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Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 27.3.2019

„Entwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)“
(Bundestagsdrucksache 19/8753)

Vorbemerkung
Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) betrachtet die medizinische Verwendung von Cannabis und cannabisbasierten Medikamenten als gesundheitspolitisches – und nicht als drogenpolitisches -Thema. Ziel ist es, die Behandlung von Patienten mit ganz unterschiedlichen Erkrankungen zu verbessern, bei denen cannabisbasierte Medikamente wirksam sind oder sein können.

Hintergrund
In der Stellungnahme der ACM aus dem Jahr 2016 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung hieß es: „Aus Sicht der Patienten und der Ärzteschaft muss es darauf ankommen, dass die Entscheidung, ob ein Patient mit Cannabis-basierten Medikamenten behandelt wird, eine Entscheidung von Arzt und Patient ist. Ansonsten bleibt es bei einer Zweiklassenmedizin, mit größeren Optionen für vermögende Patienten. Viel wird daher davon abhängen, wie streng die Kriterien für eine Kostenübernahme solcher Präparate durch die Krankenkassen gehandhabt werden sollen, und ob Ärztinnen und Ärzte tatsächlich in der Lage sind angesichts ihres begrenzten Praxisbudgets Medikamente auf Cannabisbasis auch in der Tat verschreiben können. Wann wird eine Erkrankung als „schwer“ eingestuft, und ab wann werden diese Patienten als mit den Standardverfahren „austherapiert“ betrachtet? Wie groß wird also der Patientenkreis sein, der von einer Kostenerstattung durch die Krankenkassen profitieren wird? Wie viele Patientinnen und Patienten werden Therapeuten finden, die unter den Bedingungen einer Budgetierung der Medikamentenkosten auch tatsächlich bereit sind, ihnen cannabisbasierte Medikamente zu verordnen? Das Gesetz ist ein großer Schritt in die richtige Richtung, sofern die gewünschten Veränderungen auch wirklich in der Praxis ankommen.“

Heute sehen wir, dass viele der gewünschten Veränderungen nicht in der Praxis angekommen sind. Ziel einer optimalen gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung mit Cannabis-Medikamenten muss es sein, dass Patientinnen und Patienten mit schweren Erkrankungen, die von einer solchen Therapie profitieren, auch Zugang zu dieser Therapie haben. Dieses Ziel hatte sich der Gesetzgeber bei der einstimmigen Verabschiedung des Gesetzes am 19. Januar 2017 im Deutschen Bundestag gesetzt.

Nach der gegenwärtigen Rechtslage sind aber – trotz ärztlicher Empfehlung einer Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten – weiterhin viele Patientinnen und Patienten von einer entsprechenden Behandlung ausgeschlossen. Das Betäubungsmittelgesetz wurde geschaffen, um Menschen vor gesundheitlichen Schäden durch Betäubungsmittel zu schützen. Es wurde nicht geschaffen, um kranke Menschen durch strafrechtliche Maßnahmen zu schädigen, weil ihnen eine legale Behandlung mit Cannabis-basierten Medikamenten verwehrt wird.

Welche Probleme bestehen gegenwärtig?
Trotz steigender Patientenzahlen erhalten auch heute noch bei Weitem nicht alle Patienten, die von einer Therapie mit Präparaten auf Cannabisbasis profitieren, eine entsprechende Behandlung. Diese Unterversorgung hat verschiedene Ursachen, die vom Gesetzgeber zum Teil behoben oder abgeschwächt werden können. Dazu zählen:

1. Viele Patienten finden keinen Arzt, der ihnen entsprechende Medikamente verschreibt oder in dem notwendigen Umfang verschreibt. Die Ursachen sind vielfältig, darunter mangelnde Erfahrung von Ärzten, Ängste von Ärzten vor Regressen, mangelnde Attraktivität der Behandlung mit Cannabis-Medikamenten aufgrund von bürokratischer Mehrarbeit.

2. Viele Ärzte behandeln ihre Patienten grundsätzlich nicht mit Medikamenten auf Cannabisbasis. Die Ursachen sind vielfältig: Grundsätzliche Ablehnung einer Therapie mit Cannabis oder Cannabinoiden, Angst vor Regressen, Angst vor Wirtschaftlichkeitsprüfungen, Vermeidung der mit der Verschreibung verbundenen Bürokratie, Angst vor Repressalien (Staatsanwaltschaft, Regierungspräsidium, Gesundheitsamt).

3. Viele Patienten müssen die Präparate selbst bezahlen. Dafür gibt es vor allem drei Gründe: 1.) der behandelnde Arzt stellt grundsätzlich nur Privatrezepte aus, 2.) eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse wird bei der jeweiligen Erkrankung praktisch immer abgelehnt, sodass Ärzte demotiviert sind, weitere Kostenübernahmeanträge zu stellen, und 3.) trotz Kostenübernahme in vergleichbaren Fällen wird bei dem betroffenen Patienten – eventuell trotz Klage vor dem Sozialgericht – eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse abgelehnt.

Selbst viele ehemalige Erlaubnisinhaber für die Verwendung von Medizinalcannabisblüten aus der Apotheke nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz haben bis heute keine Kostenübernahmezusage ihrer Krankenkasse für eine Therapie mit Cannabis-basierten Medikamenten erhalten.

4. Ärzte haben keine Therapiefreiheit. Es wird gefordert, dass Patienten zunächst zahlreiche Standardtherapien durchlaufen haben müssen, bevor eine Therapie mit Cannabis-basierten Medikamenten genehmigt wird. Dies führt nicht selten dazu, dass zunächst Medikamente mit viel stärkeren Nebenwirkungen- wie beispielsweise Opiate oder Neuroleptika – eingesetzt werden müssen, auch wenn dies angesichts der Risiko-Nutzen-Abwägung im jeweils konkreten Fall aus ärztlicher Sicht nicht vertretbar oder zumutbar ist.

5. Nach wie vor bestehen häufig Lieferengpässe für Cannabisblüten, sodass eine kontinuierliche Therapie mit dem wirksamsten Präparat nicht möglich ist.

6. Die Kosten für Medizinalcannabisblüten sind nach Inkrafttreten des Gesetzes am 10. März 2017 erheblich gestiegen. Dies belastet das Budget der Ärzte, erhöht die Ausgaben der Krankenkassen und macht die Therapie für all jene Patienten unerschwinglich, die entsprechende Präparate nur auf einem Privatrezept erhalten.

7. Apotheker, die Cannabis-basierte Medikamente an Patienten ausgeben, führen insbesondere bei Erstbehandlungen umfangreiche und zeitintensive Beratungen durch, die nicht vollumfänglich vergütet werden.

Lösungsvorschläge durch die Bundesregierung
Die ACM begrüßt den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung von § 31 Abs. 6 SGB V sowie zur Reduzierung der Kosten für Medizinalcannabisblüten aus der Apotheke. Nach unseren bisherigen Erfahrungen mit der Umsetzung des Cannabis als Medizin-Gesetzes halten wird die vorgeschlagenen Maßnahmen jedoch für unzureichend. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) vom 4.4.2019

Im Einzelnen begrüßt die ACM, dass 1. ein Wechsel zwischen Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder zwischen Cannabisextrakten in standardisierter Qualität sowie eine Änderung der Dosierung keiner erneuten Genehmigung durch die Krankenkasse bedarf.

2. die Preisbildung nach der Arzneimittelpreisverordnung für Medizinalcannabisblüten keine Anwendung mehr findet. Allerdings widerspricht die ACM der Absicht, die Arbeitsleistung der Apothekerinnen und Apotheker nicht mehr angemessen zu honorieren, und schlägt eine andere, sinnvollere Lösung vor.

Im Referentenentwurf des Bundesministeriums der Gesundheit vom 14.11.2018 wurde vorgeschlagen, dass im Falle einer Behandlung mit einem Cannabisarzneimittel im Rahmen eines stationären Aufenthaltes von dem weiterbehandelnden Arzt kein Kostenübernahmeantrag mehr gestellt werden müsse. Diese Regelung hätten wir sehr begrüßt, da sie zu einer erheblichen Vereinfachung der Behandlung beigetragen und insbesondere einer Unterbrechung der Therapie nach Entlassung aus der stationären Behandlung entgegen gewirkt hätte.

Die nun hingegen im Gesetzentwurf vorgeschlagene Regelung, dass die Kostenübernahmezusage durch die Krankenkasse innerhalb von 3 Tagen erfolgen müsse, lehnen wir ab. Eine solche Regelung wird auch weiterhin unweigerlich zu einer Unterbrechung der Therapie um mehrere Wochen führen, da der weiterbehandelnde Arzt den Kostenübernahmeantrag erst einmal stellen muss.

Lösungsvorschläge für bestehende Probleme durch die ACM e.V.
1. Problem
Für viele schwere Erkrankungen, bei denen cannabisbasierte Medikamente einen therapeutischen Nutzen haben und bei denen die Bundesopiumstelle zwischen 2007 und 2016 entsprechende Ausnahmeerlaubnisse nach § 3 Abs. 2 BtMG erteilt hatte, gibt es nur eine unzureichende klinische Datenbasis.

Die Krankenkassen gehen vermehrt dazu über, bei diesen Patienten „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome“ (§ 31 Abs. 6 SGB V) zu negieren, obwohl die betroffenen Patienten eine positive Einwirkung auf ihre Erkrankung bzw. Symptomatik tatsächlich erleben, was auch ärztlich festgestellt wurde. Diese Praxis wurde vom Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt und schließlich auch vom Bundesverfassungsgericht (Az.: 1 BvR 733/18) legitimiert. Andere Sozialgerichte lassen durch eine Begutachtung überprüfen, ob eine tatsächliche Linderung im konkreten Fall vorliegt oder nicht.

Lösungsvorschlag: Die Krankenkassen sollten zur Kostenübernahme verpflichtet werden, wenn ein cannabisbasiertes Medikament im konkreten Einzelfall eine tatsächliche „spürbare positive Einwirkung“ auf die Erkrankung bzw. Symptome bewirkt. Sinnvoll wäre eine Regelung, wie sie für die Kostenübernahme bei dem Fertigarzneimittel Sativex® gilt. Dieses Medikament kann für die Behandlung der mittelschweren bis schweren Spastik bei multipler Sklerose von Erwachsenen verschrieben werden.

Die Kosten werden langfristig allerdings nur dann erstattet, wenn sich während eines Behandlungsversuchs auch tatsächlich eine Besserung einstellt.

2. Problem
Krankenkassen lehnen immer wieder eine Kostenübernahme ab, weil Erkrankungen nicht als „schwerwiegend“ eingestuft werden. Dabei wird übersehen, dass nahezu alle Erkrankungen, bei denen cannabisbasierte Medikamente von Nutzen sein können, unterschiedlich starke Ausprägungen haben können, von leicht bis schwerwiegend. Es handelt sich dabei auch um Erkrankungen, bei denen Patienten von der Bundesopiumstelle eine Ausnahmeerlaubnis zur Verwendung von Cannabisblüten nach § 3 Abs. 2 BtMG erhalten hatten, weil eine Behandlung notwendig ist und durch andere Maßnahmen nicht erreicht werden konnte.

Andere Argumentationen der Krankenkassen sind beispielsweise der Verweis auf die Arbeitsfähigkeit, welche mit einer schweren Erkrankung nicht vereinbar sei, auch dann, wenn erst durch eine Therapie mit einem Cannabis-basierten Medikament die Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt werden kann oder konnte. Dies führt unweigerlich dazu, dass Patienten in die Illegalität getrieben werden.

Lösungsvorschlag: Die Passage im Sozialgesetzbuch V, in der es heißt „Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung …“ wird ergänzt durch „Als schwerwiegend ist eine Erkrankung dann einzustufen, wenn dadurch die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt wird.“ Bereits die Anforderungen des § 13 Betäubungsmittelgesetzes schließen aus, dass Cannabisbasierte Medikamente bei leichten bzw. nicht schwerwiegenden Erkrankungen eingesetzt werden dürfen. Durch die vorgeschlagene Änderung entfällt eine Diskussion zwischen Arzt und Krankenkasse bzw. MDK, ob eine Erkrankung schwerwiegend ist oder nicht. Der Arzt muss darüber unter Berücksichtigung der strafbewehrten rechtlichen Vorgaben des Betäubungsmittelgesetzes entscheiden.

3. Problem
Krankenkassen lehnen nicht selten eine Kostenübernahme ab, weil noch nicht alle Therapieoptionen ausgeschöpft seien, ohne allerdings konkret zu benennen, welche Therapien noch durchgeführt werden sollten. Die behandelnden Ärzten wissen dann nicht, , welche Therapien nach Auffassung der Krankenkasse bzw. des MDK noch durchgeführt werden sollen, bevor ein Behandlungsversuch mit einem Cannabis-basierten Medikament genehmigt werden kann.

Lösungsvorschlag: Die Krankenkassen dürfen einen Antrag wegen fehlender Ausschöpfung von Standardtherapien nur dann ablehnen, wenn diese konkret benannt werden. Dabei müssen die Krankenkassen stärker als bisher die ärztliche Risiko-Nutzen-Abwägung einer Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten im Vergleich zu anderen Präparaten berücksichtigen.

4. Problem
Die Kosten für Cannabisblüten in der Apotheke sind erheblich gestiegen, weil sie nach Inkrafttreten des Gesetzes nach § 4 oder § 5 Arzneimittelpreisverordnung als Rezepturarzneimittel abgegeben werden müssen. Dies belastet das ärztliche Budget, die Krankenkassen und Patienten, die solche Medikamente weiterhin selbst finanzieren müssen.

Lösungsvorschlag: Die Prüfung der Identität verschiedener Chargen von Medizinalcannabisblüten sollte nach dem Vorbild der Niederlande zentral in der Cannabisagentur oder einer anderen Stelle erfolgen. Eine Prüfung jeder einzelnen Dose derselben Charge könnte dann in den Apotheken entfallen, sodass die Behältnisse nicht mehr geöffnet werden müssten und die Medizinalcannabisblüten als fiktives Fertigarzneimittel behandelt werden könnten. Die im Referentenentwurf vorgeschlagene Lösung, die Arbeitspreise der Apotheker bei gleichem Arbeitsaufwand drastisch zu reduzieren, stellt keine tragfähige Lösung dar. Bereits heute nimmt nur ein kleiner Teil der Apotheker an der Versorgung mit Medizinalcannabisblüten teil. Eine nicht angemessene Bezahlung könnte dazu führen, dass diese Zahl weiter sinkt. Zudem spielt diese Lösung die Apotheker auf der einen Seite und die Patienten und Krankenkassen auf der anderen Seite gegeneinander aus. Die ACM unterstützt daher die Reduzierung der Preise, schlägt jedoch einen anderen Weg vor. Darüber hinaus sollte in Erwägung gezogen werden, auf die Erhebung einer Mehrwertsteuer für Cannabismedikamente zu verzichten.

5. Problem
Ärztinnen und Ärzte fürchten bei einer Verschreibung hoher Dosierungen von Cannabis-basierten Medikamenten, dass dies Strafzahlungen an die Krankenkassen, so genannte Regresse, nach sich ziehen könnte unter dem Vorwurf mangelnder Wirtschaftlichkeit. Der Referentenentwurf bietet dafür keine Lösung an.

Lösungsvorschlag: Die Verordnung von Arzneimitteln mit den Wirkstoffen THC und Nabilon sind bei den Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach §§ 106-106c SGB V als zu berücksichtigende Praxisbesonderheiten von der Prüfungsstelle anzuerkennen, sofern eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse erfolgt. Bereits heute sind viele Medikamente im Anwendungsgebiet mit einem Zusatznutzen laut GBA-Beschluss als bundesweite Praxisbesonderheit anzuerkennen.1 Der Kostenübernahmevorbehalt der Krankenkassen kann so wie ein akzeptierter Zusatznutzen nach G-BA-Beschluss oder vergleichbar behandelt werden, wenn dazu der gesetzgeberische Wille vorhanden ist.

Für den Vorstand der ACM e.V.
Dr. med. Franjo Grotenhermen, 1. Vorsitzender
Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl, 2. Vorsitzende

Hier können Sie die Stellungsnahme als PDF herunterladen

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