beschlossen, findet sich deshalb unter Artikel 18 neben dem Recht auf die persönliche und familiäre Intimsphäre auch ein entscheidender Satz: Die Wohnung ist unverletzlich. Der Rückzugsort, die Selbstbestimmung in den eigenen vier Wänden, wurde zum Heiligtum.

Und Alex erzählt die Geschichte dreier junger Männer, die irgendwann in den 90er-Jahren beschlossen hatten, diese Rechtmäßigkeit fortan für den eigenen Genuss zu nutzen, um daheim ungestört Gras anzubauen und rauchen zu können. Der erste Cannabis-Club, wenn man so will. Die Polizei fand ihre Plantage, die Jungs kamen vor Gericht. Und wurden freigesprochen.

Es ist der Präzedenzfall, der ihm die Hintertür öffnete, nach der er gesucht hatte, nachdem ihn das Cannabis nach Spanien gebracht hatte. Für ihn ist es mehr als nur die Droge. Es ist auch eine Kultur. Und er hat den Verein dazu gegründet. Der Club, sagt er, ist kein Geschäft. Wäre es eines, würden ihm auch Tür und Kamera nichts nutzen. Wir sind nonprofit, sagt er, Pressesprecher in eigener Sache, Manager der Vokabeln. Jeder Satz ist ein Spagat in der Grauzone.

Du musst die richtigen Worte benutzen, sagt er. Wir verkaufen nicht, sagt er, wir versorgen uns selbst. Ein kleiner Unterschied nur in der Wortwahl, der zwischen ihm und einem Durchsuchungsbefehl steht.

Das Prinzip Cannabis Club in einfachen Worten: Wer Mitglied werden möchte, 40 EURo Aufnahmegebühr, braucht erst einen Bürgen, durchläuft dann ein Aufnahmeverfahren und registriert sich schließlich, für seinen Anteil an einer monatlichen Cannabismenge, die der Club im Namen seiner Mitglieder produzieren lässt. Für den Eigenbedarf. Und wenn du kommst, um deinen Teil abzuholen, sagt Alex, zahlst du nicht für das Gras, sondern für die Produktionskosten, für den Transport und die Angestellten. „Wir dürfen kein Geld damit verdienen, das wäre ja illegal.“ Auch Alex ist nur ein Angestellter. Wie bei Unicef, sagt er, Lächeln des guten Menschen. Das Schlupfloch ist wie für ihn gemacht.

Die Legalisierung verändert Gesellschaften

Alex wurde, so erzählt er es, in Caracas, Venezuela geboren. Sehr gutes Elternhaus, kein Kind aus den Slums, einer der Notenbesten. Ging zum Studium nach Miami. Betriebswirtschaft, Finanzen. Machte seinen Abschluss an der Florida International University, einen Master in Business Administration. Wurde Venture Capitalist, wurde einer, der Risiko und Kapital zusammenbringt, in junge Unternehmen investiert, Start-ups etwa. Venture Capitalists wetten auf die Zukunft, und es ist dabei von Vorteil, wenn man die Schwächen der Gegenwart kennt. Er spezialisierte sich schon damals auf Gesetzeslücken, Hintertüren, wechselte dann aber in die Pharmaindustrie und kam so zum Cannabis.

Stoff der Zukunft. Missverstandene Substanz, Medizin.

Er, Handlungsreisender durch die Schlupflöcher, immer entlang an den Demarkationslinien der Legalität, auf der Spur der Dominosteine, Staat für Staat, investierte in eine Cannabisfarm in Kalifornien und gelangte schließlich immer wieder nach Colorado. Dort sah er im Januar, was passieren kann, wenn die Droge legalisiert wird, wie es Städte verändern kann, Gesellschaften.

Alex kennt die Zahlen genau. Auch wenn sie so schwammig sind wie manche Erinnerung, sie variieren je nach Erhebung. Seit der Legalisierung hat Colorado zwischen 80 und 100 Millionen Dollar mehr an Steuern eingenommen. Der legale Umsatzerlös durch legalen Cannabis-Verkauf soll in den USA im vergangenen Jahr bei etwa 2,6 Milliarden US-Dollar gelegen haben. Zudem haben selbst die mexikanischen Kartelle die Erschütterung gespürt. Der Handel mit Marihuana, Werte und Grenzen, ist im Vergleich zu 2011 um 24 Prozent gesunken.

Der neue Weißmarkt hat also, wie auch von Monika Herrmann beschrieben, einen unmittelbaren Effekt auf den Schwarzmarkt, nach und nach. Und bringt dem Staat zudem Mehreinnahmen in Milliardenhöhe. Die G schätzen die möglichen Steuereinnahmen in Deutschland auf zwei Milliarden EURo pro Jahr.

Alex schwärmt von Colorado. Es ist seine Referenz. Wir müssen uns, sagt er, auf dasselbe Geschäftsmodell konzentrieren. Es gibt den Markt, die Nachfrage und das Angebot, wieso legalisieren wir es dann nicht einfach. Die Legalisierung, sie ist auch seine Utopie. Obwohl sein Club in Barcelona von der Prohibition profitiert, in ihrem Schatten gewachsen ist.

Unerschöpfliches wirtschaftliches Potenzial

Aber Alex, der Risikokapitalist, wettet auf die Zukunft. Die Legalisierung von Cannabis, das ist keine sichere, aber eine verlockende Wette. Wenn sie aufgeht, beginnt der Goldrausch, so war es auch in Colorado. Und Alex sitzt mit dem Dragon Club auf einer besonders wertvollen Ader.

Cannabis besitzt als globale Ware ein quasi unerschöpfliches wirtschaftliches Potenzial, das durch die Gesetze bisher für den legalen Markt versiegelt wurde. Eine Legalisierung in EURopa wäre der Korken, den man aus einer Flasche Champagner zieht. Wer da der Erste ist, wer die Logistik versteht und den Vertrieb, der wird damit reich.

Er versteht sich da als Consultant, Cannabisguru eben. Für die Kunden, die er mit Wissen versorgt. Für die Mitglieder, die er mit der Droge versorgt. Arznei und Betäubung. Er berät sie umfassend, er spricht da von Vertrauen. Denn anders als die Dealer im Park bietet ein Club, eine offizielle Abgabestelle, Sicherheiten. Bietet Qualität. Sein Gras ist pur, kontrolliert. Er ist kein Dealer. Wenn du Cannabis legalisierst, sagt er, fällt das ganze Risiko weg. Dann sollten wir sogar in der Lage sein, den Preis zu senken. Wenn du Cannabis legalisierst, eliminierst du 70 Prozent der Probleme. Das größte Problem mit Marihuana, sagt er dann noch, ist, dass es immer noch illegal ist.

Es ist ein Satz, wie er auch im Büro von Monika Herrmann gefallen ist.

Es liegen etwa 1800 Kilometer zwischen der Frankfurter Allee in Berlin und La Rambla in Barcelona, es liegen Kontinente und eine Reihe guter Drogenerfahrungen zwischen Alex in Caracas, Miami, Los Angeles und Monika Herrmann in Berlin-Rudow, und doch sind die beiden sich in ihrer Argumentation sehr nahe.

Auch er spricht von Verbraucherschutz, vom Schwarzmarkt, der kollabiert.

Dann muss er zurück, die Rambla runter, wo zwischen den Souvenirständen die Männer, Rumänen, Sinti, Balkanboys, Touristen Tinnef verkaufen: Regenschirme und ein Röhrchen zwischen den Lippen, mit dem man wie Donald Duck klingen kann. Verkaufen auch die Drogen der Straße. Raunen den Touristen, zwischen zwei Entenlauten, ihr Angebot zu. Ein Zirkus, der unter dem Zelt der Prohibition probt.

Nur ein Anfang

In Berlin, am Görlitzer Park stehen währenddessen diese Männer weiter da und warten. Die Kundschaft kommt zu ihnen, die Treppen runter aus der U-Bahn, dann zischeln sie, Zauberworte. Einer steht da, aus Nigeria und sagt: Mein Gras ist das beste Gras der Stadt. Nimmt zwei Jungs mit über die Straße, stellt sie in einen Hausflur, Tütchen und Geldscheine im Tausch, dauert zwei Minuten. Steht dann wieder unter den U-Bahngleisen, sagt: Ich habe eine Frau hier, ein Kind und einen Job in einem italienischen Restaurant. Spüler, reicht für nichts. Und die Legalisierung fürchtet er nicht? Er schaut nur, auf die Menschen, die aus den Zügen gespuckt werden, sagt dann: Wenn sie das Gras legalisieren, dann für Erwachsene mit deutschem Pass. Für uns, sagt er, ändert sich nichts. Wir verkaufen an Jugendliche und Touristen. Unsere Kunden bleiben. Macht dann weiter, hat schließlich das beste Gras der Stadt.

Monika Herrmann ist ein paar Tage zuvor mit ihrem Fahrrad umgekippt, jetzt humpelt sie. An joggen ist nicht zu denken. Sie war also länger nicht mehr im Park. Aber sie kennt ihn gut genug, um zu wissen, dass sie nicht alle Probleme lösen wird. Zumindest nicht sofort. Wir werden, sagt sie, sobald wir die Dinger aufgemacht haben, nicht sofort den gesamten Schwarzmarkt trockenlegen. Das ist auch klar. Aber die Bewegung, die wir haben, ist fantastisch. In EURopa, in Deutschland.

Monika Herrmann schaut deshalb nicht nur noch Bonn, sondern auch nach Barcelona, nach München und nach Bremen, wo SPD und Grüne in diesen Tagen immer lauter die Legalisierung fordern, ein Echo auf Kreuzberg. Und die Bremer, sie schauen ihrerseits nach Bonn und Berlin, weil ihr Antrag, freier Verkauf an zwei Abgabestellen, dem von Monika Herrmann dermaßen gleicht, dass sie ihn, sollte der Kreuzberger Versuch scheitern, in den Papierkorb werfen können. Entweder man gewinnt das Ding zusammen, alle in einem Boot, oder man geht zusammen unter.

2017 wird Cannabis legalisiert, sagt Vaclav Wenzel Cerveny in München.

Eine flächendeckende Legalisierung wird es in den nächsten fünf Jahren nicht geben, sagt Alex in Barcelona.

Und in Berlin sagt Monika Herrmann, ganz preußischer Realismus: Es ist nur ein kleiner Stein, den wir ins Wasser schmeißen. Er wird seine Kreise ziehen. Aber es ist nur ein Anfang.

Drei Monate Zeit hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte um über ihren Antrag zu entscheiden. Ja oder nein. Prohibition oder Legalisierung. Es ist noch ein langer Weg.

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