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ACM-Mitteilungen vom 23. Dezember 2023

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Unterausschuss Arzneimittel des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat in seiner Sitzung am 7. November 2023 beschlossen, ein Stellungnahmeverfahren zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) für die Vertreibung von cannabisbasierten Medikamenten einzuleiten. Wir haben darüber in den ACM-Mitteilungen am 11. November berichtet. Der G-BA soll im Auftrag des Gesetzgebers festlegen, welche Facharztgruppen Cannabisarzneimittel ohne Genehmigung durch eine gesetzliche Krankenkasse verschreiben dürfen. Die ACM hat dazu am 10. Dezember 2023 eine Stellungnahme abgegeben.

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern frohe Festtage!

Franjo Grotenhermen

Inhalt

Stellungnahme der ACM zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Einleitung eines Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Abschnitt N § 45 (Genehmigungsvorbehalt Cannabisarzneimittel)

Wir dokumentieren hier einige Auszüge aus der Stellungnahme der ACM vom 10.12.2023.

„1. Einleitung: Die Unterversorgung mit Cannabis-Medikamenten in Deutsch-land beenden

Die ACM wurde im Jahr 1997 gegründet und ist die nationale Gliederung der IACM (Internationale Allianz für Cannabinoidmedikamente e.V.). Die IACM ist die führende internationale wissenschaftliche Gesellschaft, die sich vorrangig mit dem therapeutischen Potenzial von Cannabis und Cannabis-Inhaltsstoffen sowie anderen Modulatoren des Endocannabinoidsystems, aber auch mit der Grundlagenforschung, anderen pharmakologischen Aspekten sowie der Toxikologie befasst.

Die ACM schätzt aufgrund von Daten und Entwicklungen in anderen Ländern, namentlich Israel, Kanada und den USA, dass mindestens 2 % der Bevölkerung in westlichen Industrienationen, entsprechend 1,6 Millionen Bundesbürger:innen, eine Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten benötigen.

(…)

2. Grundlagen: Therapiehoheit stärken

Der Wegfall des Genehmigungsvorbehaltes der gesetzlichen Krankenkassen bei “einzelnen Facharzt-gruppen und den erforderlichen ärztlichen Qualifikation” wird von der ACM grundsätzlich begrüßt. Wir begrüßen darüber hinaus die Verkürzung der Genehmigungsfrist im Rahmen des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) sowie die Aufhebung des Genehmigungsvorbehaltes im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV). Unserer Ansicht nach sollte der Genehmigungsvorbehalts aber – bei gleichzeitigem Regressschutz für die verordnenden Ärzt:innen – vollständig abgeschafft werden.

(…)

Darüber hinaus ist die Versorgungssituation von Patient:innen mit Cannabisarzneimitteln auch mit Blick auf den bereits bestehenden und sich in Zukunft weiter verstärkenden Fachärzt:innenmangel in Deutschland zu sehen. Wenn es das Ziel ist, die Versorgungssituation der Bevölkerung mit Cannabisarzneimitteln zu verbessern, so sehen wir durch die vorgeschlagenen Veränderungen ein hohes Risiko, dass in der Behandlung mit Cannabismedikamenten erfahrene Allgemeinmediziner:innen zukünftig nicht mehr verordnen und dadurch Patient:innen mit schwerwiegenden Erkrankungen eine erfolgversprechende und sichere Therapieoption vorenthalten werden wird. Insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen haben gesetzlich versicherte Patient:innen Schwierigkeiten, innerhalb einer akzeptablen Zeitspanne einen Facharzttermin zu erhalten. Für gesetzlich versicherte Patient:innen sind Hausärzt:innen und Allgemeinmediziner: innen in vielen Fällen die erste und häufig einzige zugängliche Anlaufstelle. Wenn sich die Verschreibung von Cannabisarzneimitteln durch das Weiterbestehen des Genehmigungsvorbehaltes nach wie vor bürokratisch aufwändig gestaltet, könnte das eine abschreckende Wirkung auf Allgemeinmediziner:innen zur Folge haben.

3. Forderungen der ACM

3.1 Genehmigungsvorbehalt abschaffen

Die ACM spricht sich dafür aus, den Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen ersatzlos abzuschaffen. Die generelle Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts würde die Therapiehoheit der Ärzt:innen wieder herstellen. Viele Expert:innen sehen dies ähnlich. So sprachen sich bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags am Montag, 6. November 2023, auch Simone Borchardt von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, für eine Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts aus.

Die behandelnden Fach- und Allgemeinärzt:innen kennen ihre Patient:innen deutlich besser als Mit-arbeitende der Krankenkassen oder des Medizinischen Dienstes, die lediglich nach Aktenlage entscheiden, allerdings mit weitreichenden Konsequenzen für die weitere Behandlung. Zahlreiche Allgemeinmediziner:innen verschreiben seit 2017 Cannabisarzneimittel und haben auch ohne eine Zusatzqualifikation oder Facharztanerkennung große Kompetenz und Erfahrung in der Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten.

(…)

3.2 Erfahrene Vertragsärzt:innen einbeziehen

In Deutschland gibt es zahlreiche Mediziner:innen, die seit 2017 umfangreiche praktische Erfahrungen mit Cannabisarzneimitteltherapien sowie den Genehmigungspraktiken der gesetzlichen Krankenkassen erworben haben. Sollte die vollständige Streichung des Genehmigungsvorbehaltes nicht erfolgen, so sollte zumindest als weiteres qualifizierendes Merkmal für eine Verordnung ohne vorherige Genehmigung durch die GKV eine bereits heute bestehende Erfahrung in der Cannabistherapie – neben Zusatzqualifikationen und Facharztanerkennungen – anerkannt werden.

(…)

3.3 Allgemeinmediziner:innen nicht ausschließen

Die Einführung eines § 46 Qualifikationen der verordnenden ärztlichen Person, Abs. 1 Position B und Abs. 1 Position C hat eine Beschränkung des Einsatzes von Cannabisarzneimitteln auf bestimmte Fachärztegruppen zur Folge. Dies verstößt gegen Art. 12 Grundgesetz, Vertragsärzt:innen von Leistungen auszuschließen. Auch in den tragenden Gründen wird für die Positionen B und C keinerlei belastbare Evidenz angeführt, wonach eine Beschränkung der Verordnung auf bestimmte Fachärzte-gruppen aus Qualitätsgründen erforderlich wäre. Es fehlt für eine Einführung eines Facharztvorbehaltes nicht nur an Gründen, sondern ein solcher Schritt hätte auch eine massive Verschlechterung der Versorgung von Patient:innen mit Cannabisarzneimitteln zur Folge. Vor dem Hintergrund des erschwerten Zuganges von Patient:innen zu Facharztterminen, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen, sowie eines sich abzeichnenden Ärztemangels kann der Ausschluss der Allgemeinärzt:innen von der Versorgung mit Cannabisarzneimitteln nicht gerechtfertigt werden. Die ACM spricht sich daher gegen den im Beschluss vorgeschlagenen Facharztvorbehalt aus. Ärzt:innen jedweder Fachrichtung müssen nach dem Grundsatz der Therapiehoheit in der Lage sein, Patient:innen mit Cannabisarzneimitteln zu behandeln.

3.4 Zusatzqualifikation „Cannabis-basierte Therapie“ etablieren

Klinische Studien legen nahe, dass Cannabinoidarzneimittel ein großes Potenzial in der Behandlung zahlreicher Indikationen und Symptomen haben, darunter chronische Schmerzen wie Fibromyalgie und neuropathische Schmerzen, psychiatrische Erkrankungen wie posttraumatische Belastungsstörung und Schlafstörungen, chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose und Tourette-Syndrom, Appetitlosigkeit und Übelkeit bei HIV/Aids und Krebs.

Es erschließt sich der ACM nicht, warum die vom B-GA vorgeschlagenen „Zusatzqualifikationen“ (spezielle Schmerztherapie, Sozialmedizin, suchtmedizinische Grundversorgung, Schlafmedizin, Palliativmedizin, etc.) automatisch mit guten Kenntnissen in der Therapie mit Cannabis und Cannabinoiden verbunden sein sollen. Sofern an der Einführung derartiger „Zusatzqualifikationen“ festgehalten werden soll, wäre es mittelfristig viel sinnvoller, die Befreiung von der Genehmigungspflicht an eine Weiterbildung speziell für Cannabistherapie zu knüpfen. Eine spezifische Weiterbildung in der Cannabinoidtherapie würde es Ärzt:innen ermöglichen, fundierte Kenntnisse über die Anwendung, Dosierung, potenzielle Risiken und Wirksamkeit von Cannabinoiden zu erlangen. Dadurch könnte eine qualitativ hochwertige Versorgung für Patient:innen sichergestellt werden.

(…)

3.5 Folgeverordnungen durch alle niedergelassenen Ärzt:innen ermöglichen

Wurde von einem qualifizierten Arzt bzw. einer Ärztin eine cannabisbasierte Therapie begonnen, so kann diese von anderen Ärzt:innen fortgeführt werden. Die Genehmigung einer Cannabistherapie bezieht sich immer auf einen konkreten Patienten oder eine konkrete Patientin und nicht auf den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin. Entsprechend muss auch bei einer Anschlussverordnung von Ärzt:innen ohne Qualifikation im Sinne des Absatzes 3 keine weitere Prüfung durch die Krankenkasse erfolgen. Die Weiterverordnenden müssen unabhängig von ihrer Qualifikation bedenkenlos auf die Entscheidung der Erstverordnenden vertrauen und aufbauen können. Entsprechend muss eine Dosisanpassung von Weiterverordnenden unabhängig von ihrer Qualifikation ohne vorherige Genehmigung der Krankenkasse und ohne vorherige Konsultation der Erstverordnenden vorgenommen werden können. Dies entspricht der gängigen Verordnungspraxis in der Weiterversorgung, beispielsweise durch Hausärzt:innen. Auch ein Wechsel zwischen den verfügbaren Cannabinoid-Darreichungsformen muss von weiterverordnenden Ärzt:innen ohne Qualifikation im Sinne des Absatzes 3 möglich sein. Voraussetzung dafür sollte die Rücksprache mit dem/der Erstverordnenden sein.

3.6 Indikationen an die Behandlungsrealität anpassen

Die ACM spricht sich dafür aus, dass die in Tabelle A aufgeführten Leitindikationen in der 1. Spalte als beispielhaft benannt werden, da diese allein der Herleitung der Zusatzweiterbildungen dienen, wie aus den tragenden Gründen des G-BA hervorgeht: “In der 1. Spalte der im Beschluss aufgeführten Tabelle sind Indikationen beispielhaft aufgeführt, zu deren Behandlung im Rahmen der Begleiterhebung des BfArM Cannabisarzneimittel verordnet wurde, für die die Anspruchsvoraussetzungen nach § 31 Absatz 6 Satz 1 SGB V in relevantem Umfang vorliegen können und die Therapieoption Cannabis damit einen Stellenwert bei der Therapieauswahl in diesen Indikationen hat.” Eine Bezeichnung als “Leitindikation” mit darauffolgender Doppelnennung der Zusatzweiterbildungen suggeriert deren Rolle als Voraussetzung der Verordnung statt als Beispiel. Daher sollte die Spalte “Leitindikation” durch “Beispiel-Leitindikation” ersetzt werden. Des Weiteren decken die aufgeführten Beispiel-Leitindikationen nicht das vollständige Spektrum der mit Cannabinoiden behandelten Hauptpatient:innengruppen ab, wie aus der Auswertung der Begleiterhebung des BfArM hervorgeht.“

Weitere Meldungen der vergangenen Tage

Die Chancen der Cannabinoide optimal nutzen (Medical Tribune)

Vernebelte Cannabispläne (TAZ)

Neues Onlineportal mit Informationen zu Drogen und Sucht veröffentlicht (Deutsches Ärzteblatt)

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