Es gibt einen Verteilungskrieg der Cannabisindustrie um die größten Profite. Es geht um mehr als um einen Glaubenskrieg. Es geht ums Geld.
Gibt es einen Glaubenskrieg in der Cannabistherapie?
Beim sogenannten Cannabisgesetz muss nachgebessert werden. Darüber waren sich Vertreter der Pharmazie, Medizin und der Kostenträger auf einer interdisziplinären Veranstaltung am vergangenen Freitag einig. Außerdem war die Mehrheit der Referenten davon überzeugt, dass die Verordnung von Cannabisblüten mit einem hohen Missbrauchspotenzial verbunden sei, im Gegensatz zu standardisierten Fertigarzneimitteln. Belege oder Zahlen gebe es dazu allerdings nicht.
Cannabis als Medizin polarisiert die Fachwelt. Erik Bodendiek von der Bundes-ärztekammer sprach in einem Vortrag am vergangenen Freitag sogar von einem „Glaubenskrieg“. Den Begriffsteil „Glauben“ habe er deshalb gewählt, weil seiner Meinung nach bei der Cannabismedizin eher die Eminenz als die Evidenz dominiere.
Auf der interdisziplinären Veranstaltung „Cannabis als Medizin – Gefahren des Missbrauchs?“ übte der Co-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sucht und Drogen heftige Kritik an der derzeitigen Regelung zur Medizinalhanf-Verschreibung. Vor Ort in Berlin waren außerdem Dr. Andreas Kiefer (Bundesapothekerkammer), Dr. Detlev Parow (DAK-Gesundheit), Dr. Axel Meeßen (MDK Berlin-Brandenburg) und Professor Joachim Nadstawek. Die Veranstaltung wurde organisiert vom Institut für Gesundheitssystementwicklung und dem Berufsverband der Ärzte, Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland (BVSD). Finanzielle Unterstützung gab es seitens des Extraktherstellers Tilray sowie von Bionorica Ethics, die die Rezeptursubstanz Dronabinol vertreiben.
Druck auf die Ärzteschaft
Bodendiek monierte, dass der Gesetzgeber den Cannabisblüten durch Aufnahme ins SGB V einen Medikamentenstatus verliehen habe, ohne dass diese eine Arzneimittelzulassung durchlaufen hätten. Und die vorhandene Evidenz sei von schlechter Qualität. Des Weiteren vermisse die Bundesärztekammer eine Indikationsliste.
Der dritte Kritikpunkt bestehe darin, dass auf dem verordnenden Arzt ein zu großer Druck laste. Denn in den meisten Fällen ginge die Initiative für eine Cannabis-therapie von Patienten aus, die bereits Konsumerfahrung hätten. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Grenzen zur „Selbstmedikation“ oft fließend sind. Dies liegt unter anderem daran, dass das Cannabisgesetz erst vor knapp zwei Jahren in Kraft trat, die Ablehnungsquote zu Beginn besonders hoch war und viele Chroniker auf „alternative Bezugsquellen“ ausgewichen waren.
Steigende Verordnungen als Zeichen für Missbrauch?
Doch inzwischen ist offenbar eine Art Lernkurve eingetreten. Die Genehmigungs-quote hat sich kassenübergreifend auf immerhin zwei Drittel stabilisiert und die Zahl der Cannabisrezepte steigt. Der wachsende Bedarf ist für BAK-Präsident Kiefer ein Anzeichen für das Missbrauchspotenzial, insbesondere bei dem hohen Blütenanteil: Laut aktuellen GKV-Verordnungszahlen wurden von Januar bis September 2018 rund 128.000 Cannabisverordnungen auf Kassenrezept ausgestellt, davon entfallen 42.428 Verordnungen auf unverarbeitete Cannabisblüten und 43.087 auf die heterogene Gruppe der „Cannabishaltigen Zubereitungen“.
Kiefer warnt vor „Papieranalytik“
Cannabisrezepturen verursachten in der Apotheke viel Arbeit, gab Kiefer zu bedenken. Dies liege zum einen an der Kommunikation rund um die Lieferengpässe, zum anderen an dem hohen Prüfaufwand, der offenbar vom jeweiligen Bundesland abhänge. In dem Zusammenhang warnte Kiefer davor, dem Beispiel Schleswig-Holstein zu folgen, wo Cannabisblüten aus den Niederlanden als Fertigarzneimittel eingestuft würden. Denn ein Fertigarzneimittel sei nur mit einer Arzneimittel-zulassung verkehrsfähig und der komplette Verzicht auf die Identitätsprüfung berge die Gefahr, dass verschnittene Ware in die Apotheken käme.
Und sich auf Prüfzertifikate im Sinne einer „Papieranalytik“ zu verlassen, sei riskant, wie man am Beispiel der Valsartankrise gesehen habe. „Es gibt seitens der Apothekerschaft keinen Grund, alle Sicherheitsbedenken über Bord zu werfen“, betonte der Apotheker. Seiner Ansicht nach soll sich die Bundespolitik zu der „Fertigarzneimittelfrage“ positionieren, anstelle dies den Bundesländern zu überlassen.
Bei der Frage um den Prüfaufwand ist zu berücksichtigen, dass die Bundesregierung die Cannabiskosten halbieren will. Mit dem Entwurf für das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) werden der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband dazu aufgefordert, sich auf niedrige Apothekenzuschläge zu einigen. Einen bundeseinheitlichen Gegenvorschlag zur Entlastung der Pharmazeuten gibt es allerdings nicht.
Wie teuer sind Cannabisblüten?
Um’s Geld ging es auch bei den Wortbeiträgen der Kostenträger. Aus Sicht von Parow (DAK) seien die Blüten die teuerste Cannabisarznei. Dazu zog er eine Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK) heran, derzufolge die monatlichen Kosten für eine Therapie mit Dronabinol 440 EURo, für die Behandlung mit Cannabisblüten 2.170 EURo kosten würden.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass die TK diese Zahlen anhand der Höchstmengen laut Betäubungsmittelverschreibungsverordnung angibt. Diese betragen für Dronabinol, das THC in Reinstform entspricht, 500 Milligramm und 100 Gramm für die Blüten. Diese Höchstmengen sind allerdings keine äquivalenten Verschreibungsmengen. Bei einer Blütensorte mit einem THC-Gehalt von 20 Prozent, wie in der Schmerztherapie häufig eingesetzt, unterscheidet sich die Ausgangsbasis für die TK-Berechnungen beispielsweise um den Faktor 40.
Doch die Auffassung, dass Blüten „teurer“ sind als andere Cannabisarzneien, hat sich bei den Kassen offenbar durchgesetzt. Außerdem kritisierte Parow die Vermischung der Freizeit- und medizinischen Anwendung. „Die Leute sollen konsumieren, was sie wollen, wenn sie es nur selbst bezahlen“, so der DAK-Experte.
MDK möchte mehr Kompetenz
Auch Meeßen, der die MDK-Seite (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) vertritt, sprach sich für eine schärfere Trennung zwischen der Legalisierungs- und der Medizinalhanfdebatte aus. Er bemängelte zudem, dass der MDK nicht die Kompetenz habe, Anträge aus inhaltlichen und nicht nur aus formalen Gründen abzulehnen.
Der politische Trend scheint derzeit in die andere Richtung zu gehen. So sind im aktuellen GSAV-Entwurf, Ausnahmen beim Genehmigungsvorbehalt vorgesehen. Dies bedauere der MDK-Experte sehr. Außerdem bemängelte Meeßen, dass Cannabis nicht nur von spezifischen Facharztgruppen verordnet werden dürfe, sondern auch von „fachfremden“ Hausärzten.
Schmerzmediziner: „Es sind mitnichten die Junkies“
Für Schmerzmediziner Nadstawek stellt sich das Kompetenzgerangel bei den Cannabisverordnungen anders dar. Es gehe nicht an, dass fachfremde Personen beim MDK Therapieempfehlungen abgeben. So stehe in den Ablehnungsbescheiden häufig die Empfehlung, dass die Schmerzpatienten doch stattdessen Opioide einnehmen sollen – ohne die Betroffenen zu kennen. Und dass Opioide für die Patienten besser seien, könne der BVSD-Vorstand nicht bestätigen.
Außerdem bezweifele er, dass das Missbrauchspotenzial der Blütenarzneien so hoch sei, wie von den Vorrednern angenommen. „Es sind mitnichten die Junkies, die nach Cannabis fragen, sondern die schweren Fälle“, schilderte der Schmerzmediziner aus seiner Praxiserfahrung.
Wie sprechen wir über Medizinalhanf in fünf Jahren?
Der Begriff „Glaubenskrieg“ klingt vielleicht etwas drastisch. Doch trifft er den emotionalen Aspekt der Debatte im Kern. Denn sowohl für die Kritiker als auch für die Befürworter der Blütentherapie spielt Eminenz eine große Rolle. Dies liegt möglicherweise zum einen an der Evidenzlage und der fehlenden Arzneimittel-zulassung. Hinzu kommt, dass Cannabis die in Deutschland am häufigsten illegal konsumierte Droge ist, und bis vor Kurzem auch als Medizin nicht verkehrsfähig war, was subjektiv die Bedenken einiger Kritiker verstärken könnte.
Am Status von Cannabis als illegale Rauschdroge könnte sich auf internationaler Seite langfristig etwas ändern. So hat das WHO-Expertengremium, das für Drogen und Suchtstoffe zuständig ist (ECDD), empfohlen, das Gefahrenpotenzial von Cannabis herunterzustufen. Konkret soll Cannabis nach Auffassung des ECDD nicht mehr in die internationale Betäubungsmittelkategorie 4 gehören, die mit einem kompletten Verbot von Herstellung, Handel und Besitz verbunden ist. Cannabis würde demnach nur noch zur Kategorie 1 gehören, die eine strenge staatliche Kontrolle vorgibt. Ob diese nicht rechtsverbindlichen Empfehlungen umgesetzt werden, ist Sache der UN. Und diese Entscheidung könne sich noch bis 2020 hinziehen, erklärte eine Sprecherin des ECDD gegenüber DAZ.online.