Eine Patientin mit Depressionen profitierte von der Genehmigungsfiktion, die dann eintritt, wenn eine Krankenkasse nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von 5 Wochen über einen Kostenübernahmeantrag entscheidet. Aus der Urteilsbegründung des Urteils vom 28. Februar 2019 wird klar, dass der Richter auch darüber hinaus die Kostenübernahme durch die Krankenkasse befürwortet. Leider hätte die Patientin nach der gegenwärtigen Rechtslage ohne die Genehmigungsfiktion keine Chance auf eine Kostenübernahme gehabt, da die klinische Datenlage zur Therapie von Depressionen mit Cannabis bzw. Cannabis-Medikamenten eher dürftig ist.
Insbesondere Patienten mit psychischen bzw. psychiatrischen Erkrankungen haben gegenwärtig kaum Chancen auf eine Kostenübernahme. Insofern kann die Urteilsbegründung auch als Aufforderung an die Politik verstanden werden, das Gesetz an diesem Punkt nachzubessern. Ein Artikel von Leafly hat bei vielen Lesern den Eindruck erweckt, als hätten nunmehr auch Patienten mit Depressionen eine Chance auf eine Kostenübernahme.
Wir haben mit dem Anwalt der Patientin, Herrn Martin Rokahr aus Hannover, gesprochen, der die Genehmigungsfiktion als Grund für die Kostenübernahme bestätigte sowie die grundsätzlich unterstützende Position des Richters. Zur Frage der positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf, der nach der gegenwärtigen Rechtsprechung klinische Daten verlangt, heißt es im Urteil nur: „Vom Vorliegen einer spürbar positiven Einwirkung ist die Kammer überzeugt. Diesbezüglich ist von Relevanz, dass der behandelnde Arzt diese bejaht und damit die Angaben der Klägerin unterstützt“ (siehe unten Auszüge aus den beiden Gerichtsurteilen). Diese Argumentation hätte in einer Berufungsverhandlung leider keinen Bestand haben können. Wir freuen uns für die Patientin und bedauern, dass Patienten mit vergleichbaren Krankheitsbildern von einer Kostenübernahme ausgeschlossen bleiben.
Zunächst hat das Sozialgericht Hannover im Eilverfahren mit Beschluss vom 24.07.2018 (Az.: S 50 KR 828/18 ER) folgendes festgestellt:
“Darüber hinaus geht die Kammer davon aus, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im vorliegenden Falle nicht zur Verfügung steht. Diesbezüglich stützt sich die Kammer ebenfalls auf die Stellungnahme des behandelnden Arztes. Dieser führt aus, dass die Standardmaßnahmen ausgeschöpft seien. Die durchgeführten Behandlungen mit Psychopharmaka seien nicht als erfolgreich anzusehen, der entweder keine ausreichende Wirkung erfolgt sei oder die Nebenwirkungen zu stark sein. Weiterhin geht die Kammer davon aus, dass eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Hinsichtlich dieses Tatbestandsmerkmals greift die Kammer auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu notstandsähnlichen Situation (nunmehr normiert in § 2 Abs. 1a SGB V) zurück. Es muss berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 31 Abs. 6 SGB V hinsichtlich des „Wirksamkeitsnachweis es „nicht auf die Kriterien zum off-label use abgestellt hat, sondern in § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 die geringeren Anforderungen des § 2 Abs. 1a SGB V übernommen hat.
„Eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung“ erfordert eine Wirksamkeitsprüfung am Maßstab der vernünftigen ärztlichen Praxis. Als „Beweismittel „akzeptiert das BSG „Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte und ähnliche, nicht durch Studien belegte Meinungen anerkannter Experten sowie Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen „. Je schwerwiegender die Erkrankungen und hoffnungsloser die Situation ist, desto geringer sind die Anforderungen an die „ernsthaften Hinweise „auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg (Plagemann in: Schlegel/Voelske, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 2 SGB V, Rn. 60).
Vom Vorliegen einer spürbar positiven Einwirkung ist die Kammer nach summarischer Prüfung überzeugt. Diesbezüglich ist von Relevanz, dass der behandelnde Arzt diese bejaht und damit die Angaben der Antragstellerin unterstützt.“
In dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 28.02.2019 (Az.: S 50 KR 729/18) ist festgestellt:
“Die begehrte Leistung liegt nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges. Es ergibt sich ein Anspruch aus § 31 Abs. 6 SGB V. Die Vorschrift lautet: Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn 1.eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung a)nicht zur Verfügung steht oder b)im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, 2.eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Zunächst besteht bei der Klägerin eine schwerwiegende Erkrankung. Zur Definition dieses Tatbestandsmerkmals greift die Kammer auf die im Rahmen der Rechtsprechung zum Off-Label-Use entwickelten Grundsätze zurück. Danach liegt eine schwerwiegende Erkrankung vor, bei einer lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung (vgl. statt vieler BSG, Urt. v. 08. November 2011 – B 1 KR 19/10 R). Vom Vorliegend dieses Tatbestandsmerkmals ist die Kammer aufgrund der schweren psychischen Leiden der Klägerin überzeugt. Zudem wird diese Einschätzung durch den behandelnden Arzt und den MDK bestätigt.
Darüber hinaus geht die Kammer davon aus, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im vorliegenden Falle nicht zur Verfügung steht. Diesbezüglich stützt sich die Kammer ebenfalls auf die Stellungnahme des behandelnden Arztes. Dieser führt aus, dass die Standardmaßnahme ausgeschöpft seien. Die durchgeführten Behandlungen mit Psychopharmaka seien nicht als erfolgreich anzusehen, da entweder keine ausreichende Wirkung erfolgt sei oder die Nebenwirkungen zu stark seien. Weiterhin geht die Kammer davon aus, dass eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Hinsichtlich dieses Tatbestandsmerkmals greift die Kammer auf die Rechtsprechung des BVerfG zu notstandsähnlichen Situationen (nunmehr normiert in § 2 Abs. 1a SGB V) zurück. Es muss berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 31 Abs. 6 SGB V hinsichtlich des „Wirksamkeitsnachweises“ nicht auf die Kriterien zum off-label use abgestellt hat sondern in § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 die geringeren Anforderungen des § 2 Abs.1a SGB V übernommen hat.
„Eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung“ erfordert eine Wirksamkeitsprüfung am Maßstab der vernünftigen ärztlichen Praxis. Als „Beweismittel“ akzeptiert das BSG „Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte und ähnliche, nicht durch Studien belegte Meinungen anerkannter Experten sowie Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen“. Je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation ist, desto geringer sind die Anforderungen an die „ernsthaften Hinweise“ auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg (Plagemann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 2 SGB V, Rn. 60).
Vom Vorliegen einer spürbar positiven Einwirkung ist die Kammer überzeugt. Diesbezüglich ist von Relevanz, dass der behandelnde Arzt diese bejaht und damit die Angaben der Klägerin unterstützt.
Rechtsanwalt Martin Rokahr führt anschließend aus: „Weitere Ausführungen zum Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung oder der Aussicht auf Heilung sind in den Entscheidungen nicht enthalten. Die dritte Entscheidung in dieser Sache war lediglich ein Abänderungsbeschluss, der die erste Eilsacheentscheidung (die zeitlich befristet war) verlängert hat.“