Liebe Leserin, lieber Leser,
der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags führt am Montag, 3. Juni 2024, eine öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften durch SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (Drucksache 20/11370) sowie einen Gegenantrag der CDU/CSU Fraktion, der die Beibehaltung des bisherigen Grenzwertes von 1 ng/ml THC im Blutserum fordert (Drucksache 20/11143), statt.
Die Ausschusssitzung wird live übertragen und kann später in der Mediathek abgerufen werden. Die Internetseite des Ausschusses enthält eine Liste der zur Anhörung geladenen Sachverständigen sowie schriftliche Stellungnahmen, darunter von Rechtsmedizinern, der Bundesanstalt für Straßenwesen, Juristen, von Polizei und ADAC.
Ein anderes Thema hat mich zugleich überrascht und schockiert. Zum ersten Mal wurde ein Patient verhaftet, als er sich mit Cannabis und dem mitgeführten Schengen-Formular beim Grenzübertritt in ein anderes Land im Schengenraum – Rumänien – verhaftet wurde, und ihm nun ein Strafverfahren droht. Es hat mich überrascht, weil es bisher in tausenden von Fällen nie Probleme gab, zugleich aber auch schockiert, weil die rumänische Justiz bisher massiv vorgeht.
Abschließen möchte ich mit den sehr positiven Rückmeldungen zur ACM-Fortbildungsveranstaltung am 25. Mai 2024. Wir nehmen weiterhin gern konstruktive Kritik entgegen, um unsere Veranstaltungen weiter zu verbessern.
Heiter weiter
Franjo Grotenhermen
Inhalt
- Probleme beim Grenzübertritt nach Rumänien
- Darf man aus selbst angebautem Cannabis Extrakte herstellen?
- Presseschau: Ein Plädoyer für einen Speicheltests für THC im Straßenverkehr (Krautinvest)
- Presseschau: Mass oder Joint? Lauterbach wirft Bayern bei Cannabis Heuchelei vor – CSU gibt Kontra (Deutsche Ärztezeitung)
- Presseschau: Schweiz: Apotheken mit Cannabis-Abgabe zufrieden (Apotheke adhoc)
Probleme beim Grenzübertritt nach Rumänien
Ein Patient berichtete mir vor wenigen Tagen über ein bisher nie vorgekommenes Problem. Er sei am Flughafen mit seinem Cannabis-Medikament festgenommen worden, obwohl er ordnungsgemäß die dafür nötigen, ausgefüllten und beglaubigten Formulare mit sich führte.
Er schrieb: „Im April dieses Jahres wurde ich bei meiner Reise nach Rumänien am Flughafen festgenommen. Obwohl Rumänien seit dem 30. März dem Schengen-Raum angehört, führte ich alle erforderlichen Dokumente, einschließlich des Schengen-Formulars, mit mir. Bedauerlicherweise wurde mein mitgeführtes medizinisches Cannabis konfisziert, was zur Festnahme und dem Verpassen meines Fluges führte, auf Anraten der Deutschen Botschaft. In Bukarest habe ich sofort rechtliche Unterstützung in Anspruch genommen und einen Anwalt konsultiert.
Nun erhielt ich die alarmierende Nachricht von meiner Anwältin, dass in Rumänien ein Strafverfahren gegen mich eröffnet wird. Der Tatverdacht lautet wie folgt (Zitat aus der E-Mail meiner Anwältin):
In der Akte haben wir festgestellt, dass der Staatsanwalt eine Anklageschrift eingereicht hat, in der die Identifizierung einer organisierten Drogenhandelsgruppe empfohlen wird. Dies beinhaltet Maßnahmen wie die Überwachung und Abhörung von Telefonen, die alle zwei Wochen gemeldet werden sollen. Es handelt sich um ein ernsthaftes Verfahren, das möglicherweise weitere Verdächtige oder Angeklagte ans Licht bringen könnte.
Zur Information:
Cannabisbasierte Medikamente können nicht einfach so mit ins Ausland mitgenommen werden. Das wäre ein unerlaubter Export und im Allgemeinen auch unerlaubter Import. Es gibt jedoch internationale Vereinbarungen, nach denen Patientinnen und Patienten Betäubungsmittel für einen Therapiebedarf von 30 Tagen mit ins Ausland nehmen dürfen. Im Schengen-Raum, also den Ländern Europas, die dem Schengenraum angehören, muss dazu ein Schengen-Formular mitgenommen werden. Für andere Länder gibt es ein internationales Formular. Ausführliche Informationen finden Sie hier:
https://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Betaeubungsmittel/Reisen-mit-Betaeubungsmitteln/_node.html
Die Mitnahme von Cannabisextrakten und Cannabisblüten im Schengen-Raum ist normalerweise unproblematisch. Es gibt jedoch international viele Länder, die es nicht erlauben, dass Cannabismedikamente eingeführt werden. Einige erlauben nur die Mitnahme von zugelassenen Arzneimitteln, zum Beispiel des Cannabisextrakts Sativex. Im Zweifelsfall bietet es sich an, die jeweilige Botschaft des Landes in Deutschland zu kontaktieren und nach den nationalen Regeln zu fragen. Es muss für jedes einzelne Medikament ein Formular ausgefüllt werden. Wenn Sie also 2 verschiedene Cannabismedikamente, also beispielsweise 2 Sorten Cannabisblüten ins Ausland mitnehmen möchten, so muss für jedes Medikament ein solches Formular ausgefüllt werden.
Darf man aus selbst angebautem Cannabis Extrakte herstellen?
Wir haben nach der ACM-Veranstaltung am 25. Mai eine Frage zu Herstellung von Cannabisextrakten aus selbst angebautem Cannabis erhalten. Der Fragesteller könnte möglicherweise die Absicht gehabt haben, aus den 3 legal geernteten Pflanzen ein hochkonzentriertes haschischähnliches Produkt zu gewinnen. Auf diese Weise ließe sich deutlich mehr THC in 50 g Cannabis gewinnen lassen als in Form getrockneter Blüten.
Dazu erklärte uns Rechtsanwalt Professor Oliver Tolmein in einer vorläufigen Stellungnahme: „Lieber Franjo, soweit ich das sehe, ist es im Gesetz nicht geregelt. Die Frage ist ja, ob man bei einem Extrakt noch von einem Konsuminteresse ausgehen kann. Das würde ich eher bezweifeln. Jedenfalls müsste es aber so sein, dass der Gehalt an Cannabisblüten nicht über den Umweg der Extraktherstellung de facto größer ist, als das bei einem vorhalten der Blüten selbst der Fall wäre.“
Presseschau: Ein Plädoyer für einen Speicheltests für THC im Straßenverkehr (Krautinvest)
Warum ein alleiniger THC-Grenzwert für Cannabiskonsumenten im Straßenverkehr keine optimale Lösung ist – weder für die Verkehrssicherheit noch für die individuelle Freiheit
Die Expertengruppe, die im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums einen neuen THC-Grenzwert im Blutserum vorschlagen sollte, hat auch die Möglichkeit der Durchführung eines Speicheltests ins Spiel gebracht. Dies wurde von der Regierungskoalition grundsätzlich positiv aufgenommen. So heißt es auf Seite 11 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung: „Im Einzelfall kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei häufigerem Konsum die THC-Konzentration, trotz adäquater Trennung zwischen Konsum und Fahren, oberhalb des Wirkungsgrenzwertes von 3,5 ng/ml THC im Blutserum liegt. Daher sollten – soweit verfügbar – Speicheltests mit hoher Empfindlichkeit als Vorscreening zum Nachweis des aktuellen Konsums aus Gründen der Praktikabilität und zur Vermeidung der Erfassung eines länger zurückliegenden Konsums bei allen zu testenden Personen von den Kontrollbehörden der Länder eingesetzt werden. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr wird hierzu die Bundesanstalt für Straßenwesen beauftragen, die entsprechenden Details (z. B. notwendige Sensitivität) auch unter Berücksichtigung der Erfahrungen im Ausland zu klären. Der Einsatz von Speicheltests bedarf keiner Änderung des Straßenverkehrsgesetzes.“
Ein brauchbarer Vortest wird grundsätzlich gewünscht, wie etwa in einer Talkrunde, die vor 2 Monaten ausgestrahlt wurde, durch einen führenden Polizeibeamten sowie einen Rechtsmediziner.
Ein Gastbeitrag von Dr. med. Franjo Grotenhermen
In Österreich tut man es. Auch in Belgien, auf Zypern, in Tschechien und Frankreich, in Irland, Italien, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien und Spanien. So publizierte es das EMCDDA (European Monitoring Center for Drugs and Drug Addiction) in einem Bericht vom November 2022. Sie setzen im Kampf gegen einen akuten THC-Einfluss im Straßenverkehr und den damit verbundenen Gefahren auf einen Speicheltest. Die Niederlande fehlten damals noch auf der Liste, denn dort wurde der Speicheltests nach Aussage von Jan Ramaekers, Professor für Psychopharmakologie an der Universität Maastricht und Mitglied der Expertengruppe des Bundesverkehrsministeriums für Digitales und Verkehr zur Ermittlung eines THC-Grenzwertes im Blut. Die Gründe für die Einführung des Speicheltests seien pragmatischer Natur gewesen. Ein Speicheltests, der vor Ort von Polizeibeamten ohne großen Aufwand durchgeführt werden kann, erlaubt unmittelbar die Unterscheidung in Personen, die wenige Stunden zuvor THC-haltige Produkte inhaliert hatten, von denen, die THC-frei sind.
Üblicherweise soll ein Grenzwert bzw. ein Höchstwert versuchen, einen möglichst gerechten Ausgleich zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Schutz der Allgemeinheit schaffen oder zwischen den Belastungen der heutigen Generation und zukünftiger Generationen. Es gibt Höchstwerte für Nitrat-Konzentrationen im Trinkwasser oder Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Landstraßen. Es gibt Tausende solcher Grenzwerte oder Höchstwerte. In der Praxis ist es häufig nicht einfach, einen fairen Ausgleich zu schaffen, was sich allein schon darin zeigt, dass Behörden in verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.
Was hat der bisherige Grenzwert von 1 ng/ml THC im Blutserum für Cannabiskonsumenten im Straßenverkehr im Vergleich zu dem nun geplanten Grenzwert von 3,5 ng/ml gebracht? Selbstkritisch müssen wir uns heute eingestehen, dass es vor allem mehr unschuldig sanktionierte Cannabiskonsumenten ohne einen relevanten Einfluss auf Personenschäden im Straßenverkehr gebracht hat. Dieser analytische Grenzwert hat viele falsch Positive gefunden, Personen, die angeblich unter dem Einfluss von THC standen, aber keineswegs mehr beeinträchtigt waren. Der Messwert war schlicht und ergreifend ungeeignet dafür, das zu messen, was er messen oder unterscheiden sollte, nämlich eine Differenzierung zwischen den durch THC beeinträchtigten Verkehrsteilnehmern und den unbeeinträchtigten. Eine Erhöhung des Grenzwertes auf 3,5 ng/ml wird die Zahl der falsch Positiven reduzieren, ohne die Verkehrssicherheit relevant zu reduzieren. Er stellt daher einen Schritt in die richtige Richtung dar. Viele regelmäßige Cannabiskonsumenten haben allerdings dauerhaft einen THC-Wert im Blutserum von über 3,5 ng/ml, auch wenn sie nicht mehr beeinträchtigt sind.
Die bisherige alleinige Reduzierung auf einen THC-Grenzwert hat noch einige weitere Nachteile mit sich gebracht, darunter eine Sanktionierung des Cannabiskonsums mit Mitteln des Straßenverkehrsrechtes. Wie der Widerstand gegen eine Legalisierung von Cannabis zeigt, haben sich viele Personen, die grundsätzlich gegen den Konsum von Cannabis und auch gegen Cannabiskonsumenten eingestellt sind, einen niedrigen Grenzwert aus politischen Gründen begrüßt. Die selben Personen wettern schließlich nun gegen die Erhöhung auf 3,5 ng/ml THC im Blutserum. Da werden (kultur-)politische Kämpfe ausgefochten, die mit der Sicherheit im Straßenverkehr nur marginal etwas zu tun haben.
Der Sicherheit im Straßenverkehr wird durch die geplanten sehr geringen Veränderungen von THC-Grenzwerten im Blutserum kaum beeinflusst.
Ich betreibe seit mehr als 10 Jahren eine ärztliche Praxis mit dem Schwerpunkt einer Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten. Neben den Kosten der Behandlung rangiert die Angst vor dem Verlust des Führerscheins mit großem Abstand vor allen anderen Sorgen, wie etwa der Sorge vor Stigmatisierung in der Ärzteschaft oder am Arbeitsplatz oder der Sorge vor einer Cannabisabhängigkeit oder anderer potentieller Nebenwirkungen. Wenn Cannabispatienten von der Polizei kontrolliert werden, so liegen die gefundenen THC-Blutserumwerte im Allgemeinen zwischen 5 und 30 ng/ml. Das sind Werte, die wir auch bei regelmäßigen Freizeitkonsumenten von Cannabis erwarten dürfen.
Der Speicheltest ist eine Glücksfall für lösungsorientierte Pragmatiker. Er ist ein Glücksfall für Akteure, die wollen, dass die Sanktionierung unschuldiger Bürger beendet wird. Und er ist ein Glücksfall für Akteure, die insbesondere im Straßenverkehr auf Nummer sicher gehen wollen. Niemand der unter dem akuten Einfluss von Cannabis stehen könnte, sollte am Straßenverkehr teilnehmen dürfen. Mit einem sensiblen Speicheltest, den die Expertengruppe des Bundesverkehrsministeriums vorgeschlagen hatte, würden alle Personen erfasst, die in den Stunden vor der Teilnahme am Straßenverkehr Cannabis konsumiert haben.
Eine bessere Nachweismethode bzw. Differenzierungsmethode zwischen Delinquenten und Unschuldigen bei der Teilnahme von Cannabiskonsumenten am Straßenverkehr, wie ihn der Speicheltests gegenüber einem festen THC-Grenzwert im Blutserum eröffnet, hat viele weitere Nebeneffekte:
-
Vor allem auf dem Land sind viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf den Führerschein angewiesen. Die individuelle Mobilität mit dem eigenen Pkw ist heute oft noch eng mit den beruflichen Möglichkeiten verbunden. Wir stellen zwar einen bedrohlichen Fachkräftemangel oder einen generellen Arbeitskräftemangel fest, scheinen aber keine Probleme damit zu haben, Tausende von Cannabispatienten in ihrer für den Beruf erforderlichen Mobilität einzuschränken.
-
In der Langfassung ihrer Begründung zu den Vorschlägen hatte die Expertengruppe erläutert: „Mit Speicheltests bekäme die Polizei ein Messinstrument an die Hand, mit dem sie akuten Cannabiskonsum und somit ein potentielles Verkehrssicherheitsrisiko identifizieren kann. Dies dient auch der Verhältnismäßigkeit. Zugleich können hierdurch Kosten und Arbeitsaufwand im Zusammenhang mit der Überprüfung der Blutwerte eingespart und dadurch Bürokratie abgebaut werden.“ Polizeibeamte könnten Delinquenten unmittelbar aus dem Straßenverkehr ziehen und die Allgemeinheit besser schützen.
-
Ein solcher Vortest würde Konsumentinnen und Konsumenten erst in die Lage versetzen, sich rational zu verhalten. Wenn sie einen ausreichenden Abstand von mehreren Stunden zwischen dem letzten Konsum und der Teilnahme am Straßenverkehr verstreichen lassen, so schützen sie sich vor Sanktionierung und die Allgemeinheit vor möglichen unfallbedingten Schäden.
-
In der Politik könnten ideologische Grabenkämpfe durch eine sachorientierte Debatte ersetzt werden.
-
In der Gesellschaft könnte eine sachorientierte Debatte und ein pragmatisches Ergebnis das Vertrauen in die Politik und deren Akteure vergrößern. Wir betonen in Sonntagsreden die Notwendigkeit, der Demokratieverdrossenheit entgegenzuwirken. Es gibt viele einzelne praktische Möglichkeiten, dies zu realisieren.
Presseschau: Mass oder Joint? Lauterbach wirft Bayern bei Cannabis Heuchelei vor – CSU gibt Kontra (Deutsche Ärztezeitung)
Der offizielle Umgang mit Cannabis und Alkohol zeigt nicht nur in Deutschland, dass bei Drogen häufig mit zweierlei Maß gemessen wird. Glaubwürdigkeit kann in der Politik jedoch nur geschaffen werden, wenn wirklich die Gefahren und die Gefahrenabwehr im Vordergrund stehen.
Mass oder Joint? Lauterbach wirft Bayern bei Cannabis Heuchelei vor – CSU gibt Kontra
Feierabendjoint statt Feierabendbier – das ist jetzt legal. Doch in Bayern torpediert die CSU die Cannabis-Freigabe durch zahlreiche Verbote. Aus Berlin kommt eine Ansage, aus München eine Replik.
Berlin. Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach hat der CSU-geführten Landesregierung in Bayern „Heuchelei“ bei Rauschmitteln wie Cannabis und Alkohol vorgeworfen. Angesprochen auf zahlreiche Verbote für öffentliches Kiffen wie beim Münchner Oktoberfest, sagte der SPD-Politiker am Samstag in Berlin, damit werde Politik sehr unglaubwürdig gemacht. „Zum einen wird so getan, als wenn Bundesgesetze in Bayern nicht gelten würden. Und das ist – 75 Jahre Grundgesetz – nicht der Fall.“
„Zum Zweiten: Stichwort Heuchelei. Wenn dann mit Maßkrügen dieser Größe gearbeitet wird, und die Leute sind so betrunken, dass sie den Weg zur Toilette nicht mehr selbstständig schaffen, dann liegen die Betrunkenen quasi im Dreck, wenn man so will, dann käme es aus meiner Sicht auf den einen oder anderen Joint nicht mehr an“, sagte Lauterbach unter dem Beifall seiner Zuhörer.
Özdemir: Mal über Missbrauch von Alkohol reden
Der Gesundheitsminister stellte sich beim Demokratiefest zu 75 Jahren Grundgesetz zusammen mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) den Fragen von Bürgerinnen und Bürgern zum Thema Cannabis.
Özdemir warnte davor, mit zweierlei Maßstab zu messen. Über die Folgen hohen Alkoholkonsums für innerfamiliäre Gewalt, für das Gesundheitswesen oder für die eigene Gesundheit werde in der Gesellschaft viel zu wenig gesprochen. „Ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die jetzt die ganz Zeit uns bei Cannabis kritisiert haben, zehn Prozent der Energie auf den Missbrauch von Alkohol verschwenden würden und darüber mal reden würden.“
Die CSU-geführte Landesregierung in Bayern hatte das Cannabis-Gesetz bis zu seinem Inkrafttreten am 1. April scharf bekämpft. Seitdem schafft sie immer neue Verbote für den Cannabis-Konsum im öffentlichen Raum wie etwa bei Volksfesten. Sie preschte auch mit einem Bußgeldkatalog vor.
CSU-General Huber: „Der einzige Heuchler ist Lauterbach“
Jetzt kam aus München massive Kritik an den Aussagen Lauterbachs. Gesundheitsministerin Judith Gerlach, CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek und CSU-Generalsekretär Martin Huber erneuerten ihre Kritik an der Cannabis-Freigabe und kündigten einen weiterhin restriktiven Kurs in Bayern an. „Der einzige Heuchler ist Karl Lauterbach: Entgegen aller Warnungen von Ärzten und Jugendpsychologen hat er die Cannabis-Legalisierung durchgesetzt. Die Legalisierung gefährdet Kinder und junge Menschen“, erklärte Huber.
Lauberbachs Vorgehen sei schizophren: Zum einen werde Cannabis legalisiert, zum anderen würden Millionen Euro für eine Kampagne ausgeben, die vor dem Konsum und den Gefahren warnt.
Gesundheitsministerin Gerlach bezeichnete den Vorwurf Lauterbachs als „absurd“. Es sei richtig, dass Bayern den vom Bund für die Cannabis-Bußgelder vorgesehenen Rahmen ausgeschöpft habe, so die CSU-Politikerin. „Wir senden damit das klare Signal, dass uns Jugendschutz vor Drogenkonsum geht. Völlig absurd ist es dagegen, dass die Bundesregierung die Cannabis-Risiken weiter verharmlost.“
Holetschek will „keine Kiffer-Modellregionen“
Holetschek kündigte an: „Wir werden alle rechtlich möglichen Maßnahmen in die Wege leiten, damit der Cannabis-Konsum in Bayern so gering wie möglich bleibt.“ Insbesondere dürfe die zweite Säule der Cannabis-Legalisierung nicht in Kraft treten. „Wir brauchen keine Kiffer-Modellregionen, in denen Produktion, Vertrieb und Abgabe von Cannabis in Fachgeschäften ermöglicht und das Verbot der Kommerzialisierung damit umgangen wird“, sagte der CSU-Fraktionsvorsitzende im Landtag.
Alle drei CSU-Politiker gingen in ihren schriftlichen Erklärungen allerdings nicht auf den Vorwurf Lauterbachs ein, dass in Bayern Alkohol-Exzesse geduldet würden, der Cannabis-Konsum aber gewissermaßen verteufelt werde. Bei der Gesprächsrunde auf dem Demokratiefest räumte Lauterbach ein, dass Cannabis-Konsum ein Risiko mit sich bringe. Er sei aber „definitiv nicht viel gefährlicher, als wenn ich jeden Tag Alkohol trinke“. Er halte es daher für falsch, Cannabis-Konsumenten zu kriminalisieren.
Presseschau: Schweiz: Apotheken mit Cannabis-Abgabe zufrieden (Apotheke adhoc)
Ein Artikel in Apotheke adhoc gibt einen Einblick in die ersten Erfahrungen mit der Cannabisabgabe und Modellprojekten in der Schweiz.
Schweiz: Apotheken mit Cannabis-Abgabe zufrieden
Berlin – In der Schweiz sind die Apotheken derzeit in verschiedene Projekte zur legalen Abgabe von Cannabis als Genussmittel eingebunden. Von den derzeit sieben laufenden Pilotprojekten sind die Apotheken in vier zentraler Abgabepunkt. Laut Apothekerverband Pharmasuisse gibt es in diesem Rahmen zwar keine gesonderte Vergütung für die teilnehmenden Apotheken, sie seien aber trotzdem zufrieden mit dem bisherigen Projektverlauf.
Folgende Projekte laufen derzeit mit Beteiligung der Apotheken in der Schweiz:
· „Cannabis Research“ im Kanton Zürich (hier kann Cannabis in Apotheken und Abgabestellen gekauft werden)
· „SCRIPT“ in Bern, Biel und Luzern (Abgabe nur in Apotheken)
· „ZüriCan“ in der Stadt Zürich (Apotheken und Abgabestellen)
· „WeedCare“ in der Stadt Basel (Abgabe nur in Apotheken)
Jedes Projekt hat dabei sein eigenes, vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) bewilligtes Abgabeprozedere. So gibt es in Zürich beispielsweise eine Karte, mit der sich Teilnehmende in einer der möglichen Apotheken anmelden – ein Wechsel der Apotheke ist nicht möglich. Im Regelfall weisen sich die Konsument:innen mit ihrem Ausweis aus und werden dann separat zum Beispiel im Beratungsraum bedient. „Maximal können 10 Gramm THC pro Monat bezogen werden“, heißt es vom Verband.
Kund:innen bezahlen ihr Cannabis selbst. Im Hintergrund wird die Abgabe elektronisch dokumentiert, um Statistiken und Auswertungen durch die Studienleitungen möglich zu machen. Die an den Projekten teilnehmenden Apotheken müssen entsprechend geschultes Personal für die Cannabis-Abgabe vorweisen.
Kein „Cannabis-Honorar“ für teilnehmende Apotheken
Separat entlohnt wird die Studienteilnahme für die Apotheken nicht: „Eine spezielle Zusatztaxe ist nicht vorgesehen“, so der Verband. Für die Studie in Zürich sei sogar explizit keine medizinische Beratung gewünscht. Dafür sollte das Personal Wissen über die verschiedenen Produkte haben und hier die Teilnehmenden individuell beraten können. Die Beratung solle sich „auf die Wahl des Cannabis-Produktes und die Konsumationsart beschränken, eine risikoarme Variante sollte aber empfohlen werden“, heißt es. So seien beispielsweise Vaporisatoren den klassischen Joints vorzuziehen, da damit die zytotoxischen und kanzerogenen Rauchbestandteile vermieden würden.
Dieses Projekt mit dem Zusatztitel „Cannabis mit Verantwortung“ untersucht die „Auswirkungen des Bezugs ausgewählter Cannabisprodukte aus kontrolliertem Anbau unter regulierten Bedingungen auf den Konsum und die Gesundheit der Teilnehmenden“. Bei den Produkten der Stadtzürcher Cannabis-Studie sei zudem der beiden Hauptwirkstoffe THC und CBD genau definiert und deklariert. Das Cannabis muss aus biologischem Anbau stammen und zertifiziert sein und hat damit andere und weniger strenge Anforderungen als medizinisches Cannabis.
„Exzellente“ Ware
Das bisherige Resümee des Verbandes: „Es liegen nur wenige vorläufige Resultate vor. Die von uns konsultierten Apotheken zeigten sich mit dem Ablauf zufrieden. Der Grossteil der Konsument:innen scheint auch zufrieden zu sein.“ Besonders die Qualität des in den Pilotprojekten verwendeten Cannabis würde immer wieder als „exzellent“ hervorgehoben.
Im Mai 2021 ist eine Änderung des schweizerischen Betäubungsmittelsgesetzes in Kraft getreten, die derartige Pilotprojekte zur Cannabis-Abgabe zu nicht medizinischen Zwecken, also zu „Genusszwecken“ ermöglicht. Die Studien sollen eine Grundlage für weitere gesetzliche Regelungen liefern. In Deutschland sind die Apotheken beim aktuellen Schritt der Cannabis-Freigabe noch außen vor, könnten aber gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt folgen.