Die Techniker Krankenkasse hat einen Cannabis-Report veröffentlicht, in dem versucht wird, den Mythos aufrecht zur erhalten, eine Behandlung mit Cannabis sei nur etwas für Einzelfälle.
Medizinisches Cannabis: Kein pflanzliches Wundermittel
Die Techniker Krankenkasse stellte mit dem Cannabis-Report eine weitere Untersuchung vor, die die Wirksamkeit von medizinischem Cannabis für ein breites Indikationsspektrum infrage stellt. Dringend erforderlich ist mehr wissenschaftliche Forschung, denn die Zahl der Anträge steigt.
Medizinisches Cannabis ist nur selten eine Alternative zu den bewährten Therapien, kann aber Patienten im Einzelfall helfen. Das ist eines der Ergebnisse des „Cannabis-Reports“, den die Techniker Krankenkasse (TK) bei dem Arzneimittelexperten Prof Dr. rer. nat. Gerd Glaeske, Universität Bremen, in Auftrag gegeben hat. „Es gibt nur wenige Studien, die eine Behandlung mit Cannabis wissenschaftlich begründen können – es ist kein pflanzliches Wundermittel und für viele Indikationen gibt es bereits bewährte Arzneimittel“, erklärte Glaeske. Für „denkbar“ hält er aufgrund der ausgewerteten Studien eine Wirksamkeit von Cannabis bei chronischem Schmerz, Spasmen bei Multipler Sklerose, Epilepsien, zur Appetitsteigerung bei HIV/AIDS und bei chemotherapieinduzierter Übelkeit. Für ein breiteres Indikationsspektrum gebe es indes kaum oder gar keine Evidenz.
Ärzte und Ärztinnen aller Fachgebiete können seit einer Gesetzesänderung vom 10. März 2017 Patienten mit „schwerwiegenden Erkrankungen“, Cannabis zulasten der GKV verordnen. Im November 2017 kam eine Meta-Analyse (CaPRis) von Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Eva Hoch, München, bereits zu der Erkenntnis, dass bei vielen Krankheitsbildern keine Aussagen zu Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von medizinischem Cannabis getroffen werden könnten. Es brauche mehr hochwertige Studien (DÄ 49/2017).
Dieser Forderung schloss sich Glaeske an: „Wir brauchen eine vernünftige Versorgungsforschung, die von den Fachgesellschaften ausgehen sollte und nicht von der Industrie“. Die vorgeschriebene Begleiterhebung, zu der jeder verordnende Arzt verpflichtet ist, sei bei Weitem nicht ausreichend.
Großer Interpretationsspielraum
Zusammen mit dem TK-Vorstandsvorsitzenden Dr. Jens Baas stellte er die Frage, warum der Wirkstoff Cannabis vor Inkrafttreten des Gesetzes „nicht das System aus Zulassung, früher Nutzenbewertung und Preisverhandlung, wie es normalerweise für neue Arzneimittel gilt“, durchlaufen habe. Stattdessen erhielten die Krankenkassen einen Genehmigungsvorbehalt, der recht unklar definiert sei. Zudem sei der Begriff der „schwerwiegenden Erkrankung“ im Gesetz nicht ausreichend definiert und lasse einen zu großen Interpretationsspielraum bei Entscheidungen des MDK zu. Entsprechend häufig werden Anträge von Patienten auf Erstattung von Cannabis abgelehnt: Nach Angaben des GKV-Spitzenverbands von März gab es bislang rund 12 000 Anträge auf eine Cannabis-Therapie, davon wurden nur rund 6 800 genehmigt. Bei der TK gab es in 2017 rund 2 900 Anträge, heißt es in dem Cannabis-Report – „bei zunehmender Tendenz“, wie Baas berichtete. 67 Prozent davon wurden genehmigt. Bei den meisten Ablehnungen (64 Prozent) verwies der MDK auf alternative Therapieoptionen. Die Behandlung von Schmerzen war mit 61 Prozent der häufigste Grund für einen Antrag.
Bei der TK wurden 68 Prozent der Anträge auf Erstattung von dronabinolhaltigen Rezepturarzneimitteln gestellt; 32 Prozent auf die Erstattung von Cannabisblüten. „Wir sehen klare Vorteile bei der Verordnung von Dronabinol“, sagte Glaeske. Denn dessen Wirkstoffgehalt sei nicht so starken Schwankungen unterworfen, wie der von Blüten. Hinzu komme die Wirtschaftlichkeit: Cannabisblüten seien deutlich teurer als Dronabinol.
Die Mehrheit der Cannabis-verordnenden Ärzte sind dem TK-Report zufolge Neurologen, Psychiater und ärztliche Psychotherapeuten (39 Prozent), gefolgt von Hausärzten und Internisten (33 Prozent). Am häufigsten wurde Cannabis als Medizin TK-Versicherten im Saarland, in Bayern und Baden-Württemberg verordnet; am seltensten in den ostdeutschen Bundesländern. Patienten zwischen 40 und 60 Jahren stellten die meisten Anträge.
„Cannabinoide sind keine Alternative zu bewährten Medikamenten in der Schmerzmedizin“, erklärte aus der Versorgungspraxis Prof. Dr. med. Michael Schäfer, Berlin. Sie seien aber eine mögliche Indikation für einen individuellen Therapieversuch bei Therapieversagen nach medizinischem Standard. Cannabis beziehungsweise alle Medikamente könnten bei Schmerzpatienten jedoch immer nur ein Element einer interdisziplinären multimodalen Therapie sein, betonte Schäfer.