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Presseschau: Kampf für Cannabis-Therapie (Frankfurter Rundschau)

Die Frankfurter Rundschau berichtete über einen der vielen Patienten, die trotz ärztlicher Ünterstützung keine Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabis erhalten.

Kampf für Cannabis-Therapie

Die AOK Hessen lehnt Übernahme der Kosten für einen ADHS-Patientenaus Hanau ab. Die Kasse weist Kritik an ihrer Entscheidung zurück.

„Ich lebe in einer Welt der ständigen, totalen Aufregung“, sagt Bernd Weber (Name geändert). Er spricht geordnet, aber schnell, kann kaum ruhig sitzen. „In besonders schlechten Phasen schlafe ich nicht. Der blinde Aktionismus hat mich im Griff. Ich werde dann nicht gewalttätig, aber aggressiv und verbal sehr barsch.“

Weber, 50, leidet offenbar seit seiner Kindheit an ADHS. Diagnostiziert wurde die Krankheit erst 2013. Er habe jahrzehntelang ein „ADHS-konformes Leben“ geführt. Dazu gehörten Unfälle mit schweren Verletzungen und Operationen, Berufs- und Partnerwechsel. Er leidet unter Schmerzen, auch an der fünf Mal operierten Schulter. Wegen ADHS darf er laut Gutachten der Arbeitsagentur nicht mehr als Berufskraftfahrer tätig sein. In seinem neuen Beruf als Reiseleiter hatte er schon wieder zwei Sportunfälle.

Vor drei Jahren habe er in Selbstmedikation festgestellt, „dass mich Cannabis aus dem Zustand der Dauererregung befreit. Endlich war ich weniger gereizt, und konnte gut schlafen“. Standard-Medikamente gegen ADHS musste Weber absetzen, auch weil 2013 ein Aneurysma festgestellt wurde und Mittel wie Ritalin den Blutdruck erhöhen. Sein Hausarzt Lars Manecke und die Hannoveraner ADHS-Spezialistin Christine Ruth Gessner haben sich daher für ein auf Cannabis basierendes Medikament ausgesprochen und ein Extrakt verordnet.

Der Hanauer lebt derzeit von Hartz IV, ein teures Privatrezept ist nicht drin. Eine Übernahme der Kosten lehnte Webers Krankenkasse, die AOK Hessen, im Januar jedoch ab; Anfang Mai befasst sich der Widerspruchsausschuss mit der Sache. Der medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) und die AOK vertreten folgende Ansicht: Es sei „nicht ersichtlich“, dass eine schwerwiegende Erkrankung vorliege, bei der allein mit einem Arzneimittel auf Cannabis-Basis Besserung zu erwarten sei. Darüber hinaus fehle unter anderem eine Nutzen- und Risikobewertung der Ärzte.

Weber und seine Ärzte kritisieren die Ablehnung scharf. Dass eine schwerwiegende Krankheit vorliege, zeige schon die daraus resultierende Berufsunfähigkeit. Nur eine Cannabis-Therapie könne Weber ein normales Leben ermöglichen. In Schreiben verweisen sie auf das Aneurysma sowie auf Gefahren durch die Einnahme von Standardmitteln gegen ADHS und rügen, dass die Kasse nicht auf die Schmerzsymptome am Schlüsselbein eingehe.

Der 50-Jährige muss derzeit einiges durchstehen. Seit 2006 pflegt er seine Mutter. Ende März starb sein dementer Vater. Zuletzt, nach einer Lungenentzündung und Unterversorgung des Hirns, wurde er palliativ betreut. Sein Leid wurde am Ende übrigens durch Cannabis etwas gelindert. Zuvor hatte die Techniker Krankenkasse der Therapie in wenigen Tagen zugestimmt, was bei Palliativpatienten in der Regel geschieht. „Der Druck, unter dem ich stehe, ist zurzeit enorm“, sagt Weber. Er bemängelt, dass sich die Kassen „trotz Milliardenüberschüssen so oft querstellen“ und ungerecht entschieden. Er berichtet von einem ähnlichen ADHS-Fall aus Aschaffenburg, bei dem die Therapie bewilligt worden sei.

Die AOK Hessen erklärt, sie könne sich zumindest vor dem Beschluss des Widerspruchsausschusses nicht im Detail zu Weber äußern. Die grundsätzliche Kritik weist die Kasse aber entschieden zurück: Anträge würden nur abgelehnt, „wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind“ oder die Verordnung nicht richtig dokumentiert sei. Der MDK betrachte jeden Einzelfall genau, seine Empfehlung könne von jener der verordnenden Ärzte abweichen.

Über die Linke Main-Kinzig hat sich Weber an Niema Movassat gewandt, den drogenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion. Er kenne solche tragischen Berichte, sagt Movasat. Die hohe Ablehnungsquote mit oft „haltlosen Begründungen“ widerspreche dem Zweck des Gesetzes, das „nur im Ausnahmefall eine Kostenerstattung abgelehnt werden soll“. Die Linke wolle Druck auf die Regierung ausüben, damit Kassen „nicht länger die Therapiehoheit der Ärzte unterlaufen“.

Webers Mutter spricht von einer Schande. „Wenn es ein Medikament gibt, das hilft, sollte man es ihm geben!“ Die Situation belaste beide extrem: Anne Weber kämpft gegen Parkinson und Brustkrebs. Ihren Sohn lobt sie: „Er macht alles für mich. Wir halten zusammen.“ Sie wünsche sich, „dass er ruhiger wird“. Anne Weber hatte früh gemerkt, dass ihr Sohn anders war. „Er hat wenig zu Ende gebracht, suchte immer nach neuen Abenteuern.“ Sie waren bei vielen Ärzten. Oft hieß es nur: „Zappelphilipp“. Die Mutter hofft, „dass uns jetzt schnell geholfen wird“.

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