Liebe Leserin, lieber Leser,
kürzlich erhielt ich eine E-Mail eines Kollegen, in der dieser berichtete: „Ich habe gerade mit einer Apotheke telefoniert. Diese bekommen tausende, absolut fragwürdige Rezepte aus Kroatien zugeschickt und fühlen sich verpflichtet, diese zu beliefern und das verschriebene Cannabis an Personen abzugeben.“ Das widerspreche doch jeglicher Berufsethik, und er fragt, welcher Stelle man solche Scharlatane melden könne.
Ärzte bzw. Unternehmen, die mit mangelnder ärztlicher Sorgfalt agieren, könnten nach meinem Eindruck dem berechtigten Ansinnen von Patienten nach einer ausreichenden Versorgung mit cannabisbasierten Medikamenten einen Bärendienst erweisen. So könnten alle Telemedizin-Unternehmen unter Generalsverdacht einer sorglosen Verschreibung und alle Patienten, die telemedizinisch versorgt werden, generell unter dem Verdacht stehen, in Wirklichkeit Freizeitkonsumenten zu sein. Ich selbst arbeite seit 2012 telemedizinisch, was richtig angewendet, ein wunderbares Werkzeug im Rahmen einer guten ärztlichen Therapie sein kann. Einige Telemedizin-Unternehmen könnten dagegen die Stigmatisierung von Cannabis-Patienten, die in den vergangenen Jahren abgebaut werden konnte, wieder vergrößern.
Ein weiteres Thema in diesem Rundbrief ist die Diskussion um THC-Grenzwerte im Blut. Eine Expertenkommission hatte im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums dazu einen Vorschlag erarbeitet. Nach Angaben des nordrheinwestfälischen Innenministers Herbert Reul (CDU) sei er gegen die Legalisierung von Cannabis, weil es zu einer erheblichen Erhöhung der Verkehrsunfallzahlen kommen werde. Solche Äußerungen nähren den Verdacht, dass die Sanktionierung von Cannabiskonsumenten erneut mit Mitteln des Straßenverkehrsrechts erfolgen soll, denn die Legalisierung von Cannabis hat mit THC-Grenzwerten zunächst einmal nichts zu tun.
Abschließend hier ein Hinweis auf Fragen und Antworten zum Cannabisgesetz durch das Bundesministerium für Gesundheit.
Beste Grüße
Franjo Grotenhermen
Inhalt
- Zur Diskussion um THC-Grenzwerte im Straßenverkehr
- Presseschau: Bayern kündigt Widerstand bei Cannabisgrenzwerten an (Deutsches Ärzteblatt)
- Presseschau: Was sich jetzt für Patienten und Apotheken ändert (Handelsblatt)
- Presseschau: Cannabis als Medizin: Apothekerverband erwartet Verdoppelung der Privat-Verordnungen (Ludwigsburg24)
- Presseschau: Verband alarmiert: „Pseudo-Patienten“ besorgen sich über Telemedizin-Plattformen Cannabis (Frankfurter Rundschau)
- Presseschau: Basler Studie zeigt: Medizinisches Cannabis verbessert psychische Gesundheit (Basel jetzt)
- Weitere Meldung der vergangenen Tage
Zur Diskussion um THC-Grenzwerte im Straßenverkehr
von Franjo Grotenhermen
Ein Artikel im Deutschen Ärzteblatt greift die aktuelle Debatte um höhere THC-Grenzwerte im Straßenverkehr auf (Debatte um höhere Cannabisgrenzwerte im Straßenverkehr hält an).
Die Position der CDU
Der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Thomas Barreiß wird darin mit den Worten zitiert: „Dass sich die Verkehrssicherheit für jedermann damit nachhaltig verschlechtern wird, bestreitet niemand. (…) Ich bin der Auffassung, dass man Konsum und Verkehrssicherheit schwer unter einen Hut bekommt.“
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) wird mit den Worten zitiert, er erwarte „fatale Auswirkungen“ der Cannabisteillegalisierung auf die Unfallzahlen. „Das war ein Grund, warum ich von Anfang an klar gegen die Freigabe war.“
Die Position der SPD
Der Vize-Fraktionschef der SPD-Bundestagsfraktion, Detlef Müller, sprach sich hingegen für den Vorschlag der Kommission aus. „Der Grenzwert für die im Straßenverkehr zulässige THC-Höchstmenge im Blut sollte sich an den Vorschlägen der Expertengruppe orientieren, die auf einer Vielzahl wissenschaftlicher Studien basieren.“
Die wissenschaftliche Datenlage
Mögliche Risiken der Cannabisverwendung im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr müssen ernst genommen werden, was beispielsweise eine entsprechende Beratung bei der medizinischen Verwendung cannabisbasierter Medikamente erfordert. Aus der wissenschaftlichen Datenlage lassen sich allerdings die von Herrn Reul angenommenen fatalen Auswirkungen einer geringen Erhöhung des THC-Grenzwertes nicht ableiten. Auch die Behauptung des Herrn Barreiß (CDU) steht im Widerspruch zu den nüchternen wissenschaftlichen Fakten.
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2023
Eine Meta-Analyse, also eine Analyse von Ergebnissen verschiedener Studien zum gleichen Thema, aus dem Jahr 2023 ergab, dass sich das Risiko von Zusammenstößen mit Kraftfahrzeugen und das Verschulden an Unfällen zwischen THC-positiven und THC-negativen älteren Erwachsenen nicht signifikant unterscheiden (IACM-Informationen 8. April 2023). In diese Metaanalyse wurden alle THC-positiven älteren Fahrer eingeschlossen, also auch solche mit THC-Gehalten von mehr als 20 Nanogramm/Milliliter Blut. Die Annahme einer Risikoerhöhung bei einer geringen THC-Konzentration von weniger als 5 Nanogramm/Milliliter Blutserum ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.
In der Zusammenfassung ihrer Publikation schreiben die Wissenschaftler mehrerer kanadischer Universitäten (Chinna-Meyyappan A, et al. Brain Sci. 2023;13(3):421): „Wir haben eine systematische Überprüfung und Metaanalyse durchgeführt, um die Auswirkungen der Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC)-Exposition auf das Risiko (1) von Kraftfahrzeugkollisionen (MVC) und (2) der Schuld an MVCs bei Erwachsenen ab 50 Jahren zu bewerten. Drei Gutachter überprüften 7022 Studien, die über MEDLINE, EMBASE, CENTRAL und PsycINFO identifiziert wurden. (…) Das gepoolte MVC-Risiko unterschied sich nicht signifikant zwischen THC-positiven und THC-negativen älteren Fahrern (OR, 95% CI 1,15 [0,40, 3,31]; I2 = 72%). In den Studien zur Schuldfähigkeit war die THC-Exposition bei Erwachsenen über 50 Jahren nicht signifikant mit einem erhöhten Risiko verbunden, einen Verkehrsunfall verschuldet zu haben (OR, 95% CI 1,24 [0,95, 1,61]; I2 = 0%). Die Inspektion der Trichterdiagramme ergab keine Hinweise auf Publikationsverzerrungen. Unsere Überprüfung ergab, dass die THC-Exposition weder mit der Beteiligung an Verkehrsunfällen noch mit der Schuld an Verkehrsunfällen assoziiert war.“
Eine aktuelle Studie vom April 2024
Die jüngste mir bekannte Studie zum Thema Cannabis und Straßenverkehr stammt von Wissenschaftlern verschiedener US-amerikanischer Universitäten. Sie kam zu dem Ergebnis, dass es möglicherweise sogar keinen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Verkehrsunfällen gibt (IACM-Informationen vom 3. Februar 2024). Auch hier waren alle Cannabiskonsumenten eingeschlossen und nicht nur solche mit vergleichsweise niedrigen THC-Konzentrationen von weniger als 5 Nanogramm/Milliliter im Blutserum, sondern auch solche mit höheren THC-Konzentrationen von mehr als 20 Nanogramm/Milliliter Blut. Die Forscher führten eine Querschnittsstudie über Besuche in Notaufnahmen durch, um den Zusammenhang zwischen Cannabis- und Alkoholkonsum einerseits und Verkehrsunfällen andererseits zu untersuchen.
Zusammenfassend schrieben die Forscher (Choo EK, et al. Accid Anal Prev. 2024;198:107459.): „Es handelte sich um eine Querschnittsstudie über die Besuche von Autofahrern in Notaufnahmen in Denver, CO, Portland, OR, und Sacramento, CA, die in Verkehrsunfälle verwickelt waren und sich mit Verletzungen (Fälle) vorstellten, sowie von unverletzten Autofahrern (Kontrollen), die sich zur medizinischen Versorgung vorstellten. (…) Cannabis allein war nicht mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen mit Todesfolge verbunden, während akuter Alkoholkonsum allein und kombinierter Alkohol- und Cannabiskonsum beide unabhängig voneinander mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen mit Todesfolge verbunden waren. Bei einer Stratifizierung nach dem Ausmaß des selbstberichteten oder gemessenen Cannabiskonsums war ein höheres Ausmaß nicht mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für einen Verkehrsunfall verbunden, weder mit noch ohne gleichzeitigen Alkoholkonsum; vielmehr war ein hoher selbstberichteter akuter Cannabiskonsum mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für einen Verkehrsunfall verbunden (Odds Ratio [OR] 0,18, 95 % Konfidenzintervall [CI] 0,05-0,65). In der Fall-Crossover-Analyse war der Alkoholkonsum allein oder in Kombination mit Cannabis mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für MVC verbunden, während der Cannabiskonsum allein wiederum mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für MVC verbunden war.“
Schlussfolgerung
Mögliche Risiken des Cannabiskonsums im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr müssen ernst genommen werden. Es gibt bei diesem Thema jedoch keinen Grund für eine Dramatisierung. Es sollte möglich sein, diese Angelegenheit sachlich zu betrachten und unaufgeregt zu diskutieren. Betrachtet man alle Cannabiskonsumenten, also auch solche mit hohen THC-Konzentrationen im Blut, so ist die Erhöhung des Unfallrisikos vermutlich allenfalls gering. Bei geringen THC-Konzentrationen gibt es nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand keinen Grund zur Annahme eines relevant erhöhten Unfallrisikos.
Presseschau: Bayern kündigt Widerstand bei Cannabisgrenzwerten an (Deutsches Ärzteblatt)
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) spricht sich wie seine CDU-Kollegen für eine Beibehaltung des analytischen THC-Grenzwertes von 1 Nanogramm/Milliliter Blutserum aus.
Bayern kündigt Widerstand bei Cannabisgrenzwerten an
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat Widerstand gegen eine mögliche Erhöhung der Cannabisgrenzwerte im Verkehr angekündigt.
„Wir werden uns dafür einsetzen, dass die bisherige Regelungslage zum THC-Grenzwert nicht durch eine Gesetzesänderung aufgeweicht wird“, sagte der CSU-Politiker der Augsburger Allgemeinen. Eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes von solcher Tragweite müsse dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt werden.
Die Empfehlung der vom Verkehrsministerium eingesetzten Expertenkommission müsse kritisch überprüft werden, forderte Herrmann. Es sei „auffällig, dass die Statements renommierter Wissenschaftler, die sich klar gegen eine Änderung des THC-Grenzwertes aussprachen, nicht bei der Empfehlung berücksichtigt wurden“.
Umgesetzt werden solle nur, was tatsächlich der Verkehrssicherheit diene. „Hierzu zählt insbesondere, für Cannabiskonsumenten ein absolutes Alkoholverbot am Steuer vorzusehen.“ Denn die Grenzen bei Cannabis ließen sich nicht so einfach wie bei Alkohol bestimmen, weil der Abbau im Körper keiner Regelmäßigkeit unterliege.
„Ein Mischkonsum mit Alkohol macht dies noch unberechenbarer“, warnte Herrmann. Wann man nach dem Konsum von Cannabis wieder fahrtüchtig sei, sei daher auch für Betroffene nur schwer abzuschätzen.
Herrmann betonte: „Dass der Besitz bestimmter Mengen Cannabis ab 1. April straffrei ist, bedeutet nicht, dass damit Fahren unter Cannabiseinfluss ungefährlicher wird.“ Er kündigte deshalb schärfere Kontrollen der Polizei mit Drogenschnelltests im Straßenverkehr an.
Presseschau: Was sich jetzt für Patienten und Apotheken ändert (Handelsblatt)
Das neue Cannabisgesetz hat auch Auswirkungen auf Patienten und Apotheken.
Was sich jetzt für Patienten und Apotheken ändert
Für den Verkauf von Cannabis-Medikamenten gelten neue Regeln. Für Ärzte, Apotheker und Verbraucher wird dadurch einiges einfacher. Doch es gibt auch Risiken.
Cannabis ist mit dem 1. April in Deutschland auch für den Freizeitgebrauch teilweise legal. Erwachsene dürfen dann bis zu 25 Gramm für den Eigenbedarf besitzen und in ihrer Wohnung bis zu drei Pflanzen anbauen. Gekauft werden kann die Droge in sogenannten Cannabis-Klubs. Sie unterliegen allerdings speziellen Regeln, und es wird sie auch erst ab dem 1. Juli geben.
Der Bund Deutscher Cannabis-Patienten (BDCan) erwartet deshalb, dass sich ein signifikanter Teil des Marktes auf das Geschäft mit medizinischem Cannabis verlagert. Auch hier gibt es einige Veränderungen.
Welche Vorteile Ärzte und Apotheken durch die Gesetzesänderung haben, wie Patienten ab dem 1. April an das Mittel kommen und wo die Fallstricke sind, lesen Sie hier.
Wie viele Menschen in Deutschland nehmen Cannabis als Arzneimittel?
In Cannabis enthaltene Wirkstoffe stecken in zahlreichen Medikamenten, zudem gibt es getrocknete Blüten oder Extrakt zum Inhalieren. Wie viele Menschen diese einnehmen, ist schwer zu überprüfen.
2022 haben deutsche Apotheken nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) 338.000 Einheiten an Rezepturarzneimitteln und rund 93.000 Fertigmedikamente abgegeben.
Die Zahlen beziehen sich allerdings nur auf Rezepte von gesetzlich Versicherten – privat Versicherte fallen heraus. „Wir gehen davon aus, dass der Privatmarkt mindestens noch mal so groß ist“, sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein.
Der Hersteller Demecan spricht von rund 200.000 Patienten in Deutschland.
Was ändert sich durch die Legalisierung für medizinisches Cannabis?
Die Mittel sind in Deutschland bereits seit 2017 erlaubt. Mit der Legalisierung für den Freizeitgebrauch geht nun aber einher, dass aus ihnen reguläre verschreibungspflichtige Medikamente werden.
Damit fallen sie nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz, das etwa für Morphinpräparate gegen starke Schmerzen oder spezielle Medikamente gegen ADHS gilt.
Steigt jetzt die Nachfrage nach medizinischem Cannabis?
„Wir erwarten deutlich mehr Nachfrage“, sagt Apotheker Preis. Er geht von einer Verdopplung der Privatrezepte aus. „Medizinisches Cannabis wird entstigmatisiert und einfacher verschreibbar – parallel wird der Nachfragedruck von Patienten steigen.“
Auch Christiane Neubaur vom Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) rechnet mit einer Zunahme der Privatverordnungen. Mehr Rezepte von gesetzlich Versicherten erwartet sie zunächst nicht: Dort müssen verordnende Ärzte nach wie vor einen Antrag auf Kostenübernahme bei den Krankenkassen stellen.
Was bedeutet das für Apotheken und Ärzte?
Apotheker müssen Cannabis-Produkte nicht mehr wie bisher in Tresoren verwahren. Außerdem fällt Bürokratie weg: Bisher verschrieben Ärzte Cannabis per Betäubungsmittelrezept, das zwei Durchschläge hat. Einer davon musste in der Arztpraxis aufbewahrt werden, der andere in der Apotheke – und das für drei Jahre.
Mediziner mussten bisher immer überprüfen, ob nicht ein anderes Medikament als Therapie infrage kommt. Auch die strenge Dokumentation in der Apotheke gehört der Vergangenheit an. „Da wird über jedes Gramm genau Buch geführt“, sagt Preis vom Apothekerverband Nordrhein. „Dieser Aufwand fällt weg.“
Er rechnet aber auch mit mehr falschen Rezepten. „Betäubungsmittelrezepte sind schwierig zu fälschen, herkömmliche Papierrezepte hingegen deutlich leichter“, sagt er. Zwar gilt seit diesem Jahr die Pflicht zum E-Rezept, allerdings nur für gesetzlich Versicherte und nicht für Privatpatienten.
Welche Apotheken geben überhaupt Cannabis aus?
Theoretisch durfte und konnte bereits jede Apotheke Cannabis an Patienten ausgeben. Doch das tun bei Weitem nicht alle: Der Verband VCA geht von etwa 2000 Pharmazien aus. Das sind nicht einmal zwölf Prozent der insgesamt mehr als 17.000 Apotheken in Deutschland.
„Viele trauen sich nicht, Cannabis abzugeben, oder haben keine verschreibenden Ärzte in der Nähe“, sagt Christiane Neubaur vom VCA. Sie rechnet aber damit, dass die Zahl der Apotheken, die Patienten mit den Mitteln versorgen, steigt.
Wogegen hilft medizinisches Cannabis?
Laut einer Erhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird Cannabis in 75 Prozent der Fälle gegen chronische Schmerzen verschrieben. Häufig behandelt werden außerdem Spastik und Anorexie. Der durchschnittliche Patient ist laut BfArM 57 Jahre alt und meist weiblich.
Allerdings ist die Studienlage zur medizinischen Anwendung in verschiedenen Indikationsgebieten uneinheitlich. Für den Nutzen bei durch Krebs verursachten Schmerzen gibt es laut den Apothekerverbänden etwa gute Evidenzen.
Bei chronischen Schmerzen nach rheumatischen Erkrankungen seien diese aber nur gering oder nicht ausreichend. Auch Apotheker Preis verweist darauf, dass die Therapie mit Cannabis in Fachkreisen umstritten ist.
Presseschau: Cannabis als Medizin: Apothekerverband erwartet Verdoppelung der Privat-Verordnungen (Ludwigsburg24)
Bisher unterlagen cannabisbasierte Medikamente dem Betäubungsmittelgesetz mit entsprechenden Einschränkungen für ihre Verschreibung nach Paragraf 13 des Gesetzes. Da sie nun nicht mehr dem BTMG unterliegen, erwarten viele Akteure eine Zunahme der Verschreibungen auf einem Privatrezept.
Cannabis als Medizin: Apothekerverband erwartet Verdoppelung der Privat-Verordnungen
Nach der Legalisierung von Cannabis erwartet der Apothekerverband Nordrhein einen Anstieg der ärztlichen Verschreibungen. “Wir gehen davon aus, dass Cannabis jetzt deutlich mehr verordnet wird”, sagte Verbandschef Thomas Preis der “Rheinischen Post” (Montagsausgabe). “Denn mit der Teil-Legalisierung wurden die Regeln für die Verordnung gelockert: Bislang konnten Cannabis-Therapien erst durchgeführt werden, wenn andere Therapien nicht angeschlagen haben. Zum 1. April ist dieser Therapievorbehalt für Ärzte weggefallen.” Zudem falle für Praxen die bürokratisch aufwendige Verordnung auf Betäubungsmittelrezepten weg. “Cannabis ist jetzt verschreibungsfähig wie andere Arzneimittel.” Konkret sagte Preis: “Kurzfristig gehen wir von einer Verdoppelung der Privat-Verordnungen aus. Durch die Entstigmatisierung von Cannabis wird auch der Nachfragedruck von Patienten in den Arztpraxen steigen.” Verordnungen für Kassenpatienten würden hingegen nicht so stark steigen, Cannabis-Therapien müssen weiter durch die Kassen genehmigt werden. Bundesweit wurden laut Thomas Preis 2022 etwa 300.000 Cannabis-Rezepte zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet. Der Apothekerverband regt eine Reform der Verschreibungspflicht an. “Man kann davon ausgehen, dass sich zahlreiche Menschen zukünftig mit Cannabis selbst therapieren wollen. Ohne heilkundliche Begleitung ist das gesundheitsgefährdend. Als Bezugsquelle für Cannabis zur Selbsttherapie bleibt nur der Eigenanbau, die Mitgliedschaft in einem Cannabis-Club oder der Bezug über den Schwarzmarkt.” Thomas Preis regt daher an: “Nachdem Cannabis in Apotheken seit dem 1. April nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft wird, wäre es für die Politik nur noch ein kleiner Schritt, es in bestimmten Fällen aus der Verschreibungspflicht zu entlassen, damit Patienten bestimmte Erkrankungen selbst therapieren können.” Es sei vorstellbar, dass Apotheken unter strengen Bedingungen kleine Mengen Cannabis auch ohne Rezept zu medizinischen Zwecken an Patienten abgeben, so Preis. Zugleich sagte er: “Als Abgabestelle von Cannabis zu Genusszwecken oder als Cannabisshop stehen Apotheken hingegen nicht zur Verfügung.”
Presseschau: Verband alarmiert: „Pseudo-Patienten“ besorgen sich über Telemedizin-Plattformen Cannabis (Frankfurter Rundschau)
Ein Artikel aus der Frankfurter Rundschau befasst sich mit fragwürdigen Telemedizin-Anbietern im Cannabisbereich.
Verband alarmiert: „Pseudo-Patienten“ besorgen sich über Telemedizin-Plattformen Cannabis
Gras ist legal, aber nirgendwo erhältlich – außer in der Apotheke. Die Firma Algea Care wirbt derweil mit Cannabis-Rezepten für 1 Euro.
„Triff mich 4:20 beim Arzt, ich hol‘ mir Rezept für Gras/ Dicke Gorilla-Glue-Batz aus Apotheken im Glas“, rappt Antifuchs. Die Rapperin beschreibt einen Trend, der durch die Teil-Legalisierung rasant zunimmt. Seit dem 1. April ist Kiffen unter bestimmten Bedingungen erlaubt.
Cannabis-Clubs können erst in mehreren Monaten mit der Abgabe starten. Wer gerade dabei ist, Gras anzubauen, kann frühestens im Juni ernten. Patient-sein ist momentan die einzige Möglichkeit, um außerhalb des Schwarzmarkts an Cannabis zu kommen.
Telemediziner verschreiben Cannabis mit geringem Aufwand
Cannabis zählt seit dem 1. April nicht mehr als Betäubungsmittel, sondern als verschreibungspflichtiges Medikament. Ärzte können Cannabis seitdem einfacher verschreiben. Es reicht ein Erstgespräch per Videocall und ein E-Rezept. Mehrere Telemedizin-Plattformen scheinen gut auf diese Änderung vorbereitet zu sein. Führend ist nach eigenen Angaben mit über 20.000 Patienten Algea Care, aber auch andere Unternehmen werben offen mit dem Ausstellen von Cannabis-Rezepten.
„Was hast du als Diagnose angegeben?“ – „Schlafstörungen.“
In dem Reddit-Forum „German Trees“ tauschen sich mehrere User über ihre Erfahrungen bei Telemedizinern von verschiedenen Plattformen aus. Sie geben einander Tipps, um den Arzt zu überzeugen, ein Cannabis-Patient zu sein. „Was hast du als Diagnose angegeben?“, fragt ein User am 6. April etwa. Die Antwort: „Schlafstörungen.“
Diesen Grund scheinen viele von ihnen zu benutzen. Die Störung ist zwar einfacher zu fälschen, als etwa eine ADHS-Diagnose, könnte aber auch der Wahrheit entsprechen. Die meisten scheinen mit dieser Angabe bei den Telemedizinern erfolgreich, wie aus den Kommentaren hervorgeht.
Als wir für unsere Recherche bei der Telemedizin-Plattform Algea Care angeben, weniger als drei Monate geringe Schlafstörungen zu haben, wird uns ein Termin angeboten. Allerdings müssten wir bis Mitte April auf ein Erstgespräch mit einem Arzt warten, früher sind keine Sprechstundentermine verfügbar. Ohne dieses individuelle Erstgespräch kann kein Patient über Algea Care ein Rezept für medizinisches Cannabis erhalten, teilt uns das Unternehmen mit.
Auf Nachfrage von BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA entscheide jeder Arzt oder Ärztin darin „völlig eigenständig, ob und welches Arzneimittel sie verordnen, um dem Wohl der Patientinnen und Patienten bestmöglich zu dienen“. Laut dem CEO Julian Wichmann ist Algea Care ein „reines Servicedienstleistungsunternehmen“, das Patienten an Ärzte vermittelt. Ob wir am Ende für geringe Schlafstörungen ein Cannabis-Rezept erhalten hätten, wissen wir deshalb nicht.
„Patienten mit Schlafstörungen ein täuschendes Verhalten zu unterstellen, zeigt die Stigmatisierung“
Aber wäre das überhaupt so verwerflich? Medizinisches Cannabis sei „bei der Behandlung von Schlafstörungen als sinnvoll zu erachten“, heißt es von Algea Care. „Patientinnen und Patienten mit Schlafstörungen vorweg ein täuschendes Verhalten oder gar einen Missbrauch zu unterstellen, zeigt die leider bestehende Stigmatisierung und Ungleichbehandlung von medizinischem Cannabis im Vergleich zu anderen verschreibungspflichtigen Medikamenten.“
Das Unternehmen betont: Eine Therapie von Schlafstörungen mit medizinischem Cannabis sei in vielen Fällen die besser geeignete medikamentöse Therapieform, da sie „langfristig mit deutlich weniger Nebenwirkungen einhergehen kann“. Unter Wissenschaftlern und Medizinern ist diese Ansicht umstritten.
Seit der Teil-Legalisierung kosten Erstgespräche für kurze Zeit nur 1 Euro
Ein „Zeichen gegen die anhaltende Stigmatisierung“ von medizinischem Cannabis nennt Algea Care auch ihre 1-Euro-Aktion, die sie im April gestartet hat. Erstgespräche kosten deshalb einen Monat lang nur noch einen statt zuvor 50 Euro. Auf Instagram wirbt der Rapper Xatar für die Aktion. Sein Video hat mehr als 12.00 Aufrufe (Stand: 12. April). Weder Xatar, noch sein Management, möchte sich dazu bei BuzzFeed News Deutschland äußern.
Seit der Aktion erhält das Unternehmen auf dem unabhängigen Bewertungsportal Trustpilot zunehmend schlechte Bewertungen. „Algea Care hat offensichtlich kein Interesse mehr an Patienten und der Medizin. Als Bestandspatient fühlt man sich verarscht“, schreibt Nutzer W. S. Die Betroffenen sprechen von langen Wartezeiten, die Algea Care BuzzFeed News Deutschland bestätigt. Auch käme es zu Serverausfällen, die laut Unternehmen aber schnellstens behoben worden seien. Sie seien „von dem großen Andrang und den zahlreichen Neu-Registrierungen regelrecht überrumpelt“ worden.
Cannabis-Patienten „sind stinksauer“ und befürchten Leerstand in Apotheken
Seit dem 1. April beobachten Apotheken einen starken Anstieg an Privatrezepten für Cannabis, ausgestellt von Telemedizinern. Ein Großteil stamme von Algea Care und einer weiteren Firma, „aber auch andere Telemediziner sind beteiligt und werden hier den Markt erobern“. Das teilt der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) auf Nachfrage von BuzzFeed News Deutschland mit. Wie hoch der Anstieg prozentual genau liege, sei aktuell unklar, da er sich von Apotheke zu Apotheke unterscheide.
Der Bund deutscher Cannabis-Patienten (BDCan) schlägt Alarm. „Wir sind stinksauer“, sagt Michael Kambeck, politischer Sprecher des Verbands. Er ist wütend auf die „Menge an Pseudo-Patientinnen und -Patienten“, wie er sagt. „Durch sie werden echte Cannabis-Patientinnen und -Patienten ihre Sorten, auf die sie präzise eingestellt sind, in ein paar Wochen wahrscheinlich nicht mehr kriegen.“
Derzeit kommt es laut VCA in Apotheken zu keiner Verknappung von Cannabis-Medikamenten. Einen baldigen Leerstand befürchtet Apothekerin und VCA-Geschäftsführerin Christiane Neubaur nicht. „Ob das in Zukunft der Fall sein sollte bei einigen wenigen Sorten wie zum Beispiel Bedrocan bleibt abzuwarten.“ Hier werde die Importmenge durch die Cannabisbehörde der Niederlande begrenzt.
Die verkauften Sorten sind teilweise „gesundheitsschädlich“ für echte Cannabis-Patienten
Nach der Erfahrung von Apothekerinnen und Apotheker verordnen Telemediziner hauptsächlich Cannabis-Blüten und keine Cannabis-Medikamente in Tablettenform, wie der VCA mitteilt. Die Blüten tragen Namen wie „Strawberry Ice“ und „Orange Kush Cake“. „Das ist doch keine Medizin“, sagt Kambeck, der selbst Cannabis-Patient ist. In einem Statement des BDCan äußert sich außerdem eine Apothekerin, dass es sie „schmerzt, solche Ware abzugeben.“
Nach einer Analyse des Verbands sind die am Markt verfügbaren Blüten von etwa 100 Sorten in 2022 auf derzeit über 400 gestiegen. „Davon sind 259 Sorten lediglich nach laxen Arzneibuchstandards geprüft und dürfen somit hohe mikrobiologische Belastungen enthalten, die für die Inhalation ungeeignet und gesundheitsschädlich sein können, insbesondere für immungeschwächte Patientinnen und Patienten.“
Auch Apotheken haben sich auf die Teil-Legalisierung vorbereitet. In einer gibt es etwa die Sorte Amnesia Haze. Für Patientinnen und Patienten, die wirklich an der dissoziativen Störung Amnesie leiden, klingt das wie ein schlechter Witz, macht der BDCan deutlich. „Amnesie ist eine schwere Krankheit!“
Presseschau: Basler Studie zeigt: Medizinisches Cannabis verbessert psychische Gesundheit (Basel jetzt)
Viele Studien zeigen, dass Cannabiskonsum mit einer Zunahme schizophrener Psychosen verbunden sein könnte. Es gibt allerdings auch Studien, die zeigen, dass Cannabis bei einer Anzahl psychiatrischer Erkrankungen von Nutzen sein könnte.
Basler Studie zeigt: Medizinisches Cannabis verbessert psychische Gesundheit
In Deutschland ist kiffen seit diesem Monat legal. Doch das neue Cannabis-Gesetz ist umstritten. Eine Basler Studie zeigt nun, dass sich die Gesetzeslockerung in den USA positiv auf die psychische Gesundheit auswirkt.
In den USA ist Marihuana seit Mitte der 1990er-Jahre in vielen Bundesstaaten entkriminalisiert. Es wird auch vielerorts für medizinische Zwecke verwendet. Die Gesetzgebung zu medizinischem Cannabis ist jedoch nach wie vor umstritten. Kritiker:innen befürchten, dass dadurch mehr Menschen abhängig werden. Für Befürworter:innen überwiegt der medizinische Nutzen für Patient:innen mit chronischen Schmerzen, Übelkeit oder Krämpfen.
Folgen der Lockerung für die Psyche
Eine Gruppe von Basler Forschenden hat in einer Studie untersucht, wie sich die Lockerung der Gesetzgebung in den USA auf die Menschen auswirkt. Zum einen erforschten sie, ob sich durch die Cannabis-Gesetzgebung die Situation für kranke Menschen verbessert hat. Zum anderen gingen sie der Frage nach, ob sich die Gesetzeslockerung negativ auf die psychische Gesundheit der gesamten Bevölkerung auswirkt. Die Forschenden haben dafür zwischen 1993 und 2018 Daten von rund acht Millionen Personen gesammelt.
Nun hat die Uni Basel die Ergebnisse der Studie veröffentlicht. Die Forschenden kommen zum Schluss, dass der erleichterte Zugang zu Marihuana die psychische Gesundheit derjenigen verbessert, die es aus medizinischen Gründen konsumieren. Auch bei Schmerzpatienten wurden positive Effekte festgestellt.
Für die einen nützlich, für die anderen nicht schädlich
Gleichzeitig stellten die Forscher keine Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Freizeitkonsumenten oder jüngeren Bevölkerungsgruppen fest. «Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, dass die Gesetzgebung zu medizinischem Cannabis in den USA den Menschen nützt, für die sie gedacht ist, ohne anderen Gruppen zu schaden», wird Studienleiter Alois Stutzer von der Universität Basel zitiert. «Ob die Ergebnisse auf weitere Liberalisierungen übertragbar sind, erfordert jedoch weitere Untersuchungen», betonten die Forschenden.
In der Region wird der legale Verkauf getestet
Auch in der Region Basel laufen aktuell mehrere Studien zu Cannabiskonsum. «Weed Care» im Kanton Basel-Stadt will mehr über die Auswirkungen eines legalen Cannabis-Verkaufs im Vergleich zum illegalen Konsum über den Schwarzmarkt herausfinden. Erste Zwischenergebnisse der Anfang 2023 gestarteten Studie sind bereits da. Im Kanton Baselland wird im Rahmen des Pilotprojekts «Grashaus Projects» ebenfalls der regulierte Verkauf von THC-Produkten zu Genusszwecken erforscht.
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