Sehr geehrter Herr Gesundheitsminister Gröhe,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Woitke,
sehr geehrte Damen und Herren,
der Ihnen möglicherweise bekannte Vorsitzende des Arbeitskreises Cannabis in der Medizin e. V. Dr. Franjo Grotenhermen sieht sich, wegen der durch die im neue Cannabisgesetz nicht vorhergesehenen Auswirkungen für bisherige Cannabispatienten und deren Ärztinnen und Ärzte veranlasst, in einen Hungerwarnstreik zu treten.
Der Hintergrund ist die drastische Verteuerung von Cannabisblüten von ca. 75€ je 5g auf 110€ und wenn es nicht verhindert wird, ist ein Preis von über 200€ je 5g zu erwarten. Vor dem Gesetz, das seit dem 10.3.2017 gilt, konnten sich Patienten(!) bei bestehender Indikation eine Ausnahmegenehmigung bei der Bundesopiumstelle beantragen, die eine Erlaubnis für den Bezug von Cannabis aus der Apotheke nach sich zog, wenn vom Arzt bei bestehender medizinischen Indikation ein Privatrezept ausgestellt wurde. Mit diesem Procedere waren die Patienten oft erstmalig oder überhaupt nach vielen Jahren wieder in eine ärztliche Therapie einbezogen. Ärzte konnte so bei vielen Diagnosen die therapeutische Wirkung von Cannabis kennen lernen. Hier waren und sind die Patienten die Experten bei der Cannabistherapie. Ärzte hatten und haben quasi keine Chance gehabt Erfahrungen mit dem bis zum Gesetz illegalen Cannabis zu machen. Anderseits war so eine Chance für die „Selbsttherapeuten“ gegeben, innerhalb der Therapie in eine möglicherweise leitliniengerechte, auf jeden Fall aber in eine ärztliche Therapie zu kommen.
Diese gesetzliche Möglichkeit endet nun im Juni und damit auch die begonnene neue Therapie, wenn die Krankenkassen die Kostenübernahme verweigern. Statt die Therapiefortführung, wie sie mit der Ausnahmegenehmigung bis dato möglich war, im neuen Cannabisgesetz zu sichern, wurde eine Neubeantragung bei den Krankenkassen gefordert. Diese hätten eigentlich nur im Ausnahmefall von den Krankenkassen verwehrt werden dürfen und diese Patienten wären weiterbehandelbar geblieben. In meiner Praxis sind etwa 50 Patienten betroffen, von denen bisher nur 5 Patienten eine Kostenübernahme von den Krankenkassen erhielten. Diese überwiegende Kostenübernahmeverweigerung durch die Krankenkassen betrifft nicht nur meine Patienten, sondern auch die Patienten vieler mir bekannter Kolleginnen und Kollegen! Für diese Patienten heißt die neue Gesetzessituation jetzt: zurück in die Illegalität und zum Selbstanbau. Keiner meiner Patienten kann sich die legitimen „Wuchercannabispreise“ leisten. Hier muss der Gesetzgeber dringend und kurzfristig nachbessern.
Allerdings braucht sich keiner Sorgen über die Therapie mit Cannabis machen, wenn ein geregeltes und auskömmliches Einkommen hat und damit das Privatrezept bezahlen kann. Dieses könnte jeder Patient bei bestehender Indikation von einem Arzt erhalten, so er ihn dann findet!
Der Gesetzgeber hat klare Vorgaben für die Krankenkassen für Palliativpatienten gemacht, nämlich 3 Tage für Bestätigung der Kostenübernahme. Das funktioniert in der Regel auch gut, wenn die Patienten bei einem Palliativarzt in Behandlung sind. Andernfalls warten auch diese Patienten oft wieder mindesten 3 Wochen oder werden abgelehnt!! Nur(?) in Brandenburg wurde jetzt einer 77 jährigen Patientin mit einem rasch fortschreitenden Pankreaskrebs die Kostenübernahme für die helfenden Cannabistropfen verweigert, obwohl sie bei mir als Palliativarzt in Behandlung war. Trotz persönlicher Intervention beim Kassen-Vorsitzenden konnten nur für einen weiteren auch abgelehnten und vom Tode kennzeichneten Palliativpatienten bis Freitag eine Kostenübernahme erreicht werden, nicht aber für die o.g. Krebspatientin. In Brandenburg muss sich jetzt wieder eine Patientin auf dem Sterbebett Rechtsbeistand zum eigentlich gesetzlich garantierten Recht besorgen.
Nach dem ich selbst 13 Jahre regelmäßig Richtern – letztendlich erfolgreich* – erklären musste, dass Cannabis eine therapeutisch Option bei der lebensbedrohenden Tumorkachexie sei, kann ich diese nicht nachvollziehbare Kostenübernahmeverweigerung von Dronabinol-Tropfen (ca. 200€) hier nicht mehr hinnehmen. (*LSG Berlin¬ Brandenburg Urteil vom 25.09.2015 (Az. L 24 KA 134/11)) Diese Situation empfinde ich nach einer mehr als 30 jährigen Berufserfahrung mit großem Engagement für Palliativpatient als zu tiefst empörend und fassungslos. Dies klage ich vor den politisch Verantwortlichen an und möchte die Öffentlichkeit darüber informieren.
Weiterhin ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass auf Grund einer nachvollziehbaren Verweigerungshaltung von Ärzten sich mit der Cannabistherapie zu befassen, für die wenigen verbleibenden und hier engagierten Kolleginnen und Kollegen ein nicht mehr bewältigbarer bürokratischer Mehraufwand in die Praxen kommt.
Ebenso bestehen viele Fragen zur Rechtssicherheit, die für die Ärzte nicht geklärt sind. In Therapieleitlinie, an denen die ärztliche Therapie im Rechtsstreit-, Schadens- und Regressfall gemessen wird, findet man eigentlich keine Indikationen für Cannabis. Was das im Schlichtungsfall heißt, habe ich gerade persönliche sehr schmerzhaft erfahren müssen.
Auch wenn durch die Kostenübernahme der Regress vermieden werden sollte, drohen Krankenkassen im Übernahmefall latent mit doch möglichen Regressforderungen. Bei den o. g. Kosten kommen sehr schnell über 20. bis 25.ooo € pro Patient im Jahr zusammen. Selbst wenn ich als Anästhesist auf sämtliche Narkotika verzichten würde, wäre mein Arzneimittelbudget (etwa 50€ je Patient im Quartal) durch die Betreuung von Cannabispatienten hoffnungslos überschritten. Die rechtlichen Konsequenzen für mich als niedergelassener Arzt können Sie sich sicherlich denken oder bei der KVBB erfragen.
Eine weitere existentielle Bedrohung besteht durch die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Das bedeutet: laut § 12 Abs.1 SGB V: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.“ Der Interpretationsspielraum ist hier sehr groß und spricht oft gegen den Arzt. Für mich bedeutet dies konkret, wenn ich in absehbarer Zeit in den Ruhestand trete, kann man mich bis 2 Jahre danach belangen. Denn für den Schaden, der im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, festgestellt wird, hafte ich aus meinem Privatvermögen, dann auch noch als Rentner. Die Erfahrung mit einem Sonstigenschaden wegen einer lebensrettenden Cannabistherapie mit einer „Schadens“summe vom mehr als 150.000 DM durfte ich bekanntermaßen vor 13 Jahre schon einmal in Brandenburg machen. Der ebenfalls durch Cannabisblüten zu erwartende „Sonstigeschaden“ dürfte die damalige Summe um ein Vielfaches übersteigen.
Da durch das neue Cannabisgesetz, wenn ich mich weiter ärztlich für meine Patienten einsetze, die eben Cannabis aus medizinischen Gründen brauchen, meine berufliche und persönliche Existenz bedroht sein kann, fordere ich eine öffentliche Klärung der künftigen Situation. Diese öffentliche Klärung ist extrem wichtig für viele Patienten, Kolleginnen und Kollegen in Brandenburg und deutschlandweit.
Im Interesse des o. g. Anliegens fordere ich deshalb öffentlich von den politisch Verantwortlichen:
1. Sich dafür einzusetzen, dass der Hungerstreik, des nicht ganz gesunden Kollegen schnellst möglich beendet wird und Lösungen für die von ihm vorgetragen Probleme gefunden werden.
2. Sich bei den Krankenkassen zu informieren wie der rechtliche Stand ist und ob die Art der Durchführung der Ablehnungen, die im gesetzlichen Sinne nur im Ausnahmefall stattfinden sollen, rechtens ist. Ebenso warum die Ablehnung der Regel- und nicht der Ausnahmefall ist und nach welchen Qualifikations- und Qualitätskriterien dabei von den Krankenkassen vorgegangen wird.
3. Welchen Stellenwert hat hier noch die ärztliche Diagnose und Therapieeinschätzung, wenn letztendlich der Kostenübernahmeantrag auf Sacharbeiterebene (?) entschieden wird. (Siehe Unterschrift auf der Kostenübernahmeablehnung!!
4. Die derzeitige Rechtssituation klarzustellen, mit welchen Sanktionen Ärztinnen und Ärzte rechnen müssen (Regress, Auswirkungen auf das Arzneimittelbudget, Bedrohung der beruflichen Existenz bzw. Alterssicherung für die, die sich derzeit für die Cannabistherapie ihrer Patienten engagieren und die Wirtschaftlichkeitsprüfung kurz oder nach Renteneintritt erfolgt, wenn sie sich weiter für die indizierte Cannabistherapie einsetzen.
5. Für den Zeitraum der nächsten 5 Jahre, in dem man die Cannabistherapie beobachten will, dürfen Ärztinnen und Ärzte, für die die Therapiesituation, mit bis dato illegalen Drogen, auch neu ist, nicht mit Sanktionen im nachherein und künftig bedroht werden. Es ist für alle Beteiligten eine neue und bisher mit nichts vergleichbare Therapiesituation, für die man die Ärzte weder juristisch noch wirtschaftlich unter den derzeitigen Bedingungen haftbar machen kann.
6. Studien für die Cannabistherapie und deren Etablierung in den Leitlinien zu veranlassen
7. Den nicht mehr nachvollziehbaren „Preiswucher“ zu stoppen und dafür zu sorgen, dass Patienten für die eine medizinische Indikation besteht, Cannabis legal zu erschwinglichen Preise in der Apotheke beziehen können, wenn die Kostenübernahme durch die Krankenkasse verweigert wurde bzw. wenn sich für die indizierte Cannabistherapie kein Arzt findet.
Besten Dank für Interesse
Dr. med. Knud Gastmeier
Potsdam, den 13.05.2017