ACM-Mitteilungen vom 17. August 2024

bereits nach wenigen Wochen macht sich bemerkbar, dass die 2. Säule des Cannabisgesetzes bisher nicht umgesetzt werden konnte. Es fehlen Cannabisshops, in denen sich Freizeitkonsumenten unkompliziert mit ihrer Droge versorgen können. Stattdessen suchen sie nach anderen Wegen, um aus der Illegalität herauszukommen. Sie suchen und finden Ärzte – meistens über fragwürdige Telemedizin-Anbieter –, die ihnen Cannabis auf Rezept verschreiben. Wer will es ihnen verdenken? Wer möchte schon täglich in der Illegalität leben, wegen des Konsums einer Droge, die nach wissenschaftlichen Kriterien weniger gefährlich ist als Alkohol, aber nicht nur bei alten weißen Männern aus Süddeutschland ihr gesellschaftliches Image als gefährliche Droge nicht so schnell verliert?

Umso verlogener ist der Auftritt konservativer Kreise, die das ohne Zweifel insuffiziente Gesetz und dessen Umsetzung kritisieren. Die gesundheitlichen Vorteile einer Legalisierung, wie sie in anderen Ländern beobachtet werden können, wie etwa beim Jugendschutz in Kanada, können erst vollständig eintreten, wenn eine Legalisierung auch tatsächlich stattgefunden hat und nicht nur Ausnahmen von der weiterhin bestehenden Strafbarkeit, die nur für einen Teil der Konsumenten eine Lösung darstellt.

Dieses und andere aktuelle Themen besprechen wir auf der Mitgliederversammlung der ACM am 31. August 2024. Mitglieder haben bereits eine Einladung erhalten. Sie erhalten in einigen Tagen noch einmal eine Erinnerung mit Tagesordnung und Zugangsdaten.

Abschließend ein Hinweis: Die Charité in Berlin sucht Teilnehmer für eine Studie mit THC bei posttraumatischer Belastungsstörung.

Heiter weiter

Franjo Grotenhermen

Inhalt

Jubiläum beim ACM-Patiententelefon: 2500 Beratungen in 5 Jahren

Am 4.10.2019 hat Rainer Thewes, seit 25 Jahren Mitglied des ACM-Vorstandes und gelernter Sozialpädagoge, die Arbeit am kostenlosen Patiententelefon der ACM übernommen. Damit leistet er diese wichtige Arbeit, die allgemein als sehr wertvoll, kompetent und empathisch erlebt wird, seit nahezu 5 Jahren. Am 13. September 2024 findet der 250. Termin statt. Am 9.8.2024 hatte Herr Thewes die 2500. Beratung durchgeführt.

Das Patiententelefon können Sie an jedem Freitag zwischen 11-13 und 14-16 Uhr unter der Nummer 0800 0226622 erreichen. Die Beratung ist kostenlos

Presseschau: Import medizinischer Cannabisblüten steigt um 40 Prozent (Deutsche Apotheker Zeitung)

Nachdem Cannabis am 1. April 2024 kein Betäubungsmittel mehr ist, fallen auch die Beschränkungen der Verschreibungsfähigkeit nach § 13 Betäubungsmittelgesetz, nachdem eine Verschreibung von Betäubungsmitteln begründet sein muss. Eine Verschreibung von Betäubungsmitteln ist danach insbesondere dann nicht begründet, wenn „der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann“.

Import medizinischer Cannabisblüten steigt um 40 Prozent

Infolge der stark gestiegenen Nachfrage nach Medizinalcannabis in Blütenform reagieren die Anbieter und steigern ihre Exporte nach Deutschland. Expert*innen gehen davon aus, dass ein großer Teil davon nicht für medizinische Zwecke genutzt wird.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat aktuelle Zahlen zu den Einfuhrmengen von medizinischem Cannabis veröffentlicht. Demnach wurden im zweiten Quartal 11,7 Tonnen getrocknete Cannabisblüten für die medizinische Nutzung importiert. Damit stieg die Einfuhrmenge gegenüber dem ersten Quartal (8,1 Tonnen) um fast 40 Prozent.

2023 wurden rund 32,5 Tonnen Cannabisblüten aus 24 Staaten nach Deutschland importiert. Im ersten Halbjahr 2024 waren es bereits 19,8 Tonnen aus 15 verschiedenen Staaten. Die größten Mengen stammen aus Kanada (11,1 Tonnen), Portugal (3,5 Tonnen) und Dänemark (1,6 Tonnen).

Selbstzahler steigern Nachfrage nach Blüten

Verantwortlich für den deutlichen Anstieg der Importe ist die gestiegene Nachfrage infolge der Teillegalisierung von Genusscannabis im April. Seitdem ist insbesondere bei den Selbstzahlerinnen ein starker Anstieg der Verschreibungen zu verzeichnen. Nach Aussage des Verbandes der Cannabis versorgenden Apotheken liegt deren Anteil bei den eingelösten Cannabis-Rezepten derzeit bei 80 Prozent. Im Gegensatz zu den kassenfinanzierten Cannabisrezepten, bei denen hauptsächlich Cannabis-Extrakte und Fertigarzneimittel abgegeben werden, fragen die Selbstzahlerinnen vor allem Cannabis-Blüten nach.

Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft warnte im Juli davor, dass Medizinalcannabis seit der Teillegalisierung verstärkt zu Genusszwecken genutzt wird. Die Mehrheit der Selbstzahlerinnen bezieht ihre Rezepte über Telemedizinplattformen, deren Geschäftspraktiken von vielen Expertinnen kritisiert werden.

Missbrauch zu Genusszwecken

Studienergebnisse legen nahe, dass schon vor der Teillegalisierung ein erheblicher Teil der verschriebenen Cannabisblüten nicht für medizinische Zwecke genutzt wurde. Darauf wiesen Peter Cremer-Schaeffer und Solveig Langer im Mai dieses Jahres im Deutschen Ärzteblatt hin. Sie hatten Daten zur Verschreibung von Cannabis aus dem Jahr 2021 untersucht. Demnach war der Anteil der Selbstzahler vor allem in den Altersgruppen der 20- bis 40-Jährigen besonders hoch, bei den Älteren überwog der Anteil der Kassenrezepte:

„Der hohe Männeranteil (87,7%) und das geringe Durchschnittsalter (36 Jahre), bei alleiniger Betrachtung der Verordnungen auf Privatrezepten, lässt es möglich erscheinen, dass eine Versorgung mit Cannabisblüten erfolgt, die der Gesetzgeber so nicht bezweckt hat.“

Presseschau: Cannabis-Legalisierung: wie Freizeit-Kiffer die Versorgung für Schwerkranke gefährden (Die WELT)

Wie verstärkt man das Bild eines unverantwortlichen Freizeitcannabiskonsumenten? Indem man ihn gegen andere ausspielt und ihm vorhält, dass er Schwerkranken ihre Medizin vorenthält und sie zudem abfällig als Kiffer bezeichnet. Alle wissen, dass das Problem woanders liegt, nämlich das die geplante Legalisierung nicht so umgesetzt werden konnte, wie geplant, sodass eine Konkurrenz zwischen Apotheke und Cannabisshop erst gar nicht entstanden wäre.

Cannabis-Legalisierung: wie Freizeit-Kiffer die Versorgung für Schwerkranke gefährden

Seit der Teillegalisierung durch die Ampel kann Cannabis leichter als Medikament verschrieben werden. Teilweise ist das sogar ohne Arztgespräch möglich. Mediziner und Apotheker sind alarmiert: Wegen des Interesses von Freizeit-Konsumenten drohen Engpässe bei der Behandlung von chronisch Kranken.

Probleme beim Ein- oder Durchschlafen? Chronische Schmerzen, Migräne, Stress? Wer bei derlei Beschwerden auf der Online-Plattform DrAnsay.com ein Häkchen setzt, bekommt Cannabis auf Rezept – ganz ohne lästigen Arztbesuch. Das Ausfüllen eines Fragebogens genügt, und schon mailt der auf Malta ansässige Telemediziner gegen Gebühr von 14,20 Euro eine Privatverordnung. Nicht mal eine Online-Konsultation ist nötig: In der Regel gebe es das Rezept „ohne Gespräch“, versichert die Website.

Für eine „Cannabis-Therapie“ muss niemand mehr das Sofa verlassen. Online können Blüten namens „Magic Dream“ oder „Wedding Singer“ auch gleich geordert werden, Versandapotheken verschicken die Ware. „Starte jetzt Deine Cannabis Journey“, wirbt das von dem Hamburger Rechtsanwalt Can Ansay 2018 gegründete Start-up: „Viel einfacher als früher, da Cannabis kein Betäubungsmittel mehr ist.“

Bis Ende März war der Stoff für medizinische Zwecke nur chronisch Kranken vorbehalten, die Hürden waren hoch: Ärzte mussten ein Betäubungsmittelrezept ausstellen, Apotheken die Präparate dokumentieren und im Tresor lagern. Doch seit der Teillegalisierung Anfang April genügt eine normale Verschreibung. Und ein Privatrezept kann sich jeder ausstellen lassen, wenn er selbst zahlt.

Prompt ist das Kaufinteresse explodiert, was nun Schwerkranken, Ärzten und Patientenschützern große Sorgen bereitet. „Die Nachfrage nach Medizinalcannabis ist so stark gestiegen, dass Lieferengpässe befürchtet werden“, warnt Detlef Placzek, Präsident des Landesamts für Soziales in Rheinland-Pfalz. Seine Behörde ist für die Überwachung der Apotheken zuständig, mithin auch für die ordnungsgemäße Abgabe von Cannabis-Medizin.

Sich durch vorgetäuschte Symptome ein Rezept zu erschleichen, ist eine Straftat. Placzek fordert die Apotheken daher dringend auf, bei begründetem Missbrauchsverdacht keine Präparate auszugeben. Sollten Unklarheiten nicht von dem Arzt ausgeräumt werden, der das Rezept unterzeichnet habe, müsse das pharmazeutische Personal die Herausgabe sogar zwingend verweigern, sagt der Behördenchef und verweist auf die Apothekenbetriebsordnung: „Es kann keinesfalls im Sinne des Gesetzgebers sein, dass Medizinalcannabis zu Genusszwecken erworben wird und somit die Beschränkungen zur Fahrtauglichkeit, der erlaubten Mengen oder sonstiger Art umgangen werden.“

Medizin versorgt den Freizeitmarkt mit

Der Boom bei den Versandhändlern ist aber wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Ampel-Regierung die berauschenden Substanzen zwar freigegeben hat, die Kanäle zum legalen Erwerb aber noch blockiert sind. Die meisten Cannabis-Clubs können erst 2025 liefern, der Eigenanbau spielt noch keine große Rolle. Daher weichen viele Nutzer aus: Die Medizin versorgt wohl derzeit auch Teile des Freizeitmarkts mit.

Laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stieg der Import von Cannabisblüten zu medizinischen und medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken im zweiten Quartal um über 40 Prozent – von 8,1 auf 11,7 Tonnen. Hinzu kommt die im Inland produzierte Blütenmenge. Der Medizinalcannabis-Großhändler Cannamedical schätzt, dass sich der deutsche Markt gegenüber April annähernd verdoppelt hat. Das Frankfurter Telemedizin-Portal Bloomwell („In fünf Minuten Cannabis-Patient werden“) berichtet gar von einer Verzehnfachung der „Neupatienten“.

(…)

Weitere Meldungen der vergangenen Tage

Wann die telemedizinische Verschreibung strafbar sein kann (Medical Tribune)

Medizinisches Cannabis: Ein Betroffener berichtet (Fränkischer Tag)

Cannabis-Legalisierung: Der Kater nach dem Rausch (taz)

Cannabis als Medizin: Mehr als 80 000 Menschen werden mit Cannabis behandelt (Zeit Online)

Philippi will Cannabisbezug über Onlineplattformen erschweren (Deutsches Ärzteblatt)

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