Suche
Close this search box.

ACM-Mitteilungen vom 21. März 2021

Liebe Leserin, lieber Leser,

am 20. März fand unsere kostenlose virtuelle Online-Fortbildung des Jahres 2021 als Webinar auf der Plattform Zoom statt. Die Beteiligung war erfreulich hoch, sodass wir hoffen, dass viele Teilnehmer nützliche Informationen für ihre praktische Tätigkeit erhalten haben. Gemäß des automatisch erstellten Berichts betrug die Gesamtzahl der Teilnehmer 697 und die maximale Zahl der gleichzeitig Teilnehmenden 245. Nach meiner persönlichen Beobachtung während der Konferenz lag die Teilnehmerzahl im Allgemeinen zwischen 210 und 230. Am Abend gab es noch einen kostenpflichtig Intensivworkshop, an dem 17 ärztliche Kolleginnen und Kollegen teilgenommen haben. Die bisherigen Rückmeldungen auf beide Veranstaltungen waren sehr positiv, sodass wir motiviert sind, eine solche Veranstaltung zu wiederholen oder möglicherweise auch turnusmäßig jährlich durchzuführen.

Offensichtlich war der virtuelle Rahmen dem Interesse an der Fortbildung und ihrer Qualität nicht abträglich. Insbesondere freuen wir uns auch über die rege Teilnahme an den Diskussionsrunden über die Chat-Funktion der Plattform.

Kürzlich hat die BKK Mobil Oil einen von Professor Dr. Gerd Glaeske und Lutz Muth erstellten Cannabis-Bericht veröffentlicht. Ich persönlich schätze die Arbeit von Professor Glaeske und bin daher umso mehr von seinen Aussagen enttäuscht. Wenn man beispielsweise wenige Kenntnisse und auch keine praktischen Erfahrungen zum Thema Missbrauch von Medikamenten oder von internationalen Entwicklungen im Bereich Cannabis als Medizin hat, wäre es angebracht, sich zurückhaltend dazu zu äußern. Dennoch ist der Bericht nicht völlig wertlos, denn er enthält nützliche Zahlen und Fakten.

Viel Spaß beim Lesen!

Franjo Grotenhermen

Inhalt:

Dubiose Aussagen im Cannabis-Bericht einer Betriebskrankenkasse: BKK Mobil Oil-Experten kennen sich nicht aus

Im Auftrag der Betriebskrankenkassen haben Professor Dr. Gerd Glaeske und Lutz Muth einen Bericht zur Verwendung von Cannabis als Medizin in Deutschland vorgelegt. Sowohl die Autoren selbst als auch Kommentatoren des Berichts auf der Webseite der Barmer Ersatzkasse verursachen bei Experten verständlicherweise Stirnrunzeln und Irritationen. Hier vier von Dr. Franjo Grotenhermen ausgewählte und kommentierte Beispiele.

1. Unkenntnis der grundlegenden Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nach § 31 Abs. 6 SGB V

Die BKK Mobil Oil zitiert Professor Christoph Maier, den ehemaligen Chefarzt der Schmerzklinik an der Universität Bochum, im Hinblick auf die schmerzbezogenen Indikationen (chronische Schmerzsyndrome, Rückenschmerzen, Polyneuropathie, etc.) für eine Cannabistherapie mit den Worten, dass die bewilligten Anträge „also überwiegend für Indikationen, in denen eine Reihe von Studien gezeigt haben, dass THC-haltige Medikamente im Mittel keine relevante Schmerzlinderung erzeugt“, entfallen. Herrn Professor Maier ist offenbar das Grundprinzip der Gesetzgebung aus dem Jahr 2017 nicht bekannt Es geht nicht darum, ob bei einer bestimmten Indikation Studien ergeben haben, ob THC-haltige Medikamente „im Mittel“ Schmerzen oder andere Leiden lindern, sondern ob es „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung“ auf Symptome bzw. Erkrankungen gibt (§ 31 Abs. 6 SGB V). Dazu hat sich im Laufe der vergangenen Jahre eine juristische Interpretation durchgesetzt, nach der die vom behandelnden Arzt bei einem konkreten Patienten beobachteten positiven Einwirkungen auf die Erkrankung durch klinische Daten gestützt werden müssen.

Es ist daher überraschend, wenn ein bekannter Schmerzmediziner dieses Prinzip entweder nicht verstanden hat oder infrage stellt, und noch überraschender, dass die Barmer Ersatzkasse dieses Zitat an den Anfang des Artikels über ihren Cannabis-Bericht über eben die Auswirkungen dieses Gesetzes setzt. Man muss davon ausgehen, dass sich die Krankenkasse die Aussage des Zitats aufgrund der prominenten Platzierung im Text zu eigen macht. Das ist insofern bedenklich, als die Krankenkassen über die Anträge entscheiden, sodass es von grundlegender Bedeutung ist, dass die Grundlagen und Prinzipien des Gesetzes von den Mitarbeitern der Krankenkasse bei der Bewertung eines Antrags auf eine Kostenübernahme korrekt nach dem Wortlaut des Gesetzes ausgelegt werden. Möchten Herr Professor Maier und die BKK Mobil Oil die Kostenübernahmen von cannabisbasierten Medikamenten für die Behandlung von chronischen Schmerzen oder Polyneuropathie infrage stellen? Wenn Sie das nicht möchten, stellt sich die Frage, welche Funktion dieses Zitat zu Beginn des Artikels über den Cannabis-Bericht hat oder haben soll.

2. Falsche Darstellung der Situation zur Verwendung von cannabisbasierten Medikamenten in anderen Ländern

Die BKK Mobil Oil betrachtet die Tatsache, dass „62% der Leistungsausgaben (…) im Jahr 2019 auf unverarbeitete Cannabisblüten bzw. Blüten in Zubereitungen [entfallen]. Und das, obwohl es mittlerweile im Markt standardisiert hergestellte und vor allem zugelassene gut wirksame Cannabis-Produkte gibt“ als das „erstaunlichste Ergebnis“. Und weiter heißt es: „Interessant: In Großbritannien, Österreich und der Schweiz sind getrocknete Blüten aufgrund von möglichem Missbrauch nur als Rauschmittel eingestuft.“

Es ist eher interessant und erstaunlich, dass der BKK Mobil Oil offenbar ganz grundlegende internationale Entwicklungen unbekannt sind. Die Krankenkasse hatte Mühe einige Länder zu finden, in denen Cannabisblüten gegenwärtig nicht für die medizinische Verwendung erlaubt sind, man hätte jedoch erwarten können, dass Experten wissen, dass in der Schweiz noch in diesem Jahr mit einer Änderung des dortigen Betäubungsmittelgesetzes gerechnet wird, nach der dann auch Cannabisblüten verschreibungsfähig werden. Und dies ist keine überraschende Entwicklung, die man vielleicht hätte übersehen können, sondern darüber wird seit längerer Zeit in der Schweiz diskutiert. Am 24. Juni 2020 hat der Schweizer Bundesrat dem Parlament eine entsprechende revidierte Fassung des Betäubungsmittelgesetzes zur Beratung vorgelegt (Swiss Info vom 24. Juni 2020). Swissmedic, die nationale medizinische Aufsichtsbehörde, wäre dann für die Zulassung und Überwachung des Anbaus, der Herstellung und des Inverkehrbringens von Cannabis für den medizinischen Gebrauch zuständig. Die Regierung will danach auch den kommerziellen Export von solchem medizinischen Cannabis erlauben.

Und wie steht es um Großbritannien? Die Aussage, dass in Großbritannien Cannabisblüten nicht medizinisch eingesetzt werden, ist schlichtweg falsch. Im Januar meldete die Zeitung Independent, dass es aufgrund des Brexit Probleme mit Cannabis-Lieferungen aus den Niederlanden gibt, was das Leben von bis zu 40 Kindern in Großbritannien mit schwerer Epilepsie gefährde (Independent vom 7 Januar 2021). Schätzung gehen davon aus, dass die Zahl der Patienten, die in Großbritannien Cannabisblüten erhalten, von gegenwärtig einige Tausend bis Ende 2024 auf mehr als 300.000 steigen wird (Statista vom 14. Februar 2020).

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Betrachtet man die internationalen Entwicklungen und Länder, in denen cannabisbasierte Medikamente von Ärzten verschrieben oder empfohlen werden dürfen, so gibt es nur sehr wenige, in denen das Thema Verwendung von Cannabisblüten so negativ diskutiert und als „archaisch“ diskreditiert wird wie in Deutschland. Dies gilt für europäische Länder wie die Niederlande oder Italien, für asiatische Länder wie Israel und Thailand, südamerikanische Länder wie Uruguay und Kolumbien oder nordamerikanische Länder wie Kanada und die USA. Könnte es vielleicht sein, dass standardisierte Extrakte und Cannabisblüten gleichermaßen gute medizinische Dienste leisten? Sind natürliche Extrakte und Tees aus anderen Heilpflanzen nach Auffassung der Autoren auch „archaische“ Mittel? Leben die Menschen, die diese Präparate bevorzugen, nach Auffassung der Autoren noch im Mittelalter oder Altertum? Es ist eine ewige Diskussion und Frage, ob man Obst oder Vitamin C bevorzugen sollte.

3. BKK Mobil Oil-Experten verwechseln die limitierte Studienlage bei vielen möglichen Indikationen für eine Cannabistherapie mit fehlender Wirksamkeit

Auf der Seite 27 des Berichts werden die möglichen Indikationen für eine Cannabistherapie in 3 Gruppen eingeteilt: „denkbare“, „mögliche“ und „keine“ Wirksamkeit. Zu den denkbaren Indikationen zählen chronische Schmerzen und Spasmen bei multipler Sklerose, zu den möglichen Tourette-Syndrom und ADHS. Im aktuellen Bericht der BKK Mobil Oil wird auf den Bericht aus 2018 Bezug genommen und wiederholt: "Keine Wirksamkeit für Cannabis liegt bei den Indikationen Depressionen, Psychosen, Demenz, Glaukom und Darmerkrankungen vor.“

Schauen wir uns anhand von zwei klinischen Studien zwei Indikationen an, bei denen cannabisbasierte Medikamente nach Aussage von Professor Glaeske und Herrn Muth nicht wirksam sind: Glaukom und Darmerkrankungen.

Fangen wir mit dem Glaukom an. Eine Anzahl kleiner Studien, die überwiegend in den siebziger und achtziger Jahren durchgeführt wurden, hat gezeigt, dass THC bei Gesunden und bei Glaukom-Patienten den Augeninnendruck senkt. Nach Forschung an der Universität Aachen reduzierte eine orale Einzeldosis von 7,5 mg THC, die acht gesunden Ärzten in einem Selbstversuch verabreicht worden war, den Augeninnendruck und verbesserte die Durchblutung in der Netzhaut (Plange et al 2006). Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass THC beim Glaukom „nützlich“ sein könnte. Da Grundlagenforschung übereinstimmend und vielfach gezeigt hat, dass THC zudem nervenschützend und entzündungshemmend wirkt, könnte dieses Cannabinoid ein ideales Mittel zur Behandlung des Glaukoms sein, weil es eben nicht nur den Augeninnendruck senkt, sondern auch auf andere Art und Weise der Schädigung des Sehnervs vorbeugen könnte. Man kann sich sicherlich auf die Position verständigen, dass die Studienlage bisher unzureichend ist. Die Behauptung, dass es keine Wirksamkeit gibt, widerspricht jedoch der wissenschaftlichen Datenlage.

Die gleiche Feststellung ergibt sich bei der Betrachtung der wissenschaftlichen Datenlage zur Wirksamkeit von Cannabis bei der Behandlung der Darmerkrankung Morbus Crohn. Die Inhalation von Cannabis verbessert bei Patienten mit Morbus Crohn die Symptome und die Krankheitsaktivität. Das ist das Ergebnis einer klinischen Studie mit 21 Teilnehmern, die nicht auf eine Therapie mit Steroiden, Immunmodulatoren oder Biologika ansprachen, an der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie der Universität von Tel Aviv (Nafatali et al. 2013). Die Patienten erhielten 8 Wochen lang entweder zweimal täglich eine Cannabiszigarette oder Placebo-Cannabiszigaretten. Ein vollständiges Verschwinden der Krankheitszeichen wurde bei 5 von 11 Patienten in der Cannabisgruppe und bei einem von 10 in der Placebo-Gruppe festgestellt. Eine klinisch signifikante Verbesserung trat bei 10 der 11 Patienten in der Cannabisgruppe und bei 4 der 10 Teilnehmer in der Placebo-Gruppe ein. 3 Patienten in der Cannabisgruppe konnten von ihrer Steroid-Abhängigkeit entwöhnt werden. Teilnehmer, die Cannabis erhielten, gaben einen verbesserten Appetit und einen verbesserten Schlaf an, ohne relevante Nebenwirkungen. Möchte man die wissenschaftliche Datenlage zur Wirksamkeit von Cannabis bei Morbus Crohn korrekt darstellen, so lässt sich sagen, dass zumindest bei einigen Patienten Cannabis sehr gut wirksam und auch verträglich ist. Die Interpretation im BKK Mobil Oil-Bericht ist abwegig.

4. Unkenntnis der Bedeutung der Dosis der Cannabisblüten hinsichtlich der Beurteilung von Missbrauch

Für Cannabisexperten sind die relativ hohen Dosen von zum Teil mehreren Gramm bei Patienten, die Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken benötigen, einfach erklärbar. Einigkeit besteht sicherlich darin, dass solche hohen Dosen nicht wünschenswert sind. Alle mir bekannten Patienten, die mehrere Gramm Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken benötigen, haben zuvor schon eine meistens jahrelange Selbsttherapie hinter sich, weil es keine Alternative zur Selbsttherapie gab. Es wurden überwiegend unstandardisierte Präparate wechselnder Qualität ohne ärztliche Begleitung verwendet. Daher hat sich die eingenommene Tagesdosis kontinuierlich erhöht. Bei stärkeren Beschwerden wurden eventuell höhere als die bisherigen Dosen verwendet, die in der Folgezeit nicht wieder reduziert worden sind. Die meisten Patienten, die Cannabis im Rahmen einer Selbsttherapie verwendet hatten, wiegen zudem die Blüten nicht ab. Über die Jahre wird dann aus 0,2 g Cannabis 0,5 g, 1 g, 2 g, etc. Patienten, die ärztlich überwacht Cannabis einnehmen, nehmen diese meistens über viele Jahre in einer konstanten Dosis ein, können also jahrelang bei 0,2 oder 0,3 g bleiben. Voraussetzungen: Abwiegen der Tagesdosis, medizinische Begleitung und bekanntes Produkt. Diese Patienten streben auch häufig keine Kostenübernahme an, weil sie die vergleichsweise geringen Mengen von 5 oder 10 g monatlich lieber selbst tragen als ihren Arzt mit dem Aufwand einer Kostenübernahme zu belästigen. Daher tauchen diese Patienten bei den Krankenkassen nicht so häufig auf, und es entsteht ein Zerrbild der Wirklichkeit. Patienten, die sich das Medikament nicht leisten können, weil ihre Dosis vergleichsweise hoch ist, streben jedoch grundsätzlich eine Kostenübernahme an: Sie können sich das Medikament einfach nicht leisten. Und sie können aufgrund der Toleranzentwicklung auch nicht einfach herunterdosiert werden. Es können auch nicht einfach 400 mg orales Dronabinol in 2 g Cannabisblüten mit 20 % Dronabinol-Gehalt durch 20 oder 30 mg orales Dronabinol ersetzt werden.

Und wie interpretiert Professor Glaeske diese hohen Dosen? „Auffälligkeiten auch bei den Tagesdosen: Diese würden mitunter um ein Vielfaches über denen des staatlichen Cannabisprogrammes der Niederlande liegen. Dies ließe auch die Frage aufkommen, ob diese Dosierungen noch mit einer verantwortungsvollen Versorgung in Einklang zu bringen seien oder ob getrocknete Cannabisblüten auch als Rauschmittel "auf Rezept" missbraucht oder sogar weiterverkauft werden“ (BKK Mobil Oil-Webseite).

Wenn Herr Professor Glaeske auch nur einige Kenntnisse der Voraussetzungen für das Vorliegen eines Missbrauchs oder einer Abhängigkeit von Medikamenten kennen würde, so wüsste er, dass sich Missbrauch und Abhängigkeit nicht über die Dosis definieren. Unabhängig davon, welche medizinischen Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM IV, DMS 5) verwendet werden. Keine Definition von Missbrauch, Abhängigkeit, schädlichem Gebrauch oder Cannabiskonsumstörungen geht auch nur mit einem Wort auf die Dosis ein. In der Tat wissen wir auch von anderen Medikamenten, dass die Dosis nicht das Entscheidende für die Diagnose eines Missbrauchs ist. Das gilt auch für Benzodiazepine und Opiate. Ein Schmerzpatient kann medizinisch begründet sehr hohe Opiat-Dosen benötigen. Andererseits kann eine Diazepam-Abhängigkeit bereits bei Tagesdosen von 5 oder 10 mg vorliegen.

Von einem Cannabismissbrauch nach DSM IV wird dann gesprochen, wenn ein Cannabiskonsum-Muster vorliegt, "das Leiden oder Beeinträchtigungen verursacht“, wobei bezogen auf ein Jahr mindestens eines der folgenden Merkmale vorliegt:

  1. wiederholter Substanzkonsum, der das Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen verursachte, zum Beispiel Fernbleiben von der Arbeitsstelle oder Vernachlässigung der Kinder
  2. wiederholter Substanzkonsum, der zu körperlicher Gefährdung führte, zum Beispiel Bedienen von Maschinen oder Autofahren unter Drogeneinfluss
  3. wiederkehrende Konflikte mit dem Gesetz, zum Beispiel Verhaftung wegen ungebührlichen Benehmens oder Verkehrsdelikten
  4. ständig oder wiederholt soziale oder zwischenmenschliche Probleme, zum Beispiel Ehestreitigkeiten, wobei der Substanzkonsum trotzdem fortgesetzt wird."

Es ist sowohl medizinisch praktisch als auch wissenschaftlich unseriös von hohen Cannabisdosen auf Missbrauch oder Abhängigkeit zu schließen.

Schlussfolgerung

Es können hier nur einige Beispiele aus dem Bericht betrachtet werden. Diese und andere Aussagen lassen den Bericht zu einem fragwürdigen Propaganda-Mittel verkommen. Es bleibt unklar, ob die Experten der BKK Mobil Oil sich einfach nicht auskennen oder sich wider besseren Wissens durch fragwürdige Behauptungen hervortun. Möglicherweise ist die Herangehensweise der Autoren der Erwartung ihres Auftraggebers, der BKK Mobil Oil, geschuldet. In beiden Fällen enthält der Bericht nützliche Zahlen und Fakten. Sobald es an ihre Interpretation geht, offenbaren die BKK Mobil Oil-Experten jedoch ihre Unkenntnis der Materie und ihre Vorurteile.

Presseschau: Barmer: In Bayern ist Cannabis besonders gefragt (Deutsche Apotheker Zeitung)

Die Barmer Ersatzkasse legt Zahlen zur Verschreibung von cannabisbasierten Medikamenten vor.

Barmer: In Bayern ist Cannabis besonders gefragt

Seit bald drei Jahren ist Cannabis als Medizin erstattungsfähig – dafür müssen allerdings einige Bedingungen erfüllt sein. Nicht jeder Patient, der meint Cannabis sei gut für ihn, bekommt es auch bewilligt. Nun zieht die Barmer Bilanz: Die Zahl der Anträge auf eine Kostenübernahme steigt beständig, rund zwei Drittel von ihnen werden auch bewilligt. Allerdings gibt es deutliche regionale Unterschiede.

Am 10. März 2017 trat das „Cannabis-Gesetz“ in Kraft. Die medizinische Anwendung von Cannabisblüten und- zubereitungen wurde zum Bestandteil der Regelversorgung: Die gesetzlichen Krankenkassen müssen die Kosten für die Therapie mit Medizinalhanf nun übernehmen – wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. So muss eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen, für die keine andere allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie zur Verfügung steht oder diese mit nicht tolerierbaren Nachteilen einhergeht. Bei der Erstverordnung bedarf es zudem der Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.

Die Barmer meldet nun: Von März bis Ende Januar dieses Jahres sind bei ihr 14.986 Anträge auf cannabishaltige Arzneimittel eingegangen. Davon wurden 10.255, also 68,4 Prozent bewilligt und 4.731 abgelehnt. Die Zahl der Anträge auf Kostenübernahme ist dabei nach und nach gestiegen. Während es sich von März bis einschließlich Dezember 2017 um 3.090 Anträge gehandelt habe, waren es im darauffolgenden Jahr 5.238 und im vergangenen Jahr 6.094 Anträge. Die Bewilligungsquote lag 2017 bei 65 Prozent, stieg im Jahr 2018 auf 72 Prozent an und ging im vergangenen Jahr zurück auf 67 Prozent.

„Cannabis-Anträge werden zum Beispiel dann abgelehnt, wenn sie bei Krankheitsbildern zum Einsatz kommen sollen, für die andere Therapiealternativen noch nicht geprüft wurden“, erklärt Dr. Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Barmer. Grundsätzlich ist sie aber überzeugt, dass Cannabis richtig eingesetzt für schwerkranke Patienten eine „wertvolle Therapieoption“ sein könne. Es handele sich aber um ein komplexes Arzneimittel, das medizinisches Spezialwissen erfordere. Es sei kein Allheilmittel. „Cannabishaltige Arzneimittel sollten daher nur durch Ärzte verordnet werden, die sich mit der kompletten therapeutischen Breite des Medikamentes und seinen verschiedenen Inhaltsstoffen auskennen“, so Marschall. Wenn das geschehe, dürften auch die Ablehnungsquoten weiter zurückgehen.

Regionale Unterschiede bei den Bewilligungen

Die aktuelle Barmer-Analyse zu Cannabis-Verordnungen wirft auch einen Blick in das regionale Verordnungsgeschehen. Sie zeigt, dass in den vergangenen knapp drei Jahren die meisten Anträge auf Kostenübernahme cannabishaltiger Präparate in Bayern gestellt wurden – nämlich 3029. An zweiter Stelle folgt Nordrhein-Westfalen mit 2871 Anträge, an dritter Baden-Württemberg mit 1310 Anträgen. „In Bayern gibt es auch deshalb so viele Cannabis-Verordnungen, weil es dort sei Mitte der 90er-Jahre einen Forschungsschwerpunkt an der Universität München gab. Dementsprechend erfahren sind die Ärzte mit der Formulierung der Anträge“, erklärt Marschall. Dies sei nicht überall in gleichem Maße der Fall, wodurch es in manchen Regionen zu niedrigeren Bewilligungsquoten kommen könne. Diese reichten von 77,8 Prozent in Sachsen-Anhalt bis hin zu 56,4 Prozent in Hessen.

„Wenn in manchen Regionen viel weniger Cannabis-Anträge bewilligt werden können als in anderen, kann dies auch an Informationsdefiziten und fehlerhaften Anträgen liegen. Hier ist zusätzliche Aufklärung erforderlich“, sagt Marschall.

Und wie sieht es mit den Verordnungszahlen aus? Barmer-Versicherte bekamen seit März 2017 fast 83.000 Packungen cannabishaltiger Präparate im Wert von etwa 35,3 Millionen Euro verordnet. Darunter waren fast 20.000 „Packungen“ unverarbeiteter Cannabisblüten. Marschall sieht dies mit einer gewissen Skepsis: Anders als Rezepturen und Fertigarzneimittel wiesen Blüten sehr unterschiedliche Wirkstoffmengen auf und seien daher schwer dosierbar. Zudem seien Cannabisblüten auch teurer als cannabishaltige Kapseln und Sprays. Nicht zuletzt sei die Nachfrage nach Cannabisblüten so hoch, dass es mitunter zu Lieferengpässen kommen könne.

Einige Pressemeldungen der vergangenen Tage

„Schmerzmanagement mit Cannabis? NFL und NFLPA auf der Suche nach Opioid-Alternativen“ (RAN)

„Debatte über Legalisierung: Goldene Zeiten für Cannabis“ (Der Standard)

Kostenfreie Fortbildung: Cannabis als Medizin am 20. März 2021 (Presseportal)

Mehr Kranke gehen für Cannabis vor Gericht (Stuttgarter Zeitung)

Share the Post: