Liebe Leserin, lieber Leser,
nach Jahren der Lähmung durch eine durch die CDU/CSU-Fraktion dominierte Drogenpolitik warten wir auf Informationen aus dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP gern noch bis Dezember und beteiligen uns nicht an Spekulationen.
Erfreulich ist der Sieg eines ADHS-Patienten, ein aktives Mitglied der Selbsthilfegruppe in Frankfurt, vor dem Sozialgericht Frankfurt. Seit 2018 haben ADHS-Patienten mit Verweis auf die Behandlungsleitlinien zur Therapie der ADHS im Erwachsenenalter kaum eine Chance auf eine Kostenübernahme für eine Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten gehabt. Wir hatten darüber 2019 kritisch berichtet. Das Urteil könnte eine Signalwirkung haben.
Viel Spaß beim Lesen!
Franjo Grotenhermen
Inhalt:
- Schnelle Informationen über günstigere Cannabisprodukte aus der Apotheke kurz vor dem Verfallsdatum
- Kostenlose Fortbildung zu Cannabis in der Schmerztherapie am 17. November 2021
- Presseschau: Cannabis-Patient siegt vor Sozialgericht in Frankfurt (Frankfurter Rundschau)
- Presseschau: Begleiterhebung lässt viele Fragen offen. Cannabis in der Schmerztherapie: Wie effektiv? Welche Nebenwirkungen? (Springer Medizin)
- Einige weitere Pressemeldungen der vergangenen Tage
Schnelle Informationen über günstigere Cannabisprodukte aus der Apotheke kurz vor dem Verfallsdatum
Die ACM bietet die Möglichkeit, dass pharmazeutische Unternehmen oder Apotheken cannabisbasierte Medikamente, die kurz vor dem Verfallsdatum stehen, diese Produkte zu einem günstigen Preis anbieten.
Wir informieren dann umgehend die über 500 Patient:innen des Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin (SCM) durch eine Nachricht im SCM-Verteiler. Wir haben dies in der vergangenen Woche bereits für einen Extrakt sowie zwei Cannabissorten, die für unter 10 € pro Gramm erhältlich waren, machen können. Ganz nebenbei rufen sich die entsprechenden Unternehmen und die beteiligten Apotheken auch in Erinnerung. Dies nutzt den Firmen, den Apotheken und den Patient:innen und vermeidet Abfall.
Firmen und Apotheken schicken einfach eine E-Mail an
info@arbeitsgemeinschaft-cannabis-medizin.de
und erhalten umgehend Hinweise für die notwendigen (wenigen) Informationen, die wir an unsere Mitglieder weitergeben.
Wer als Patient davon profitieren möchte, kann hier Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin werden:
Kostenlose Fortbildung zu Cannabis in der Schmerztherapie am 17. November 2021
Am 17. November findet eine Fortbildung unter dem Titel „Einblicke in eine effiziente Therapie mit cannabisbasierten Arzneimitteln“ als Zoom-Webinar statt. Diese Fortbildung ist kostenlos und wurde von der Landesärztekammer Nordrhein anerkannt, sodass Teilnehmer 2 CME-Punkte erhalten.
Der Referent, Prof. Dr. Matthias Karst, ist Leiter der Schmerzambulanz an der Medizinischen Hochschule Hannover, und ein langjähriger Experte im Bereich Cannabis als Medizin. Es geht schwerpunktmäßig um die medizinische Verwendung von cannabisbasierten Medikamenten in der Schmerztherapie.
Presseschau: Cannabis-Patient siegt vor Sozialgericht in Frankfurt (Frankfurter Rundschau)
Thomas Müller, langjähriger Aktivist bei der Patientenhilfen Frankfurt, bekommt nach einem Urteil des Sozialgerichts Frankfurt aufgrund seines ADHS nun eine Kostenerstattung für seine Therapie mit Cannabisblüten.
Cannabis-Patient siegt vor Sozialgericht in Frankfurt
Ein Hanauer nimmt auf Anraten seiner Ärzte medizinisches Cannabis, doch seine Krankenkasse wollte zunächst nicht zahlen. Das Sozialgericht aber gibt ihm Recht.
Nach der Entscheidung des Sozialgerichts Frankfurt fühle er eine „riesige Erleichterung“, sagt Thomas Müller. Jahrelang habe er kämpfen müssen, während eine Art Damoklesschwert über ihm geschwebt habe. Bei einer Niederlage hätte er seiner Krankenkasse einen hohen fünfstelligen Betrag geschuldet, so der Hanauer. Geld, das der kranke Frührentner nicht hat.
Müller leidet an ADHS, was lange unter anderem mit gravierenden Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen einherging, außerdem an chronischen Schmerzen, die durch Verletzungen bei Unfällen verursacht wurden. Seit 2018 wird er mit medizinischem Cannabis behandelt, sein Zustand habe sich dadurch stark gebessert, haben Müller und seine Ärzt:innen festgestellt. Doch die AOK Hessen lehnte seinen Antrag auf Übernahme der Kosten ab. Die Frankfurter Rundschau hatte den Fall öffentlich gemacht.
Der 1968 geborene Patient ging mehrfach gerichtlich gegen die Ablehnung vor. Nachdem er einmal vor dem Sozialgericht gescheitert war, gab dieses 2019 einem Eilantrag von ihm statt, den er mit neuen Belegen gestellt hatte. Die Kasse musste zahlen – vorläufig. Jetzt hat das Gericht auch im sogenannten Hauptsacheverfahren zu seinen Gunsten entschieden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Müller ist aber zuversichtlich, dass die AOK sich jetzt einverstanden erklärt, weil er kürzlich einen entsprechenden Brief erhalten habe.
Die Begründung des Sozialgerichts liegt der FR vor. Sie stützt sich unter anderem auf Befundberichte sowie ein psychiatrisches Gutachten und sieht die zentralen gesetzlichen Voraussetzungen für eine Kostenübernahme – bei denen Patienten seit 2017 einen Anspruch auf Versorgung haben – erfüllt. Die Kammer folgte im Kern der Argumentation der Mediziner:innen und des Anwalts von Müller, Volker Gerloff: Dass es sich bei Müllers ADHS um eine schwerwiegende Erkrankung handele, ist nach Überzeugung der Kammer durch die Befunde erwiesen. Das Cannabis-Medikament könne helfen, eine andere adäquate Therapiemöglichkeit bestehe offenbar nicht. Auch weil bei Standardbehandlungen Nebenwirkungen drohten: Wegen eines Aneurysmas könne Müller keine gängigen Mittel wie Ritalin nehmen, weil das den Blutdruck erhöht. Demgegenüber gebe es „ausreichend Indizien“ dafür, dass die Therapie mit Cannabis Aussicht auf Erfolg habe, heißt es im Urteil, „ohne relevante Nebenwirkungen“ und Hinweise auf Abhängigkeit. Die AOK hatte unter anderem die Schwere der Krankheit und die Wirkung des Cannabis-Medikaments in Frage gestellt beziehungsweise nicht ausreichend belegt gesehen.
Mittlerweile nimmt Müller Cannabis-Blüten und ein Extrakt ein, letzteres, um besser zu schlafen. Dank der Therapie sei seine ADHS-Erkrankung „in den Hintergrund getreten“. Er fühle sich besser, sei ruhiger. Geholfen habe ihm auch sein Hund: „Er ist wie ein Therapiehund für mich.“
Das aktuelle Urteil könne wegweisend für Cannabis-Patienten sein, die an ADHS litten, sagt Müller. Bislang seien ihre Anträge abgelehnt worden. Mit der von ihm gegründeten Selbsthilfegruppe „Cannabis Patientenhilfe“ will Müller andere Betroffene unterstützen.
Presseschau: Begleiterhebung lässt viele Fragen offen. Cannabis in der Schmerztherapie: Wie effektiv? Welche Nebenwirkungen? (Springer Medizin)
Springer Medizin berichtete von einem Vortrag von Dr. Peter Cremer Schaeffer, Leiter der Bundesopiumstelle, am 22. Oktober beim Schmerzkongress, der vom 19. bis 23. Oktober zum Teil digital und zum Teil hybrid im Congress-Center Mannheim stattfand. Der Referent wies in seinem Vortrag auf die begrenzte Aussagekraft der gegenwärtig durchgeführten Begleiterhebung hin.
Trotz fehlender Wirksamkeitsnachweise steigt die Zahl der Verordnungen von Cannabis seit der fast unbeschränkten Freigabe in 2017 steil an. Daten aus der gesetzlich vorgeschriebenen Begleiterhebung bestätigen den Hype und lassen viele Fragen offen.
Durch das Gesetz „Cannabis als Medizin“ ist die Verordnung von Cannabiszubereitungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ohne Indikationsbeschränkung seit März 2017 erlaubt. Das betrifft sowohl den Off-label-Use bereits zugelassener cannabinoidhaltiger Fertigarzneimittel, als auch den No-label-Use anderer Arzneiformen wie Blüten oder Lösungen zur Inhalation oder öligen Zubereitungen für die orale Einnahme. Allerdings existiert bislang weder für die schmerztherapeutischen noch für die meisten anderen off-label- und no-label-Anwendungen ein ausreichender Wirksamkeits- und Sicherheitsnachweis durch randomisiert plazebokontrollierte Studien [1,2]. Dennoch steigen die Cannabis-Verordnungszahlen seit 2017 steil an.
Subjektive Schmerzlinderung in einem Drittel der Fälle
Dr. Peter Cremer-Schaeffer, Leiter der Bundesopiumstelle am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bonn, berichtete aus der Begleiterhebung, die 2017 zusammen mit Verabschiedung des neuen Gesetzes implementiert wurde. In die Auswertung gehen Daten von Personen ein, die mehr als ein Jahr lang mit demselben Cannabisarzneimittel behandelt wurden. Von den 15.665 zum 4.10.2021 verfügbaren Datensätzen beziehen sich rund drei Viertel zumindest teilweise auf schmerztherapeutische Indikationen, davon am häufigsten chronische Schmerzen. In rund einem Drittel der Fälle berichteten die Behandelten eine deutliche Symptombesserung. Das ist Cremer-Schaeffer zufolge insofern bemerkenswert, als eine legale Cannabisverordnung voraussetzt, dass sich die Standardtherapien bei der betroffenen Person als ungeeignet herausgestellt haben.
Schwere Nebenwirkungen: Selten aber ernst zu nehmen
Mit Blüten Behandelte waren laut Begleiterhebung jünger, überwiegend männlich, berichteten über einen starken Therapieeffekt und über eher wenig Nebenwirkungen. Nebenwirkungen waren insgesamt häufig, aber meist von milder bis moderater Ausprägung. Die Betroffenen klagten in absteigender Häufigkeit unter anderem über Müdigkeit, Schwindel, Schläfrigkeit, Übelkeit, Appetitsteigerung, Aufmerksamkeitsstörungen und Mundtrockenheit. Viel seltener – aber nach Cremer-Schaeffers Einschätzung dennoch ernst zu nehmen – waren potenziell schwere Nebenwirkungen wie Suizidgedanken (0,2%), Depression (1,3%), Halluzinationen (0,8%), Dissoziation (0,2%) und Wahnvorstellungen (0,4%).
600 kg Blüten gehen jeden Monat über den Tresen
Besonders bei der Verordnung von Blüten geht Cremer-Schaeffer von einer erheblichen Untererfassung aus. Laut Umsatzstatistik des GKV-Spitzenverbandes verkaufen die deutschen Apotheken mittlerweile monatlich 600 kg Cannabisblüten. Daraus könne man, so Cremer-Schaeffer, auf eine Zahl von etwa 20.000 mit Blüten versorgten Personen schließen. In der Begleiterhebung seien jedoch nur rund 1.800 registriert. Cremer-Schaeffer wies auf dem Deutschen Schmerzkongress darauf hin, dass die Begleiterhebung aus vielen weiteren Gründen nur begrenzt aussagekräftig sei. So erlaube beispielsweise die Anonymisierung der Verordnenden auch bei eventuellen Unstimmigkeiten keine klärenden Rückfragen. Zudem sei es nicht möglich, die Datensätze ein- und derselben Person aus früheren Jahren der Erhebung mit denen des aktuellen Jahr zusammenzuführen und auszuwerten.
Auch wenn die Daten der Erhebung für einen Nutzen cannabinoidhaltiger Medikamente in der Schmerztherapie zu sprechen scheinen: Für eine allgemeine Empfehlung reicht das nach Cremer-Schaeffers Einschätzung nicht aus. Dazu seien vielmehr randomisiert kontrollierte Studien erforderlich. „Das Ziel muss die Zulassung von Fertigarzneimitteln bleiben,“ betonte der Experte.
Basierend auf: Cremer-Schäffer P: Vortrag "Drei Jahre Schmerztherapie mit Cannabisarzneimitteln – Zwischenergebnisse der Begleiterhebung". Symposium "Cannabisbasierte Arzneimittel – nachgefragt". Deutscher Schmerzkongress, 22.10.2021, Mannheim (hybrid)
Einige weitere Pressemeldungen der vergangenen Tage
Cannabis Made in Germany: Der schwere Weg zur ersten Ernte (Deutschlandfunk Kultur)
Diskussion über Legalisierung Oberarzt der Psychiatrie: Alkohol ist deutlich schlimmer als Cannabis (nordbayern)
Sucht-Experte Christian Tilgner: Cannabis-Legalisierung falsches Signal (Schleswiger Nachrichten)
Verband der Cannabis versorgenden Apotheken: „Prävention kann am besten in der Apotheke stattfinden“ (Deutsche Apotheker Zeitung online)
Bei Legalisierung Apotheken sind bereit zum Verkauf von Cannabis“ (Spiegel Wirtschaft)
Debatte um Cannabis-Legalisierung: Mörderkraut und lecker Bier“ (Süddeutsche Zeitung)