Die Ärztezeitung berichtete über den Abschlussbericht der von Privatdozentin Dr. Eva Hoch von der Universität München geleiteten Arbeitsgruppe im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums zum therapeutischen Potenzial von Cannabis sowie den Folgen des Freizeitkonsums.
Cannabis – Bisher wenig Evidenz für Arzneien
In der CaPRis-Studie ist das aktuelle weltweite Wissen zu Cannabis auf den Punkt gebracht worden. Forscher haben dazu über 2000 Studien ausgewertet. Das Fazit zur medizinischen Anwendung: Bei Cannabis ist bisher nur wenig gesichert.
Seit Medizinalhanf als erstattungsfähiges Medikament verordnet werden darf, ist aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht vor allem klar geworden, dass vieles unklar ist. Mit der jetzt veröffentlichten Literatur-Analyse zu Potenzial und Risiken von Cannabis lichtet sich der Nebel etwas.
Gemeinsam mit 30 Experten haben Privatdozentin Eva Hoch von der LMU München und Privatdozentin Miriam Schneider von der Universität Heidelberg in der Studie CaPRis (Cannabis: Potential und Risiken) über 2000 wissenschaftliche Publikationen ausgewertet. Der Review offenbart das Wissen zu Freizeitgebrauch und Missbrauch, zur Wirksamkeit von Cannabis-Arzneimitteln sowie zur Selbstmedikation mit Cannabis. Die Studie wird demnächst bei „Springer Medizin“ veröffentlicht, ein Kurzbericht ist bereits jetzt auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums, das die Studie gefördert hat, einsehbar.
Zunächst bestätigen die Autoren in puncto Freizeitgebrauch von Cannabis, dass akut konsumierte Cannabinoide zu vielfältigen kognitiven Beeinträchtigungen führen. Regelmäßiger und häufiger Konsum führt zu globalen kognitiven Defiziten. Allerdings gebe es keine konsistenten Hinweise auf verminderte Intelligenz und die kognitiven Funktionsdefizite scheinen vorübergehend zu sein. Allerdings ist unklar, inwiefern die Anteile von THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol) im konsumierten Cannabis, wie die Darreichungsform, die Plasmakonzentration, das Einstiegsalter beim Konsum sowie Abstinenz- und Konsumdauer die Kognition dauerhaft beeinflussen.
Husten, Keuchen, Sputumproduktion und thorakales Engegefühl sind organische Folgen des Freizeitkonsums. Chronischer Konsum geht mit hirnstrukturellen Veränderungen einher: Volumen, Form und Dichte der grauen Substanz verändern sich – dies hängt offenbar mit dem Verhältnis von THC zu CBD im Präparat direkt zusammen.
Vorsicht mit synthetischen Cannabinoiden!
Abhängigkeit ist ein bedeutsames Thema: 23 Millionen Menschen in der EURopäischen Union haben in den letzten zwölf Monaten Cannabis gebraucht, in Deutschland sind es 6,1 Prozent der 18- bis 64-Jährigen. „Cannabiskonsum kann zu einem Abhängigkeitssyndrom führen, dass unter anderem Toleranzentwicklung und Entzugssymptome einschließt“, so die Autorinnen. Sie gehen davon aus, dass bei uns ein Prozent aller Erwachsenen bis 64 Jahre cannabis-bezogene Störungen (Missbrauch, Abhängigkeit) haben – das wären etwa eine halbe Million Menschen!
Zudem weisen die Expertinnen darauf hin, dass synthetische Cannabinoide im Vergleich zu pflanzlichen Cannabinoiden an beiden Cannabinoid-Rezeptoren verstärkt pharmakologisch wirken mit „starken und unvorhersehbaren Effekten“, die teilweise intensivmedizinische Maßnahmen erforderlich machen und vereinzelt zu Todesfällen geführt haben. Außer Tachykardie, Ruhelosigkeit, Übelkeit und Erbrechen bestehe bei Menschen mit psychischen Vorerkrankungen ein erhöhtes Psychoserisiko bei Gebrauch synthetischer Cannabinoide.
Wie sieht es nun mit der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Cannabis-Arzneimitteln aus? „Die Befunde zum medizinischen Einsatz von Cannabis lassen aufgrund von fehlender Evidenz derzeit keine Aussagen über vielfältige Indikationsstellungen zu“, heißt es im Kurzbericht zu CaPRis. Häufig untersucht worden ist die Wirksamkeit bei chronischen Schmerzen, wenngleich über meist nur kurze Dauer von Tagen bis maximal zwölf Wochen und in Kombination mit etablierten Analgetika. „Für eine substanzielle Schmerzreduktion (um mindestens 50 Prozent) liegt derzeit keine Evidenz vor.“
Leichte Schmerzreduktion und Antiemesis
Am besten untersucht sei Nabiximols, eine standardisierte Extraktmischung aus THC und CBD, mit guter Evidenz für eine leichte Schmerzreduktion und verbesserten sekundären Parametern im Vergleich zu Placebo. Vereinzelt positive Ergebnisse gebe es für THC und Nabilon, ein synthetisches THC-Derivat. Zentralnervöse Nebenwirkungen sind leicht bis moderatt, schwere Nebenwirkungen sind selten.
Dass Cannabis-Arzneimittel bei Paraplegie- oder Multiple-Sklerose-assoziierter Spastizität helfen könnten, sei mit „objektivierbaren Prüfkriterien nicht belegt“, heißt es weiter. Belege lägen lediglich für subjektiv empfundene Wirkungen vor. Insgesamt erscheint die Datenlage sehr heterogen.
In Bezug auf die Behandlung bei Übelkeit und Erbrechen liegen „viele alte Studien mit schlechter oder unklarer methodischer Qualität“ vor. Daraus ergebe sich eine signifikant bessere anti-emetische Wirkung als mit Placebo und gegenüber konventionellen Antiemetika. Bei HIV-infizierten und Aids-kranken Menschen sei eine leicht gewichtsstimulierende Wirkung von Dronabinol und Cannabis-Zigaretten festzustellen, bei palliativ behandelten Krebs- und Aids-Patienten leichte und nichtsignifikante Steigerungen des Appetits.
Der Bericht widmet sich außerdem gastrointestinalen, neuroinflammatorischen, neurodegenerativen und neurologischen Erkrankungen. Im Großen und Ganzen liegen dafür keine Wirksamkeitsnachweise vor. Auch zur Behandlung bei psychischen Störungen ist die Datenlage noch sehr übersichtlich, sodass keine sicheren Aussagen möglich sind.
Hoch, Schneider und ihre Koautoren zeigen sich mit Blick in die Zukunft dennoch optimistisch: Die international in jüngster Zeit intensivierte Erforschung des Endocannabinoid-Systems und des therapeutischen Potenzials von Cannabis-Arzneimitteln werde die Datenlage verbessern. In Bezug auf Cannabis-bezogene Störungen könne die aufgearbeitete Evidenz Grundlage für die Entwicklung von Behandlungsleitlinien sein.