Wir besitzen alle unser eigenes Cannabinoidsystem und produzieren ständig unsere eigenen Cannabinoide, so genannte Endocannabinoide. Zum Endocannabinoidsystem (ECS) gehören zudem Bindungsstellen für diese Endocannabinoide, die Cannabinoid-Rezeptoren, und Substanzen, die für die Synthese und den Abbau der Endocannabinoide verantwortlich sind.
Entwicklungsgeschichtlich betrachtet ist dieses System viele Millionen Jahre alt. Es wurde bei Säugetieren, Vögeln, Fischen und anderen Tieren nachgewiesen. Dieses für das normale Funktionieren vieler Körperfunktionen so wichtige System findet sich in nahezu allen Geweben und Organen des Körpers: Gehirn, Rückenmark, Immunsystem, Lunge, Herz, Blutgefäße, Leber, Nieren, Darm, Geschlechtsorgane, Fettgewebe, Haut, et cetera. Seine Hauptfunktion besteht darin, die Aktivität anderer Botenstoffe im Körper zu beeinflussen und ihre Aktivität auf ein normales Niveau zu bringen.
Erste Entdeckungen
Im Jahr 1964 gelang die vollständige Aufklärung der chemischen Struktur des Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), dem berauschenden Inhaltsstoff der Cannabisärzte. Etwa 30 Jahre später wurden die ersten körpereigenen Cannabinoide entdeckt, Arachidonoylethanolamid (Anandamid) im Jahr 1992 und Arachidonoylglycerol (2-AG) im Jahr 1995.
Urspünglich war man davon ausgegangen, dass THC unspezifisch auf die äußeren Schichten der Zellen, auf die Zellmembranen, wirkt, indem es beispielsweise wie Alkohol die Beweglichkeit und Durchlässigkeit dieser Zellmembranen verändert. Es gibt keinen Alkohol-Rezeptor, und zunächst ging man davon aus, dass es auch keinen Cannabinoid-Rezeptor gibt. Schließlich konnten Wissenschaftler 1987 nachweisen, dass es spezifische Bindungsstellen im Gehirn für THC geben muss. Im Jahr 1990 gelang es schließlich, die chemische Struktur des ersten Cannabinoidrezeptors zu entschlüsseln. Wenig später wurde ein zweiter Cannabinoidrezeptor, CB2, in der Milz nachgewiesen.
Der Cannabinoid-1-Rezeptor
Der zunächst im Gehirn nachgewiesene Cannabinoid-1-Rezeptor, kurz CB1-Rezeptor, kommt in vielen Organen vor, wenn seine Konzentration in einigen dieser Organe auch relativ niedrig ist. Er zählt zu einigen der häufigsten Rezeptoren im Gehirn. CB1-Rezeptoren finden sich in Regionen des Gehirns, die eine wichtige Rolle bei der Koordination von Bewegungen, bei der räumlichen Orientierung, der Sinneswahrnehmung (Geschmack, Geruch, Tastsinn, Gehör), bei der geistigen Leistungsfähigkeit und der Motivation spielen. Dagegen gibt es keine CB1-Rezeptoren im Hirnstamm, das unter anderem für die Kontrolle der Atmung und des Herzkreislaufsystems verantwortlich ist. Man geht heute davon aus, dass es bei Gesunden keine Todesfälle durch eine Überdosis Cannabis oder THC gibt, weil die Funktionen des Hirnstammes durch eine solche Überdosierung nicht beeinträchtigt werden können.
Die Schutzfunktion des CB1-Rezeptors
Cannabinoid-1-Rezeptoren finden sich am Ende der Nervenzellen, da wo ein Signal durch den Spalt zwischen zwei Nervenzellen von einer Nervenzelle zur anderen weitergegeben wird. Die wichtigste Funktion der CB1-Rezeptoren im Nervensystem ist die Hemmung einer zu starken oder nicht adäquaten Signalweitergabe durch Botenstoffe im Gehirn, so genannte Neurotransmitter. Durch die Aktivierung von CB1-Rezeptoren wird eine Überaktivität oder Unteraktivität aller Botenstoffe im Gehirn (Glutamat, Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, usw.) wieder in eine Balance gebracht. Das Endocannabinoidsystem übt also vielfältige Schutzfunktionen vor Übererregungen im zentralen Nervensystem aus oder gleicht einen Mangel von Neurotransmitterfunktionen aus. Das erklärt das breite Wirkungsspektrum von THC bzw. Cannabis. Wenn THC an CB1-Rezeptoren bindet, dann wird zu viel Aktivität in Schmerzregelkreisen des Gehirns gehemmt und dadurch Schmerzen gelindert. Durch ähnliche Mechanismen werden Übelkeit, Muskelspastik, epileptische Anfälle, Angststörungen, Zwangsstörungen, Hyperaktivität und weitere Krankheitssymptome durch eine Aktivierung des Endocannabinoidsystems abgeschwächt.
Der Cannabinoid-2-Rezeptor
Der Körper des Menschen und anderer Säugetiere besitzt ein hoch entwickeltes Immunsystem, das ihn vor Angriffen durch Viren, Bakterien und andere potenziell schädliche äußere Einflüsse schützt und darauf abzielt, den Schaden zu verhindern, abzuschwächen und zu reparieren. Das Endocannabinoidsystem stellt über seine CB2-Rezeptoren einen Teil dieses Schutzmechanismus dar.
Endocannabinoide
Im Jahr 1992 wurde erstmals eine körpereigene Substanz nachgewiesen, die an Cannabinoidrezeptoren andockt, nachgewiesen. Seine Entdecker nannten es Anandamid vom Sanskrit-Wort “Ananda” für Glückseligkeit und “Amid” wegen seiner chemischen Struktur. 1995 wurde ein zweites Endocannabinoid, das 2-AG (2-Arachidonoylglycerol) entdeckt. Diese beiden Endocannabinoide sind bisher am besten erforscht. Heute geht man von etwa 200 Substanzen aus, die den bisher erforschten Endocannabinoiden in ihrer chemischen Struktur ähneln.
Verschiedene Endocannabinoide können nicht nur an Cannabinoidrezeptoren binden, sondern auch an einen vermuteten CB3-Rezeptor, den GPR55-Rezeptor, an Vanilloid-Rezeptoren und an weitere Rezeptoren.
Von Dr. med. Franjo Grotenhermen