Liebe Leserin, lieber Leser,
ich hatte kürzlich Besuch. Mein Gast berichtete, dass er kürzlich auch einen Professor besucht habe, der ihm erklärt habe, dass er Gutachten für die Krankenkassen zur Kostenübernahme einer Therapie mit Cannabis-Medikamenten erstelle. Er sei aber grundsätzlich gegen eine Cannabistherapie eingestellt. Diese klare Aussage ist schockierend. Es ist schlechterdings nicht möglich, ein sachliches Gutachten zu einer Therapie mit Cannabis durchzuführen, wenn man als Gutachter in dieser Weise voreingenommen ist. Wir brauchen uns vor diesem Hintergrund nicht zu wundern, wie unsachlich einige Gutachten des MDK ausfallen. Mit solchen Gutachtern in seinen Reihen machen sich nicht nur der MDK, sondern auch die Krankenkassen unglaubwürdig.
Patienten und ihre Behandler haben leider auch in anderen Bereichen, beispielsweise bei einigen Kassenärztlichen Vereinigungen, Führerscheinstellen sowie einigen Stellen zur Begutachtung der Fahreignung, also Stellen, die Medizinisch Psychologische Untersuchungen (MPU) durchführen, nicht selten mit Vorteilen zu kämpfen, wenn es um die medizinische Verwendung von Cannabis geht. Es ist noch viel zu tun, um die Akzeptanz dieser Therapie bei wichtigen Entscheidungsträgern aus Medizin und Begutachtung zu erhöhen!
Der kürzlich erschienene Alternative Drogen- und Suchtbericht 2020, der als PDF-Datei frei online zur Verfügung steht, enthält auch ein Update zu Cannabis als Medizin in Deutschland, das wir hier veröffentlichen.
Viel Spaß beim Lesen!
Franjo Grotenhermen
Inhalt:
-
Pressemitteilung: How is Germany Meeting Patient Demand for Medical Cannabis? (Labiotech)
-
Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage
Auszug aus dem Alternativen Drogen- und Suchtbericht: Update zur Cannabis als Medizin – Diskussion und Praxis (Alternativer Drogen- und Suchtbericht)
Hier findet sich ein Artikel zur aktuellen Situation zu Cannabis als Medizin in Deutschland aus dem Alternativen Drogen- und Suchtbericht, von Franjo Grotenhermen und Maximilian Plenert.
Update zur Cannabis als Medizin – Diskussion und Praxis
Zusammenfassung
Die Bilanz des Cannabis als Medizin-Gesetzes von 2017 zeigt viel Licht, wirft aber auch lange Schatten. Die rechtliche Grundlage hat in der Theorie einen guten Rahmen geschaffen, in der Praxis müssen Patienten und ihre Ärzte hart und zu oft erfolglos für eine Therapie mit Cannabis-Medikamenten kämpfen. Trotz aller Probleme ist die Wirkung des Gesetzes enorm. Die Zahl der Cannabis-Patienten steigt weiterhin schnell. Die Erfahrungen aus dem Ausland prognostizieren ein Potential von über einer Million Menschen, die mit Cannabis als Medizin ein besseres Leben führen könnten. Triebfeder für das Wachstum ist Engagement vieler Einzelner, während die strukturelle Integration der Behandlung mit Cannabinoiden als Teil der Regelversorgung ebenso auf sich warten lässt wie ein engagiertes Handeln der verantwortlichen Institutionen.
Vorbemerkung
Die Betrachtung der Verwendung von Cannabis-Medikamenten als gesundheitspolitisches Thema impliziert, dass alle Bundesbürger, deren Gesundheit, soziale und berufliche Leistungsfähigkeit sowie Lebensqualität durch Cannabis-Medikamente verbessert werden können, einen realen Zugang zu einer solchen Therapie erhalten sollten. Dieses Ziel hatte sich der Gesetzgeber bei der einstimmigen Verabschiedung des Gesetzes am 19. Januar 2017 im Deutschen Bundestag („Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“, Bundestagsdrucksache 18/8965) gesetzt.
Hintergrund
In der Stellungnahme der ACM vom 18. September 2016 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung hieß es:
„Aus Sicht der Patienten und der Ärzteschaft muss es darauf ankommen, dass die Entscheidung, ob ein Patient mit Cannabis-basierten Medikamenten behandelt wird, eine Entscheidung von Arzt und Patient ist. Ansonsten bleibt es bei einer Zweiklassenmedizin, mit größeren Optionen für vermögende Patienten. Viel wird daher davon abhängen, wie streng die Kriterien für eine Kostenübernahme solcher Präparate durch die Krankenkassen gehandhabt werden sollen, und ob Ärztinnen und Ärzte tatsächlich in der Lage sind angesichts ihres begrenzten Praxisbudgets Medikamente auf Cannnabisbasis auch in der Tat verschreiben können.“
Aktuelle Situation
Nach der gegenwärtigen Rechtslage sind – trotz ärztlicher Empfehlung einer Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten – weiterhin viele Patientinnen und Patienten von einer entsprechenden Behandlung ausgeschlossen.
Zahlreiche Ärzte sind grundsätzlich bereit Cannabis als Therapie zu nutzen, der Aufwand, ihr Mangel an Wissen und Angst vor Regressforderungen sind für viele die entscheidende Hürde. Patienten trauen sich nicht, das Thema Cannabis als Option anzusprechen, was im Einzelfall leider keine unbegründete Angst ist. Patienten berichten in der Folge von teilweise negativen Reaktionen bis hin zum Rauswurf aus der Praxis oder dem Abbruch der kompletten Therapie
Das häufigste Problem von Patienten ist die erfolgreiche Suche nach einem Arzt. Nicht alle Patienten sind in der Lage, die dafür häufig notwendige Kraft und Zeit aufzubringen. Problematisch können auch Situationen ohne freie Arztwahl sein, z.B. bei stationären Therapien.
Jede Behandlung mit Medikamenten auf Cannabisbasis, die auf eine Übernahme der Kosten durch die zuständige Krankenkasse abzielt, ist für den Arzt mit einem hohen Aufwand für den Antrag bei häufigen Ablehnungen bei minimaler Vergütung verbunden. Wird der Antrag nicht im ersten Anlauf genehmigt, muss der Patient zusammen mit seinem Arzt ein langwieriges Verfahren für den Widerspruch und möglicherweise vor dem Sozialgericht, eventuell in mehreren Instanzen, auf eine Kostenübernahme klagen. Häufig geben Patienten im Verlaufe dieses Prozesses auf.
Nur eine der Spitzen des Eisberges
Die in diesem Artikel explizit benannten Probleme und Lösungsvorschläge sowie ihre Adressaten stellen eine Auswahl dar.
Weiterhin werden die zahlreichen Erfahrungen, die Ärzte und Patienten machen nicht systematisch wissenschaftlich erforscht, bei der Begleiterhebung wird nur ein Bruchteil davon gesammelt. Problematisch ist der Umgang mit den Daten aus der Begleiterhebung. Das BfArM hat das Monopol beim Zugriff und veröffentlicht selbst selektiv Daten, was einen unmittelbaren Einfluss auf die öffentliche Debatte hat.
Patienten, die einen verschreibenden Arzt gefunden und auch eine Kostenübernahme haben, stehen vor weiteren Problemen, die von anderen Patienten jedoch eher als Luxusprobleme betrachtet werden, wie beispielsweise Lieferengpässe für bevorzugte Sorten oder Einschränkungen der Reisefreiheit mit ihrem Medikament.
Patienten, die cannabisbasierte Medikamente einnehmen, dürfen zwar grundsätzlich nach dem Gesetz am Straßenverkehr teilnehmen, wie dies auch für andere ärztlich verschriebene Betäubungsmittel, insbesondere Opiate, gilt. In der Praxis droht jedoch je nach Haltung der zuständigen Behörden und Begutachtungsstellen der Verlust des Führerscheins. Zwar hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Jahr 2015 in einem Merkblatt die Rechtslage erläutert und darauf hingewiesen, dass Cannabis-Patienten grundsätzlich am Straßenfeger teilnehmen dürfen, eine ausführliche Neufassung der Hinweise als klare Richtschnur für Polizeibeamte, Führerscheinstellen und MPU-Stellen steht jedoch aus.
Das Problem der Strafverfolgung hat die ACM in einer aktuellen Petition adressiert. → petition.arbeitsgemeinschaft-cannabis-medizin.de
Neben der Bundesregierung und dem Bundestags sind alle weiteren Akteure im Gesundheitswesen aufgerufen, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und Möglichkeiten die Probleme anzugehen, die einer Regelversorgung mit Cannabis-Medikamenten im Wege stehen.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind aufgerufen, ihrem Versorgungsauftrag auch beim Einsatz von cannabisbasierten Medikamente nachzukommen. Sie sind angesichts der gravierenden Probleme in der Pflicht, als Anlauf- und Beratungsstelle für Patienten und Ärzte zu dienen. Die Vermittlung von Ärzten fällt in ihre Zuständigkeit ebenso wie Hilfe bei der Kostenübernahme.
Die Ärztekammern und Fachgesellschaften müssen angesichts der Ängste, Bedenken und Wissenslücken ihrer Mitglieder reagieren. Beiträge mit Informationen zum Thema müssen fortlaufend weiterentwickelt und aktiv angeboten werden. Die Kenntnisse der Ärzte, die umfangreiche Erfahrungen mit dem Einsatz von Cannabis und Cannabinoiden gesammelt haben, müssen weitergegeben werden, um mehr Ärzte in die Versorgung mit entsprechenden Präparaten miteinzubeziehen.
Verzerrungen bei der Verteilung der Indikationen bei der Kostenübernahme
Mehr als 70 % der Kostenübernahmen, die sich in einer Zwischenauswertung der Begleiterhebung durch die Bundesprüfstelle niederschlagen, entfallen auf Schmerzerkrankungen – Patienten mit vielen anderen Indikationen sind unterrepräsentiert. Ein Teil der Verschreibungen von Cannabis-Medikamenten entfällt auf solche, bei denen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der Behandlung übernommen haben. Diese werden durch eine fünfjährige Begleiterhebung durch die Bundesprüfstelle erfasst. Nicht erfasst werden Verschreibungen auf Privatrezepten, die entweder bei privaten Krankversicherern eingereicht oder von den Patienten selbst bezahlt werden. Nach Angaben der Bundesregierung lagen bis zum 6. März 2020 8872 vollständige Datensätze in der Begleiterhebung vor.
Andere Erkrankungen (Tourette-Syndrom, Restless Legs Syndrom, Schlafstörung) machen weniger als ein Prozent der Erkrankungen aus. Andere bewährte Indikationen tauchen überhaupt nicht auf. Es ergibt sich ein deutlicher Unterschied zur Verteilung der Erkrankungen, für die die Bundestruppenstelle in den Jahren 2007-2016 Ausnahmeerlaubnissen zur Verwendung von Medizinalcannabisblüten aus der Apotheke nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz erteilt hat. Dort bildeten psychiatrische Erkrankungen, wie ADHS, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörung, sowie chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Bechterew einen deutlich größeren Anteil der Patienten, die nach Auffassung der Bundesopiumstelle eine Therapie mit Cannabis benötigten.
Besonders deutlich wird dies bei psychischen Problemen und speziell bei der Diagnose ADHS. Diese Patienten sind bei den Kostenübernahmen unterrepräsentiert, dafür machen sie einen überdurchschnittlichen Anteil bei Informationsangeboten wie dem ACM-Patiententelefon aus. Psychische Erkrankungen hatten bei den Patienten mit Ausnahmeerlaubnisse einen Anteil von 23%. Bei den Kostenübernahmen sank der Anteil auf 5%. Bei ADHS sank der Anteil von 14% im Rahmen der Ausnahmeerlaubnisse auf nur 2%.
Diskrepanz zwischen Versorgung und Bedarf
Eine genaue Abschätzung der Zahl der Patienten in Deutschland, die cannabisbasierte Medikamente legal erhalten, ist aufgrund fehlender Daten über die Ausstellung von Privatrezepten bzw. Privatpatienten mit einer Kostenzusage nicht möglich. Es ist davon auszugehen dass die meisten Patienten die keine Kostenübernahme erhalten ihren Bedarf über Privatrezepte aus wirtschaftlichen Gründen nur teilweise decken können.
Bei einer großzügigen Annahme der Zahl von Privatpatienten erhielten etwa 20-30.000 Patienten in Deutschland Medikamente auf Cannabisbasis. Dies entspricht bei einer Einwohnerzahl von 83,2 Millionen einem Anteil von 0,025-0,036 %. Aus anderen Ländern, wie Israel, Kanada und einigen Staaten der USA ist bekannt, dass der reale Bedarf für eine ausreichende gesundheitliche Versorgung mit Cannabis-Medikamenten bei etwa 1 bis 2 % der Bevölkerung und damit mindestens 870.000, eher aber mehr als eine Million Patienten liegt.
Es kann sicher davon ausgegangen werden, dass deutlich weniger als 10 % der Patienten – dies wären 87.000 Patienten –, die einer solchen Therapie bedürfen, diese auch erhalten.
Lösungsvorschläge für bestehende Probleme
Problem: Ablehnung der Kostenübernahme aufgrund unzureichender klinischer Datenbasis
Für viele schwere Erkrankungen, bei denen cannabisbasierte Medikamente einen therapeutischen Nutzen haben und bei denen die Bundesopiumstelle zwischen 2007 und 2016 entsprechende Ausnahmeerlaubnisse nach § 3 Abs. 2 BtMG erteilt hatte, gibt es nur eine unzureichende klinische Datenbasis. Die Krankenkassen sind dazu übergegangen, bei diesen Patienten „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome“ (§ 31 Abs. 6 SGB V) zu negieren, obwohl die betroffenen Patienten nach ärztlicher Einschätzung eine positive Einwirkung auf ihre Erkrankung bzw. Symptomatik tatsächlich erleben.
Lösungsvorschlag: Die Krankenkassen sollten zur Kostenübernahme verpflichtet werden, wenn ein cannabisbasiertes Medikament im konkreten Einzelfall eine tatsächliche „spürbare positive Einwirkung“ auf die Erkrankung bzw. Symptome bewirkt. Sinnvoll wäre eine Regelung, wie sie für die Kostenübernahme bei dem Fertigarzneimittel Sativex® gilt. Dieses Medikament kann für die Behandlung der mittelschweren bis schweren Spastik bei multipler Sklerose von Erwachsenen verschrieben werden. Die Kosten werden langfristig allerdings nur dann erstattet, wenn sich während eines Behandlungsversuchs auch tatsächlich eine Besserung einstellt.
Problem: Ablehnung der Kostenübernahme aufgrund mangelnder Schwere der Erkrankung
Krankenkassen lehnen immer wieder eine Kostenübernahme ab, weil Erkrankungen nicht als „schwerwiegend“ eingestuft werden.
Lösungsvorschlag: Die Passage im Sozialgesetzbuch V, in der es heißt „Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung …“ wird ergänzt durch „Als schwerwiegend ist eine Erkrankung dann einzustufen, wenn dadurch die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt wird.“ Bereits die Anforderungen des § 13 Betäubungsmittelgesetzes schließen aus, dass Cannabis-basierte Medikamente bei leichten bzw. nicht schwerwiegenden Erkrankungen eingesetzt werden dürfen.
Problem: Ablehnung der Kostenübernahme ohne Benennung von Therapiealternativen
Krankenkassen lehnen nicht selten eine Kostenübernahme ab, weil noch nicht alle Therapieoptionen ausgeschöpft seien, ohne allerdings konkret zu benennen, welche Therapien noch durchgeführt werden sollten. Die behandelnden Ärzte wissen dann nicht, welche Therapien nach Auffassung der Krankenkasse bzw. des MDK noch durchgeführt werden sollen, bevor ein Behandlungsversuch mit einem Cannabis-basierten Medikament genehmigt werden kann.
Lösungsvorschlag: Die Krankenkassen dürfen einen Antrag wegen fehlender Ausschöpfung von Standardtherapien nur dann ablehnen, wenn diese konkret benannt werden.
Problem: Kostenexplosion bei Cannabisblüten
Die Kosten für Cannabisblüten in der Apotheke sind in 2017 erheblich gestiegen, weil sie nach Inkrafttreten des Gesetzes nach § 4 oder § 5 Arzneimittelpreisverordnung als Rezepturarzneimittel abgegeben werden müssen. Dies belastet das ärztliche Budget, die Krankenkassen und insbesondere Patienten, die solche Medikamente weiterhin selbst finanzieren müssen. Die Kostenreduktion durch Verhandlungen der Spitzenverbände auf Grundlage des GSAV (Gesetz zu mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung), das am 16. August 2019 in Kraft trat, ist unzureichend. Es entlastet die Krankenkassen nur gering und bringt keine Vorteile für Selbstzahler.
Lösungsvorschlag: Die Prüfung der Identität verschiedener Chargen von Medizinalcannabisblüten sollte nach dem Vorbild der Niederlande zentral in der Cannabisagentur oder einer anderen Stelle erfolgen. Eine Prüfung jeder einzelnen Dose derselben Charge könnte dann in den Apotheken entfallen, sodass die Behältnisse nicht mehr geöffnet werden müssten und die Medizinalcannabisblüten als fiktives Fertigarzneimittel behandelt werden könnten.
Arzneimittelpreise sind politische Preise, da ihre Zusammensetzung weitgehend rechtlich fest geregelt ist. Dass es auch anders geht, zeigen die Niederlande. In den dortigen Apotheken sind die gleich verpackten Cannabissorten des niederländischen Unternehmens Bedrocan für etwa ein Drittel des Preises (6-7 € versus 21-23 € pro Gramm) erhältlich.
Problem: Drohende Regresse (Strafzahlungen) für Ärzte
Ärztinnen und Ärzte fürchten bei einer Verordnung hoher Dosierungen Cannabis-basierter Medikamente, dass dies Strafzahlungen an die Krankenkassen, so genannte Regresse, nach sich ziehen könnte unter dem Vorwurf mangelnder Wirtschaftlichkeit – trotz Kostenübernahme der Behandlung.
Lösungsvorschlag: Die Verordnung von Arzneimitteln mit den Wirkstoffen THC und Nabilon sind bei den Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach §§ 106-106c SGB V als zu berücksichtigende Praxisbesonderheiten von der Prüfungsstelle anzuerkennen, sofern eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse erfolgt. Bereits heute sind viele Medikamente im Anwendungsgebiet mit einem Zusatznutzen laut G-BA-Beschluss als bundesweite Praxisbesonderheit anzuerkennen. Der Kostenübernahmevorbehalt der Krankenkassen kann so wie ein akzeptierter Zusatznutzen nach G-BA-Beschluss der vergleichbar behandelt werden.
Der Weg zur Durchsetzung von Rechten führt (manchmal) über die Gerichte
Zahlreiche Patienten führten Prozesse um ihr Recht auf eine Therapie mit Cannabis durchzusetzen. Selbst bei Fragestellungen, die sich klar aus dem Gesetz beantworten lassen, müssen Patienten ihre Rechte bis zur Ebene der Landessozialgerichte einklagen. Neu sind derartige Probleme nicht. Das Bundesversicherungsamt wies bereits in seinem Tätigkeitsbericht 2017 darauf hin, dass einzelne Kassen die Genehmigung rechtswidrig befristet haben oder auf die Genehmigungsfiktion vom Versicherungsamt als Aufsichtsbehörde hingewiesen werden mussten.
Einschränkung auf kostengünstigste Darreichungsform unzulässig
Das Landessozialgericht in München hat Ende 2019 in einem Urteil klargestellt, dass die Krankenkassen nicht nur die kostengünstige Darreichungsform genehmigen darf, wenn andere Formen eine andere Wirkung zeigen. Die Therapiefreiheit hinsichtlich Art und Dosis liegt ausschließlich beim Vertragsarzt. (LSG München, Urteil v. 05.11.2019 – L 5 KR 544/18)
Urteil zur Austherapiertheit des Landessozialgerichts Hamburg
Die Entscheidung, ob eine reguläre Therapieoption und Kassenleistung zum Einsatz kommen kann oder nicht, trifft allein der behandelnde Arzt. Dies wurde im Gesetz explizit festgeschrieben. Die Krankenkasse darf nur prüfen, ob eine „begründete Einschätzung“ vorliegt, eine inhaltliche Auseinandersetzung steht ihr nicht zu. Wichtig für den Kostenantrag ist, dass der Arzt für jede ausgeschlossene Standardtherapie explizit eine „begründete Einschätzung“ dokumentiert. Dabei müssen insbesondere die Nebenwirkungen und die konkrete Situation des jeweiligen Patienten berücksichtigt werden. Daneben können auch weitere medizinische Gründe wie ein Therapieerfolg mit Cannabisblüten angeführt werden. Beschluss vom 02.04.2019 (Sozialgericht Hamburg S 18 KR 1736/18 ER; Landessozialgericht Hamburg L 1 KR 16/19 B ER)
Zeitliche Befristung der Kostenübernahme unzulässig
Eine zeitliche Befristung der Kostenübernahme einer Therapie mit Cannabis als Medizin durch die Krankenkasse ist nicht zulässig. Die Genehmigung ist nur einmalig vor Beginn der Therapie einzuholen, wie dies das Sozialgericht Hildesheim deutlich machte (Sozialgericht Hildesheim, S32 KR 4041/17 ER).
Oberverwaltungsgericht Saarlouis: Führerschein zu Unrecht entzogen
Ein Verkehrsteilnehmer, der Cannabis zu medizinischen Zwecken verwendet, hat den Führerschein zurückerhalten, nachdem das Oberverwaltungsgericht Saarlouis am 3.9.2018 (Aktenzeichen: 1 B 221/18) entschieden hatte, dass ihm der Führerschein zu Unrecht entzogen worden war. Er befand sich zum Zeitpunkt einer Hausdurchsuchung noch in einer Selbsttherapie mit illegalem Cannabis, zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis jedoch in ärztlicher Behandlung.
Pressemitteilung: How is Germany Meeting Patient Demand for Medical Cannabis? (Labiotech)
Wir veröffentlichen hier Auszüge eines Interviews mit Peter Homberg, dass aus dem englischen mit der Software Deepl automatisch übersetzt wurde.
How is Germany Meeting Patient Demand for Medical Cannabis? (Labiotech)
Seit Deutschland im Jahr 2017 Cannabis für die medizinische Verwendung legalisiert hat, haben wir häufig mit Peter Homberg, Partner und Leiter der deutschen Life Sciences Practice und der European Cannabis Group bei Dentons, einer weltweit tätigen Anwaltskanzlei, gesprochen. Im Laufe der Jahre hat uns Peter Homberg regelmäßig über die europäische und deutsche medizinische Cannabisindustrie auf dem Laufenden gehalten.
In diesem jüngsten Interview sprachen Peter und ich über die jüngsten Entwicklungen auf dem deutschen Cannabismarkt, beginnend mit den Veränderungen bei den Importmengen, der Wahl der Logistik- und Großhandelsdienstleistungen für in Deutschland angebauten medizinischen Cannabis und darüber, was wir in Deutschland und Europa in Zukunft erwarten können.
Peter, Deutschland hat seit einiger Zeit einen dringenden Bedarf an größeren Mengen importierten medizinischen Cannabis. Was gibt es dort Neues?
Jedes Jahr legt das Internationale Suchtstoffkontrollamt (INCB), das im Rahmen des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe von 1961 eingerichtet wurde, die Schätzungen der Nachfrage nach Suchtstoffen fest. Dies wirkt sich gleichzeitig auf die jährlichen Höchstmengen für die Einfuhr von Betäubungsmitteln aus.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die nach Deutschland importierten Mengen im Laufe der Jahre deutlich zugenommen haben. Im Jahr 2015 lag die vom INCB bestätigte Höchstmenge für die Einfuhr von Cannabis für medizinische und wissenschaftliche Zwecke nach Deutschland bei rund 1.500 Kilogramm. Mit der Liberalisierung von medizinischem Cannabis im Jahr 2017 stiegen die Mengen auf 10,38 Tonnen. Diese Menge blieb mit etwa 10,69 Tonnen im Jahr 2018 stabil.
Im Jahr 2019 stieg die Nachfrage der Patienten dramatisch an, und der INCB bestätigte eine Menge für die Einfuhr von medizinischem und wissenschaftlichem Cannabis von etwa 20,77 Tonnen. Damit hatte sich die jährliche Höchstmenge für die Einfuhr von Cannabis nach Deutschland im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt.
Die wesentliche Frage war, was im Jahr 2020 geschehen würde. Aus unbekannten Gründen – wahrscheinlich die Coronavirus-Pandemie und die Stagnation neuer Patienten in den Arztpraxen – legte das INCB für das Jahr 2020 zunächst nur eine Importmenge von 16,1 Tonnen fest. Die Importeure merkten bald, dass diese Menge nicht ausreichen würde, um den Bedarf der Patienten zu decken.
Kürzlich reagierte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und stellte beim INCB einen Antrag auf Erhöhung der 16,1 Tonnen um etwa 12,36 Tonnen, was bedeutet, dass wir im Jahr 2020 über 28 Tonnen medizinisches und wissenschaftliches Cannabis zur Einfuhr erreichen würden. Der entsprechende Antrag ist noch anhängig und wurde vom INCB noch nicht genehmigt.
Die vom INCB geschätzten Mengen umfassen Cannabis für wissenschaftliche und medizinische Zwecke, Cannabisblüten für die direkte Behandlung von Patienten und für die Herstellung von Dronabinol sowie Extrakte und das Fertigprodukt Sativex® und andere verschreibungspflichtige Cannabisextrakte.
Warum ist diese Zunahme des importierten medizinischen Cannabis für Deutschland so wichtig?
Im vergangenen Jahr begannen drei lizenzierte Produzenten, Aurora, Aphria und Demecan, mit dem Anbau von medizinischem Cannabis in Deutschland. Ich habe jedoch Aussagen von allen drei Produzenten gesehen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass wir die erste Ernte in Deutschland nicht vor Ende 2020 sehen werden, und zwar dann, wenn alles gut geht.
Dennoch hat das BfArM dem INCB mitgeteilt, dass im Jahr 2020 schätzungsweise 650 kg getrocknete Cannabisblüten aus dem Anbau in Deutschland für medizinische Zwecke produziert werden.
Zudem steigt die Nachfrage der Patienten kontinuierlich an, weshalb wir nach wie vor Importe von Cannabis benötigen, um die steigende Nachfrage zu decken. Derzeit wird Cannabis für medizinische Zwecke nur aus drei Ländern importiert. Dies sind Kanada, die Niederlande und Portugal. Es gibt Importe aus anderen Ländern, aber nur für Forschungs- und Entwicklungszwecke.
Eine Reihe von europäischen und ausländischen Züchtern befasst sich derzeit mit dem deutschen Markt und wird wahrscheinlich in naher Zukunft medizinische Cannabisprodukte nach Deutschland exportieren. Covid-19 verursacht in dieser Hinsicht einige Verzögerungen.
Kürzlich war das BfArM auf der Suche nach einem Vertreiber für in Deutschland angebauten Cannabis. Was ist der Hintergrund und welches Unternehmen hat die Ausschreibung gewonnen?
(…)
Welche Entwicklungen können wir in der Zukunft erwarten?
Gegenwärtig konzentriert sich die deutsche Industrie auf Cannabisblüten. In Zukunft werden wir auf jeden Fall die Entwicklung alternativer Cannabisprodukte, wie Verdampfer oder Gelkapseln, sehen.
Das Haupthindernis besteht derzeit darin, dass Cannabis für medizinische Zwecke als eine Magistralmischung definiert ist, was bedeutet, dass der Apotheker einen bestimmten Herstellungsschritt durchführen muss, bevor er das Produkt verkauft. Ohne diesen Herstellungsschritt würde das Produkt als Fertigarzneimittel gelten, für das eine Marktzulassung erforderlich wäre.
Daher sucht die Industrie jetzt nach Produktoptionen, die den Herstellungsschritt umfassen, bei dem der Apotheker das Produkt als Magistralmischung und nicht als Fertigarzneimittel definieren kann.
Es gibt viele verschiedene Vorstellungen darüber, was getan werden kann, und wir sehen eine zunehmende Absicht, neue Produkte zu entwickeln, die vielleicht noch sicherer in der Anwendung sind, von Ärzten leichter verschrieben werden können oder eine höhere Wirkstoffstabilität aufweisen.
(…)
Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage
Münchner Unternehmen DRAPALIN führt Cannabis aus Spanien ein (Apotheke ADHOC)
Cannabis: Jobmotor im Südlichen Afrika (Deutschlandfunk)
ADREXpharma: Verpasst Deutschland einen Milliardenmarkt? (Berliner Sonntagsblatt)
Drogenpolitik: Cannabis: Experten plädieren für Freigabe (op-online.de)