Ein Kommentar im Spiegel erinnert daran, dass das Gesetz lange überfällig war.
Die Hürden, medizinisches Cannabis auf Rezept zu erhalten, sinken. Dank eines neuen Gesetzes dürfen Ärzte es sogar verschreiben, bevor sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Das wurde auch Zeit.
Schwerkranke können in Deutschland künftig medizinisches Cannabis auf Rezept erhalten, die Krankenkassen übernehmen die Kosten. Das regelt ein neues Gesetz, das im März in Kraft tritt.
Es ist belegt, dass Cannabis bei bestimmten Erkrankungen Schmerzen lindern kann. Außerdem lassen sich damit Übelkeit und Appetitlosigkeit während einer Chemotherapie bekämpfen. Daher war es überfällig, die hohen Hürden zu senken, die bisher für Cannabis galten.
Wichtig ist, einen Unterschied im Kopf zu behalten: Gesunde kiffen, um sich zu berauschen. Schwerkranke konsumieren medizinisches Cannabis (was nicht zwingend bedeutet, dass sie es rauchen), um ein Stück Lebensqualität zurückzugewinnen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, Debatten über den medizinischen Einsatz und die Legalisierung von Cannabis als Genussmittel klar zu trennen.
Gefährliche Alternativen
Ärzte können künftig im Einzelfall Cannabis auch dann verschreiben, wenn sie noch nicht alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgereizt haben. Die Arznei steht damit viel mehr Patienten zur Verfügung als bisher.
Dass ist besonders erfreulich, wenn man bedenkt, welche Mittel die Patienten bisher bekommen. Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, erhalten häufig sogenannte Opioide. Die Verschreibungszahlen dieser Medikamente sind seit Jahren deutlich gestiegen. Dabei ist umstritten, ob man sie chronischen Schmerzpatienten wirklich über einen längeren Zeitraum geben sollte, wenn ihre Pein nicht durch eine Krebserkrankung ausgelöst wird. Der Grund dafür: Stärkere Opioide machen abhängig und haben schwere Nebenwirkungen. Bei einer Überdosierung können sie sogar die Atmung stilllegen.
In den USA, wo die Verschreibungszahlen ebenfalls deutlich gestiegen sind, spricht man von einer Opioid-Epidemie. Die Zahl Todesfälle durch per Rezept erhaltene Opioide habe sich seit 1999 vervierfacht, berichtete die Seuchenschutzbehörde CDC 2015. Vergangenes Jahr etwa starb der Popstar Prince an einer Überdosis des Schmerzmittels Fentanyl.
Daten aus Kanada und den USA zeigen jetzt, dass der Opioid-Verbrauch deutlich sinkt, wenn Patienten medizinisches Cannabis erhalten. Ebenso brauchen die Betroffenen weniger Antidepressiva. Natürlich hat auch Cannabis unerwünschte Nebenwirkungen; aber kein Medikament, das eine Wirkung hat, ist völlig frei von solchen. Beim medizinischen Einsatz von Cannabis geschieht es zudem sehr selten, dass Patienten abhängig werden. Im Vergleich zu starken Opioiden ist Cannabis tatsächlich die harmlosere Alternative.
Noch wissen wir zu wenig über den Nutzen und die Risiken des medizinischen Einsatzes von Cannabis. Das soll sich ändern: Ärzte, die Cannabis verschreiben, übermitteln ihre Informationen zu Diagnose, verordneter Dosis und Nebenwirkungen in anonymisierter Form ans Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Mithilfe dieser Daten werden sich einige Fragen zum Cannabis-Einsatz hoffentlich bald genauer beantworten lassen. Das neue Gesetz hilft also nicht nur den Patienten, sondern auch der Forschung.