Die Wirtschaftswoche berichtete über mehrere Aspekte, die zeigen, dass Medikamente auf Cannabisbasis in Deutschland und der Schweiz auf dem Vormarsch sind und stellt den Nutzen dieser Substanzen hervor.
Cannabis in der Medizin-Hanf-Medikamente auf dem Vormarsch
Hanf-Präparate helfen Schwerkranken gegen Schmerzen. Die Regierung will nun dafür sorgen, dass Kranke Cannabis-Medikamente bekommen und dafür Hanf in Deutschland anbauen lassen. Die Kassen sollen die Kosten übernehmen.
„Ein Hanf-Medikament hat mein Leben gerettet“, sagt Ute Köhler. Vierzehn Jahre lang litt die 61-Jährige Thüringerin infolge einer Operation unter starken Schmerzen, Erschöpfung und Schlafstörungen. Die Frührentnerin galt bei den Ärzten als „austherapiert“ – als ein hoffnungsloser Fall. Bis sie ihr Schmerztherapeut auf Dronabinol aufmerksam machte: „Das war, als hätte jemand den Schalter umgelegt.“ Die Schmerzen gingen weitgehend zurück, erstmals seit längerer Zeit konnte Köhler wieder durchschlafen, psychisch ging es ihr viel besser.
Dronabinol entsteht aus der Hanfpflanze, genauer gesagt aus deren Wirkstoff Thc, der vom Hersteller Bionorica chemisch aufbereitet wird. Das bayerische Unternehmen aus Neumarkt in der Oberpfalz ist ansonsten eher für seine Erkältungsmittel Sinupret und Bronchipret bekannt.
Nicht nur Patienten, auch immer mehr Mediziner und Gesundheitspolitiker setzen auf die heilende Wirkung von Cannabis, das Schmerzen lindert, entzündungshemmend wirkt und oft weniger gefährliche Nebenwirkungen zeigt als etwa Morphine oder Opiate. Die Bundesregierung, will nun dafür sorgen, dass schwerkranke Patienten auf Kassenrezept ihren Medizinalhanf aus der Apotheke erhalten und, so steht es in einem Gesetzentwurf, dafür sogar Hanf in Deutschland anbauen lassen. Der staatlich kontrollierte Hanfanbau soll dann von der deutschen Arznei-Zulassungsbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) kontrolliert werden. Das BfArM vergibt dann den Züchtungsauftrag an private Anbieter, etwa landwirtschaftliche Betriebe. Mitte 2016 könnte das Gesetz in Kraft treten.
„Stoff für Herz und Hirn“
Cannabis-Medikamente helfen nicht nur bei Schmerzen, sondern zeigen auch bei multipler Sklerose, der Augenkrankheit Grüner Star oder dem Tourette-Syndrom oftmals gute Heilerfolge. „Wir erleben im klinischen Alltag immer wieder, dass es Schmerzpatienten gibt, die vom Einsatz von Cannabinoiden stark profitieren“, sagt Michael Schäfer, der Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft.
Eine vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit finanzierte Studie bescheinigte Cannabis-Medikamenten erst kürzlich ein „vielversprechendes Heilmittelpotenzial“. Und selbst die „Apotheken Umschau“ preist medizinisches Cannabis neuerdings als „Stoff für Herz und Hirn“.
Bislang fehlen allerdings aussagefähige Studien, vor allem zu Langzeitwirkungen. Bei Jugendlichen ist Vorsicht geboten. Das Gros der Cannabis-Patienten ist allerdings im fortgeschrittenen Alter, so Schäfer. Das Suchtrisiko bei medizinischem Cannabis hält der Schmerzmediziner für „gering“.
Wie Cannabis konsumiert wird
Tatsächlich gibt es allerdings bislang nur ein Cannabis-Präparat, das in Deutschland als Arzneimittel zugelassen ist: Das Mittel Sativex des spanischen Herstellers Almirall hilft gegen spastische Krämpfe bei multipler Sklerose. Zwischen 2000 und 3000 Patienten profitieren pro Jahr von dem Mittel. Die Kassen zahlen in der Regel nur, wenn die vorgeschriebene Anwendung genau eingehalten wird.
Bei Dronabinol – dem Medikament der Thüringerin Köhler ¬- sind die Kassen nicht zur Zahlung verpflichtet, da es lediglich als Betäubungsmittel zugelassen ist. Die 600 bis 700 EURo kostet das Medikament im Monat; den Betrag müssen die Patienten in der Regel selbst aufbringen. Die Frührentnerin Köhler sagt, dass sie ohne die finanzielle Hilfe von Bekannten aufgeschmissen wäre.
Erst kürzlich ist Bionorica-Chef Michael Popp mit einem Versuch gescheitert, Dronabinol unter dem Markennamen Kachexol als Arzneimittel zuzulassen und damit die Chance auf eine Kassen-Erstattung zu erhalten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte lehnte den Antrag ab.
Bionorica muss nun teure, klinische Studien mit Patienten durchführen – die begehrte Zulassung als Arzneimittel dürfte das Unternehmen erst in drei bis vier Jahren erhalten.
Selbst zahlen müssen bislang auch rund 400 Patienten, die mittels einer Sondergenehmigung ihre Hanfblüten aus der Apotheke erhalten. Die Bundesopiumstelle, eine Unterabteilung des BfArM, erteilt die Erlaubnis jedoch nur, wenn den Schmerzkranken nichts anderes mehr hilft. Nach dem Willen der Bundesdrogenbeauftragten Marlene Mortler (CSU) sollen künftig die Kassen für den Medizinalhanf aufkommen.
Eine entsprechende Genehmigung zu erhalten, ist nicht einfach: Die 50-jährige Angelika Lingelbach aus Gelsenkirchen musste mehrere Monate auf die Erlaubnis warten. Etliche Formulare musste die langjährige Schmerzpatientin dafür einreichen – inklusive eines ausführlichen Arztberichtes mit Angaben etwa zur Diagnose, bisherigen Behandlungen und einer Einschätzung zur Therapietreue der Patientin.
Lingelbach hat früher Morphine geschluckt – mit schlimmen Nebenwirkungen. Seit sie das Apotheken-Hanf raucht, sind ihre Schmerzen stark gelindert, Depressionen und Suizidgedanken verschwunden: „Ich bin ansprechbarer und besser konzentriert.“ Ihre Tochter sagt: „Meine Mutter lebt und lacht wieder.“
Für die schwerbehinderte Frührentnerin gehen die Kosten allerdings ans Eingemachte: Fünf Gramm kosten 85,95 EURo, das reicht für etwa drei bis fünf Tage. Zum Vergleich: Auf dem Schwarzmarkt könnte Lingelbach die gleiche Menge schon für fünfzig EURo beschaffen.
Lieferungen aus Holland
Das Hanf beziehen die Apotheken von holländischen Plantagen. Der holländische Hersteller Bedrocan hat dafür von der holländischen Behörde für medizinisches Cannabis eine exklusive Lizenz erhalten. Doch häufig stockt die Lieferung aus Holland – wenn der Hanf-Nachschub stockt, werden im Zweifel die niederländischen Patienten zuerst versorgt.
Besonders schlimm war es Ende 2014. „Von November bis Mitte Februar blieben die Lieferungen aus“, sagt Patientin Lingelbach, die sich dann noch etwas Hanf über Freunde besorgen konnte. Eine staatlich kontrollierte Cannabisagentur in Deutschland, wie sie nun im Gesetzentwurf vorgesehen ist, würde gegen solche Engpässe helfen.
Durch die geplante Neuregelung hofft die Bundesregierung auch, den Eigenanbau von Hanf eindämmen zu können. Im vergangenen Jahr haben einige Patienten vor dem Kölner Verwaltungsgericht das Recht erstritten, ihr Hanf zuhause selbst anbauen zu dürfen. Der Eigenanbau solle jedoch eine Ausnahme bleiben.
Die CSU-Bundesdrogenbeauftragte Mortler wendet sich klar gegen den Eigenanbau. Gegen die Entscheidung des Gerichts hat das BfArM Klage eingereicht. Das Argument der Kritiker: Die Patienten hätten zu wenig Erfahrung mit dem Anbau. Schädigungen, etwa durch Verunreinigungen, seien nicht auszuschließen. Die oft beengten Wohnverhältnisse der Schmerzpatienten, etwa in Heimen, ließen den Eigenanbau auch häufig nicht zu.
Derweil wird sich Bionorica-Chef Michael Popp über die nächsten Jahre weiter mühen, für sein Dronabinol eine Zulassung als Arzneimittel zu erhalten, um mehr Patienten wie Ute Köhler- und auf Kosten der Kassen – versorgen zu können. Einen Vorteil haben die Medikamenten-Hersteller auf alle Fälle gegenüber dem Eigenanbau: Sie können eine gleichbleibende, hohe Qualität ihrer Hanfpräparate garantieren. Zudem klappt die Lieferung zuverlässiger als mit dem Medizinalhanf aus Holland.