Liebe Leserin, lieber Leser,
die Öffentlichkeit erfährt von der Not der Patientinnen und Patienten, die sich trotz eines Cannabis als Medizin-Gesetzes weiterhin im illegalen Bereich bewegen müssen oder untertherapiert sind, nur etwas, wenn die Medien über ein besonders gravierendes Strafverfahren berichten. Wie etwa durch die Süddeutsche Zeitung im Falle des Ehepaares, der vor dem Amtsgericht Dachau verhandelt wurde. Es muss mehr als 10.000 Euro Strafe bezahlen, für etwas, für das man heutzutage keine Strafe mehr zahlen sollte.
In den meisten Fällen, wie etwa den meines Patienten, der mir vorgestern eine E-Mail schrieb, müssen die Betroffenen mit ihrer Verzweiflung und ihrem Unverständnis angesichts der gegenwärtigen Rechtslage mehr oder weniger allein zurechtkommen. Er schrieb:
„(…) bei der Gerichtsverhandlung im Ende Februar hat sich leider am Urteil nichts mehr geändert. Es blieb bei 7 Monaten auf 3 Jahre Bewährung und Ableistung von 200 Sozialstunden, Drogenberatung und Abgabe regelmäßiger Urinkontrollen. Darüber hinaus bekam ich heute noch die Rechnung der Staatsanwaltschaft von über 7000 Euro Gerichtskosten. Ich habe 300 Gramm für mich angebaut, nachdem meine Apotheke 1500 Euro für 75 Gramm verlangt hat und nach mehreren Jahren Klageverfahren niemand für meine Medikamente aufkommen wollte. Das ist doch alles nur noch ein großer schlechter Witz. (…) Das können sie gerne veröffentlichen.“
Der Betroffene befindet sich seit 2014 in meiner ärztlichen Behandlung, aufgrund einer ADHS, die durch Standardmedikamente nicht ausreichend behandelt werden kann, jedoch auf Cannabis gut anspricht. Er hat daher im Jahr 2014 eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Betäubungsmittelgesetz von der Bundesopiumstelle erhalten. Für ihn hatte die Gesetzesänderung eine Verschlechterung mit sich gebracht, da für ihn die einzige relevante Änderung eine erhebliche Erhöhung der Preise seines Medikamentes in der Apotheke war.
Man könnte sich grundsätzlich die Frage stellen, ob dieser Patient Cannabis aus medizinischen Gründen benötigt oder nicht. Wenn er Cannabis nicht benötigt, stellt sich die Frage, ob die Mitarbeiter der Bundesopiumstelle durch die Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben. Wenn er aber Cannabis benötigt, warum bekommt er dann in Deutschland keinen legalen Zugang zu einer solchen Therapie und was muss getan werden, damit er einen solchen Zugang erhält?
Viel Spaß beim Lesen!
Franjo Grotenhermen
Inhalt:
- Presseschau: Rausch zur Schmerzlinderung (Süddeutsche Zeitung)
- Einige Pressemeldungen der vergangenen Tage
Presseschau: Rausch zur Schmerzlinderung (Süddeutsche Zeitung)
Einige Medien berichteten über ein Strafverfahren gegen ein Ehepaar, das wegen des illegalen Anbaus von Cannabis zu medizinischen Zwecken zu 150 Tagessätzen zu 15 Euro bzw. 80 Euro, entsprechend 14.250 Euro verurteilt wurde. Eine andere Tageszeitung berichtete, das Ehepaar sei zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.925 Euro verurteilt worden.
Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz werden vor dem Dachauer Amtsgericht häufig verhandelt, der Fall eines Röhrmooser Ehepaares ist dennoch in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Die 44-jährige Ehefrau und ihr 41-jähriger Ehemann haben in ihrer Wohnung Marihuana angebaut und das in großen Mengen: Die Polizei beschlagnahmte knapp 300 Gramm Gras. Allerdings stand für die beiden, wie Richter Tobias Bauer es in seiner Urteilsbegründung formulierte, "nicht der Rausch, sondern die Linderung" im Fokus.
Die angeklagte Röhrmooserin leidet unter anderem an der systemischen Autoimmunkrankheit Lupus. Bei dieser richten sich Abwehrmechanismen gegen den eigenen Körper. Um die daraus resultierenden chronischen Hautentzündungen zu lindern, wollte das Ehepaar eigenen Angaben zufolge ein von einem Arzt empfohlenes Öl herstellen, das es nicht zu kaufen gibt und für dessen Produktion bis zu 500 Gramm Marihuana erforderlich sind. Vor Gericht gaben die Eheleute den Besitz vollumfänglich zu. Das Schöffengericht befand die Geständnisse trotz der ungewöhnlichen Geschichte der Angeklagten für glaubhaft und verurteilte die beiden zu Geldstrafen von je 150 Tagessätzen, die Frau in Höhe von 15 Euro, ihren Mann in Höhe von 80 Euro.
Anders als die Staatsanwältin sah das Gericht trotz der hohen Menge an sichergestelltem Marihuana einen minderschweren Fall für gegeben, wodurch sich aus Sicht von Richter Bauer eine Freiheitsstrafe auf Bewährung in eine Geldstrafe umwandeln ließ.
"Mir tut’s leid, dass ich da den falschen Weg gewählt habe letzen Endes"
Seit 2012 ist die Angeklagte in Frührente, weil nicht nur die Autoimmunkrankheit, sondern auch eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Depression das Arbeiten für die gelernte Kauffrau unmöglich machen. Weil sie zudem keine herkömmlichen Medikamente vertrage, sei ihr 2016 erstmals medizinisches Marihuana verschrieben worden, führte ihre Verteidigerin vor Gericht aus. Nachdem ihr Arzt seine Praxis habe schließen müssen und sich zunächst kein anderer Arzt habe finden lassen, der ihr das Marihuana verschrieben hätte, das in der Apotheke ohnehin extrem teuer sei – 20 Gramm kosten rund 500 Euro, die von der Kasse nur in Ausnahmefällen übernommen werden – habe sich das Ehepaar nicht anders zu helfen gewusst, als die schmerzlindernde Droge Ende 2019 selbst anzubauen.
Auf die Frage von Richter Bauer, warum sie sich bislang nie um eine Kostenübernahme bemüht habe, sagte die Angeklagte, dass der bürokratische Aufwand wahnsinnig hoch sei und die Erfolgsaussichten gering. Hinzu komme, dass es trotz der Erlaubnis, Marihuana zu verschreiben, kaum Ärzte im Raum München gebe, die dies auch täten. Bei der Kassenärztliche Vereinigung habe man sie "ausgelacht"als sie sich an diese gewandt habe. Nach der Beschlagnahmung der Polizei habe sie nun aber endlich wieder einen Arzt gefunden, der ihr Gras und CBD-Öl verschreibe. Am Ende der Verhandlung sagte die Angeklagte: "Mir tut’s leid, dass ich da den falschen Weg gewählt habe letzen Endes." Nun wolle sie alles richtig machen.
"Sie litt an einer Psychose"
Aufgeflogen war der Anbau letztlich, weil die Röhrmooserin im Februar des vergangenen Jahres eine Psychose erlitt und daraufhin ohne Schuhe zum Bahnhof lief. Ihr Mann, der sie dort fand, versuchte sie durch Festhalten davon abzuhalten, in die S-Bahn einzusteigen. Ein Passant, der die Szene offenbar besorgniserregend fand, rief die Polizei. Der 41-Jährige, der wie er selbst sagte, "völlig überfahren" von der Situation gewesen sei, ließ die Beamten im Anschluss in die Wohnung, wo diese sofort das Gras rochen. Richter Bauer bezeichnete die Umstände der Entdeckung als "außergewöhnlich", doch der Angeklagte sagte nur, er habe ja "nichts zu verbergen" gehabt – bis auf die illegalen Pflanzen eben. Ihm sei es in dieser Situation und auch sonst immer nur um das Wohl seiner Frau gegangen. Die beiden Verteidiger sprachen von einem "tragischen Fall".
Weil die Frau einen Großteil ihrer Rente für die Linderung ihrer Beschwerden benötigt – monatlich im Schnitt knapp 1000 Euro – und finanziell auf ihren Ehemann angewiesen ist, der als Informatiker arbeitet, waren sich die beiden Verteidiger nicht sicher, ob eine Bewährungsstrafe, wie von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen, oder eine Geldstrafe besser wäre. Richter Bauer und die Schöffen entschieden letztlich, dass Ehepaar aufgrund "der besonderen Umstände" lediglich zu Geldstrafen zu verurteilen. Die Summe, die der Mann bezahlen müsse, sei nur höher, weil er mehr verdiene. Das Schöffengerichte teilte die Auffassung der Staatsanwältin, dass es sich bei dem Paar nicht um "typische Drogenkonsumenten" handele. Das Ausmaß des Leids der Frau, das zu der Tat geführt habe, so Richter Bauer, wolle er sich gar nicht ausmalen.
Einige Pressemeldungen der vergangenen Tage
Four 20 Pharma: Erste dosierbare Cannabis-Vaporizer für den europäischen Markt geplant (Presseportal)
Der legale Marihuana-Markt wird voraussichtlich bis 2027 mit beeindruckender Geschwindigkeit expandieren (SecurtiyBlog)
Cannabis als Medizin in Deutschland: Wenn herkömmliche Therapieansätze versagen (Wochenblatt)
Bundestagswahl 2021 – Cannabis-Legalisierung als Wahlkampfthema (ZDF heute)
BGH hat Hanftee-Vertrieb verboten, um das Backen von Haschischkeksen zu verhindern (Haufe)
Vaporizer – Medizinische Verwendung von Verdampfern (Forschung und Wissen)