An der Hochschule Merseburg bildet sich unter der Leitung von Prof. Gundula Barsch ein interdisziplinärer Verbund Cannabisforschung. Dieser hat ein Memorandum verabschiedet.
Gegenwärtige Forschungslage
Fast ein halbes Jahrhundert der Unterstellung von Cannabis unter eine strikte Verbotspolitik hat dafür gesorgt, dass Forschungen zu dieser Pflanze und deren sehr verschiedenen Potentialen weitgehend ausgeblieben sind.
Auch die Entdeckung des endogenen Cannabinoid-Rezeptorsystems in den 1990er Jahren und die davon angeregte internationale Forschung zu den medizinischen Anwendungsmöglichkeiten von Cannabis sind, abgesehen von Einzelinitiativen, in Deutschland nicht aufgegriffen worden.
Dies schlägt sich nieder in einem bislang unzureichenden pflanzenwissenschaftlichen, biochemischen, agrarwissenschaftlichen und medizinisch-pharmakologischen Wissensstand, sowie den fehlenden Forschungsanstrengungen zur genauen Analyse der Gattung und ihrer Merkmale sowie der pharmakologischen Profile ihrer Sekundär-Metabolite, insbesondere der Terpenoide und Cannabinoide.
Tragische Folge all dessen ist, dass auch mit Blick auf diesen aktuell vorliegenden Wissensstand jede Forderung nach einer evidenzbasierten medizinischen Verwendung von Cannabis nicht erfüllbar ist. Gleiches gilt für die Erschließung dieser alten Kulturpflanze im Rahmen der gesellschaftlich angestrebten Bioökonomischen Wende.
Künftiger Bedarf für Forschung und Entwicklung
Vor diesem Hintergrund stellen sich gegenwärtig folgende Herausforderungen für Forschung und Entwicklung:
– Aufbau eigener Versorgungsstrukturen für die medizinische Nutzung Cannabis Deutschland sollte umgehend Anstrengungen in Forschung und Entwicklung anregen, um die Versorgung mit medizinischem Cannabis in den benötigten Mengen, Qualitäten kontinuierlich und kostenoptimiert zu sichern. Auch wegen des fehlenden Wissens stehen Cannabis und seine Produkte derzeit nicht in der benötigten Vielfalt, Qualität, Menge und in differenzierten pharmakologischen Profilen zur Verfügung.
– Systematisch, multizentrisch und breit angelegte Forschung zu Cannabis als Medizin Deutschland sollte sich zügig und mit eigener systematischer medizinischer Forschung daran beteiligen, die Chancen und Potenziale von Cannabis als Medizin bei der Behandlung diverser, oft chronischer Erkrankungen zu erschließen und so der Cannabismedizin zum Status eines anerkannten Heilverfahrens zu verhelfen, von dem vor allem eine alternde, vielfach multimorbide und oft chronisch kranke Bevölkerung profitiert. Künftiger Bedarf für Forschung und Entwicklung
– Systematische und multidisziplinär angelegte sozialwissenschaftliche Forschung und Begleitung des eingeleiteten politisch-kulturellen Shifts Deutschland sollte für wissenschaftlich begründete Einblicke in sich vollziehenden sozialen Entwicklungen sorgen, die sich mit Regulierungs- und Normalisierungsprozessen von Cannabis ergeben werden und eine fachlich gesicherte Politikberatung ermöglichen. Zu sichern ist, dass diese Prozesse, die über sehr unterschiedliche sozial-, bildungs- und gesundheitspolitische Maßnahmen mit Aufmerksamkeit begleitet und deren Entwicklungen beeinflusst werden können, vorausschauend benannt und mögliche Probleme und Konflikte produktiven Lösungen zugeführt werden.
– Systematische und breit angelegte Forschung und Entwicklung zu Cannabis als Rohstoff- und Energielieferant mit hohem Potenzial für eine bioökonomische Wende, mit alternativer Energiegewinnung und wesentlichen Beiträgen für Klimaschutz
– Systematische und breit angelegte Forschung und Entwicklung zu den Potenzialen von Hanfund Cannabisprodukten im Bereich von Konsumgütern. Deutschland sollte insoweit zügig in den expandierenden Markt für hanf- und cannabinoidhaltige Konsumgüter einsteigen und mit eigenen Innovationen zu einem Marktführer in diesem Bereich werden.
– Systematische und breit angelegte Forschung und Entwicklung zu den Chancen und Möglichkeiten, Problemen und Konflikten der Herausbildung einer Cannabisindustrie.
Erste Anstrengungen, bereits vorhandene Expertise für diese Forschungs- und Entwicklungsthemen zu orten und deren Interesse zu wecken, belegen, dass in Deutschland durchaus ausreichend Potential in den angesprochenen Bereichen von Wissenschaft, Entwicklung und Überführung in praktische Anwendung vorhanden ist. Dringend benötigt werden jedoch forschungspolitische Entscheidungen dahingehend, eine interdisziplinäre Cannabisforschung auch in Deutschland rasch und mit innovativen Ansätzen zu fördern.
Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. phil. habil. Gundula Barsch
Professur für Suchtproblematik und Soziale Arbeit
Hochschule Merseburg
E-Mail: gundula.barsch@hs-merseburg.de