Viele Ärzte, die mit cannabisbasierten Medikamenten arbeiten, ärgern sich darüber, dass aus ärztlicher Sicht auch in eindeutigen Fällen Krankenkassen häufig eine Kostenübernahme ablehnen, wie im konkreten Fall eines Schmerzpatienten und ehemaligen Erlaubnisinhabers. Die Krankenkassen wiederholen häufig, dass nur unbegründete oder unvollständige Anträge abgelehnt werden. Das ist keineswegs der Fall, wie dieses Beispiel zeigt. Immerhin hat das Sozialgericht in diesem Fall dem Patienten recht gegeben.
Kasse muss Cannabis-Arzneimittel zahlen
Im aktuellen Fall geht es um einen erwachsenen Patienten, der eine chronische Schmerzstörung, ferner eine chronische Lumboischialgie, ADHS, rezidivierende depressive Episoden, chronische Gastritis mit Ulcus veritriculi und Refluxösophagitis sowie ein Reizdarmsyndrom hat. Er hatte schon mehrere stationäre Schmerztherapien hinter sich, ein positiver Erfolg war nicht eingetreten. Nach seiner Aussage ist er dringend auf Cannabis angewiesen, da die bisherigen Schmerzmittel bei ihm keine Wirkung zeigten oder wegen sehr starker Nebenwirkungen abgesetzt werden mussten. Seine behandelnden Ärzte bescheinigten ihm, dass eine Therapie mit Medizinalhanf sinnvoll sei. Bisher habe er sich das Medikament mit seiner Ausnahmegenehmigung auf eigene Kosten verordnen lassen. 12.500 bis 15.000 EURo zahlte er bereits aus eigener Tasche, doch weiterhin könne er dafür nicht mehr aufkommen. Auch Schulden habe er deshalb schon gemacht.
Der Patient hatte bereits im Januar 2016 bei seiner Krankenkasse die Kostenübernahme für Cannabisblüten beantragt. Auch nach Widerspruch wies die Kasse die Forderungen im November 2016 endgültig zurück, mit der Begründung, dass eine Abrechnung einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode grundsätzlich ausgeschlossen sei. Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Anwendung von Cannabisblüten bei bestimmten Erkrankungen liege nicht vor. Zu diesem Zeitpunkt war Cannabis zu medizinischen Zwecken noch nicht legalisiert worden.
Der Schmerzpatient hatte daraufhin eine Klage beim Sozialgericht (SG) Augsburg eingereicht. Die Richter gaben ihm zunächst nicht recht. Ende Februar 2017 stellte er dann einen Neuantrag bei der Krankenkasse, der erneut abgelehnt wurde. Auch der Widerspruch wurde im Januar 2018 zurückgewiesen. Grund: Es seien keine ärztlichen Angaben zu anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechenden Leistungen vorgelegt worden. Nach Erlass der neuen gesetzlichen Regelung zu Cannabis hat er im Juli 2017 dann erneut einen Antrag auf Kostenübernahme gestellt, über den noch nicht entschieden worden sei.
Ende November 2017 forderte er einen einstweiligen Rechtsschutz: „Er hat die Verpflichtung der Antragsgegnerin [Krankenkasse, Anm. d. Red.] begehrt, dass diese die Kosten für Cannabis flos als notwendiges Arzneimittel bei bestehender Schmerzkrankheit übernehme”, schreiben die Richter. Einen Monat später forderte der Patient eine Abänderung des Antrags. Die Kostenübernahme sollte für alle verfügbaren Sorten eines Cannabispräparates ausgedehnt werden. Hintergrund war der zu diesem Zeitpunkt vorherrschende Lieferengpass einzelner Blütensorten.
Die Kasse war unter anderem der Meinung, dass der Antrag vom Juli 2017 kein Neuantrag gewesen sei, sondern lediglich ein Arztfragebogen. Außerdem seien die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 6 SGB V nicht erfüllt, insbesondere sei nicht belegt, dass zugelassene Alternativpräparate nicht zur Verfügung stünden. „Angesichts der Fülle der möglichen Schmerzmedikamente auf dem Markt und der demgegenüber geringen Verordnungen sei nicht nachvollziehbar, dass ausschließlich Medizinal-Cannabisblüten zur Schmerzbekämpfung wirksam seien.“
Aus pharmakologischer Sicht sei nicht zu erwarten, dass Cannabisblüten in Bezug auf das Schmerzgeschehen angesichts der potenziellen Schwankungen im Gehalt der relevanten Inhaltsstoffe besser wirkten. Standardisierte Rezepturarzneimittel beziehungsweise Fertigpräparate wie Sativex seien eindeutig zu bevorzugen. Doch der Kläger hat darauf hingewiesen, dass die Kasse früher auch die Kostenübernahme für Dronabinol und Sativex abgelehnt habe; er habe deshalb Privatrezepte und auch die Ausnahmegenehmigung vom BfArM erhalten. Außerdem war Sativex nach einem ärztlichen Attest bei ihm unwirksam; er habe das Präparat nicht vertragen.
Die Richter und auch der MDK erkannten an, dass eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des SGB V vorliegt. Es sei zu berücksichtigen, dass dem Patienten eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden sei. Diese Erlaubnis habe jedoch mit Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung zurückgesandt werden müssen. Der MDK berief sich zudem auf die Befunde, die zeigten, dass Cannabinoide bereits 2015 eingesetzt worden waren, „so dass eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf nachvollzogen werden könne”.
Das SG hat mit Beschluss vom Januar 2018 die Kasse vorläufig verpflichtet, dem Patienten ab 29. November 2017 bis 30. April 2018 ein verfügbares Cannabispräparat als Arzneimittel zur Verfügung zu stellen beziehungsweise in diesem Zeitraum bereits entstandene Kosten zu erstatten. Im April hat der Kläger beim SG Augsburg dann einen weiteren Antrag zur Kostenübernahme der Kosten für ein Cannabispräparat/Cannabisblüten, weiter über den 30. April 2018 hinaus, gestellt. Da nicht von einer Eilbedürftigkeit ausgegangen wurde, wurde auf das Gutachten des Orthopäden vom Mai 2018 abgewartet. Der Sachverständige ist dabei davon ausgegangen, dass – auf orthopädischem Fachgebiet – die allgemein anerkannten und dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlungen angewandt beziehungsweise ausprobiert wurden, der Patient diese jedoch nicht vertragen habe oder sie starke Nebenwirkungen gezeigt hätten. Nach Aktenlage habe sich eine positive Wirkung der Cannabismedikation gezeigt.
Nach eigenen Angabe des Klägers seien in der Zeit bis „Ende Februar 2018“ jedoch keine Kosten angefallen, da wegen eines Lieferengpasses keine Cannabisblüten bezogen wurden und auf eine Opiumtinktur zurückgegriffen wurde. Die Kasse hat danach beantragt, den Beschluss aufzuheben. Das LSG Bayern sah die Beschwerde begründet und entschied dann in zweiter Instanz, dass die Kasse für den Zeitraum vom 1. März bis 30. April 2018 ein verfügbares Cannabispräparat als Arzneimittel zur Verfügung stellen muss beziehungsweise in diesem Zeitraum bereits entstandene Kosten, mit Ausnahme des Zuzahlungsbetrages, zu erstatten hat.