Die Zahl der Patienten, die Cannabis auf Rezept erhalten, steigt weiter an, befindet sich jedoch immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau.
Immer mehr deutsche Patienten bekommen Cannabis auf Rezept
Frankfurt – Immer mehr schwerkranke Menschen in Deutschland bekommen Cannabis auf Rezept. Laut einer Umfrage des Handelsblatts unter den drei großen Krankenkassen AOK, Techniker Krankenkasse und Barmer wurden im vergangenen Jahr mehr als 18.400 Anträge auf Kostenerstattung gestellt.
Rund zwei Drittel dieser Anträge, also knapp 12.500, wurden bewilligt. 2017 waren von den drei Kassen rund 8800 Anträge positiv beschieden worden. Allerdings war Cannabis für therapeutische Zwecke erst ab dem 10. März 2017 zugelassen und nicht schon von Jahresbeginn an. Die Versorgung lief langsam an. Gesetzlich Krankenversicherte können vor dem Start der Behandlung einen Antrag auf Kostenerstattung stellen, den dann der Medizinische Dienst der Kassen prüft.
Die drei großen Krankenkassen AOK, TK und Barmer stehen mit insgesamt rund 45 Millionen Mitgliedern für mehr als 50 Prozent des Marktes der gesetzlichen Krankenversicherung. Insgesamt haben die drei Kassen seit der Cannabis-Freigabe als Medizin rund 21.300 Anträge auf Kostenerstattung genehmigt. Die Genehmigungsquote liegt insgesamt bei rund zwei Dritteln, allerdings gehen die Zahlen bei den einzelnen Kassen auseinander.
Bei den insgesamt elf Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), bei denen im vergangenen Jahr 10.900 Anträge eingingen, lag die Genehmigungsquote bei durchschnittlich 63 Prozent. Die Techniker Krankenkasse hatte 2018 von den 2200 eingegangenen Anträgen rund 68 Prozent bewilligt, bei der Barmer lag die Quote mit 71 Prozent von insgesamt 5349 Anträgen noch etwas höher.
Cannabisimporteure erhöhen ihre Einfuhrmengen
Die Statistiken der Krankenkassen zeigen, dass bei der Mehrzahl der Fälle vor allem Patienten mit chronischen Schmerzen Cannabis auf Rezept bekommen. Die Fälle, bei denen eine Kostenübernahme abgelehnt wird, werden oft damit begründet, dass bei dem Patienten noch andere therapeutische Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Wie viele Patienten in Deutschland Cannabis auf Rezept bekommen, ist unklar, da darüber keine bundesweite Statistik existiert. Rechnet man die Zahlen von AOK, TK und Barmer hoch, dürften es aber mittlerweile mehr als 40.000 Patienten sein. Nicht alle werden mit Cannabis-Blüten versorgt.
Nach den aktuellsten Zahlen des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entfallen rund 38 Prozent der Verordnungen auf unverarbeitete Cannabisblüten, 34 Prozent auf cannabishaltige Zubereitungen wie etwa Dronabinol und 29 Prozent auf Fertigarzneimittel wie das Mundspray Sativex oder das Medikament Canemes. Diese Kapseln verschreiben Ärzte gegen Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapien. Sativex ist seit 2011 unter anderem zu Behandlung von Verkrampfungen bei Multipler Sklerose zugelassen.
Die wachsenden Patientenzahlen sorgen für einen steigenden Bedarf an Cannabisblüten in Deutschland. Deswegen erhöhen die Importeure auch ihre Einfuhrmengen. Seit März vergangenen Jahres haben insgesamt neun Importeure beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Erhöhung ihrer Importmengen auf eine Jahreshöchstmenge von nunmehr knapp 25.600 Kilogramm beantragt. Das beinhaltet die Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Anfrage des Abgeordneten Niema Movassat von der Linkspartei, die dem Handelsblatt vorliegt.
Die Linken kritisieren die Menge des Jahresbedarfs an Cannabis
Vor der Freigabe von Cannabis als Medizin summierten sich die Importgenehmigungen zwischen 2008 und März 2017 auf insgesamt 4000 Kilogramm. Damals hatte nur wenige Patienten eine Sondererlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Cannabisblüten für therapeutische Zwecke aus der Apotheke zu beziehen.
Bei Cannabisblüten veranschlagt das BfArM eine Tagesmenge pro Patient von einem Gramm, der Jahresbedarf beläuft sich danach auf 365 Gramm pro Patient. Demnach bräuchten 10.000 Patienten also 3650 Kilogramm Blüten pro Jahr. Mit der Freigabe von Cannabis als Medizin hatte das BfArM 2017 auch ein Ausschreibungsverfahren für den Anbau von Cannabis in Deutschland gestartet. Nachdem die erste Ausschreibung nach Gerichtsbeschluss wegen Formfehlern aufgegeben werden musste, haben nun für die zweite Ausschreibung 79 Bieter beziehungsweise Bietergemeinschaften ein Angebot abgeben. Die Zuschläge sollen im zweiten Quartal dieses Jahres erfolgen. Die erste Ernte erwartet das Institut Ende 2020.
Niema Movassat, der Sprecher für Drogen- und Verfassungspolitik der Linkspartei, kritisiert die in der BfArM-Ausschreibung veranschlagte Menge von 10,4 Tonnen Cannabisblüten verteilt auf vier Jahre als „Tropfen auf dem heißen Stein“. „Wenn Deutschland den Import komplett durch eigenen Anbau ersetzen wollte, müssten 100 Tonnen ausgeschrieben werden“, findet Movassat.
Die Bundesregierung müsse die Ausschreibungskriterien praxistauglicher gestalten, so der Bundestagsabgeordnete weiter. Es brauche flexible Anbaumengen und Anbausorten. Dies würde sicherstellen, dass die Cannabissorten angebaut werden, die die Patienten benötigen. Das BfArM wiederum weist darauf hin, dass bei der Festlegung der Ausschreibungsmenge auch berücksichtigt werden musste, dass Hersteller, Händler und Apotheken medizinisches Cannabis künftig weiterhin auch bei Importeuren kaufen können.