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ACM-Mitteilungen vom 15. Juni 2024

Liebe Leserin, lieber Leser,

im Dezember 2023 bekam ich ein ungewöhnliches Schreiben eines Sozialgerichts. Danach hatte eine gesetzliche Krankenversicherung Einspruch dagegen erhoben, mich als Gutachter nach § 109 SGG zu akzeptieren, da ich befangen sei. Vor wenigen Tagen habe ich den Auftrag des Gerichts erhalten, der Antrag der Barmer war abgelehnt worden. Das hat mich dazu angeregt, hier einige Zeilen zu häufigen Fehlern von Patienten, Ärzten und Gutachtern für Sozialgerichte niederzuschreiben.

Ein weiteres Thema dieses Newsletters ist die Zustimmung des aktuellen Cannabisgesetzes durch den Bundesrat. Die Gründung von Anbauvereinigungen ist nun möglich, und der THC-Grenzwert im Blut wurde auf 3,5 ng/ml THC im Blutserum erhöht.

Heiter weiter

Franjo Grotenhermen

Inhalt

Presseschau: Bundesrat stimmt Anpassungen bei Cannabisregeln zu (Deutsches Ärzteblatt)

Mit der Zustimmung des Bundesrats hat das Cannabisgesetz der Bundesregierung nunmehr die letzte Hürde genommen. Anbauvereine für Cannabis können wie geplant ihre Arbeit aufnehmen, und es gelten im Straßenverkehr der erhöhte Grenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum.

Bundesrat stimmt Anpassungen bei Cannabisregeln zu

Für den künftig erlaubten Anbau von Cannabis in Vereinen kommen strengere Regeln. Der Bundesrat ließ heute entsprechende Änderungen des erst seit kurzem geltenden Legalisierungsgesetzes passieren, die der Bund den Ländern zugesagt hatte. Eine vom Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfohlene begleitende Entschließung wurde nicht angenommen.

Die vom Bundesrat gebilligten Anpassungen zielen darauf, dass die ab 1. Juli möglichen Anbauvereine nicht zu großen Plantagen werden. Unter anderem können Genehmigungen verwehrt werden, wenn Anbauflächen in einem „baulichen Verbund“ oder unmittelbarer Nähe mit denen anderer Vereine stehen. Flexibler sind daneben auf Wunsch der Länder Kontrollen der Vereine zu handhaben – statt „jährlich“ sind sie „regelmäßig“ vorzunehmen.

Das vom Bundestag beschlossene Gesetz legt außerdem fest, dass eine geplante erste Auswertung von Folgen der Cannabisfreigabe neben dem Kinder- und Jugendschutz unter anderem auch die nun erlaubten Besitzmengen beleuchten soll. Generell sind Cannabiskonsum und privater Cannabisanbau für Volljährige seit dem 1. April mit zahlreichen Vorgaben legal.

Vom Bundestag ebenfalls beschlossene Cannabisregeln für Autofahrerinnen und Autofahrer sollen voraussichtlich am 5. Juli abschließend in den Bundesrat kommen. Für den berauschenden Wirkstoff THC am Steuer soll künftig ein Grenzwert von 3,5 Nanogramm je Milliliter Blut gelten – ähnlich wie die 0,5-Promillegrenze für Alkohol. Für Fahranfänger und gemischten Konsum von Cannabis und Alkohol solle strengere Regeln gelten. In Kraft treten dürfte der neue Grenzwert samt Bußgeldern bei Verstößen voraussichtlich im Sommer.

Das Änderungsgesetz geht auf eine Initiative der Regierungsfraktionen im Bundestag zurück und setzt eine Protokollerklärung der Bundesregierung um, die diese in einer Plenarsitzung des Bundesrates im März abgegeben hatte, bevor das Cannabisgesetz die Länderkammer passierte.

Der Bundesrat drang heute zudem auf eine strikte Regelung beim Verkauf von Lachgas an Kinder und Jugendliche. In einer Entschließung weisen die Länder auf die erheblichen gesundheitlichen Risiken des Konsums hin. Kartuschen mit Lachgas würden zum Teil bereits in Automaten gezielt für junges Publikum angeboten. Der zunehmende Missbrauch müsse schnellstmöglich verhindert werden.

In seiner Sitzung stimmte der Bundesrat einer Verordnung zur Änderung der Anlage des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes zu. Diese listet chemische Varianten psychoaktiver Stoffe auf, welche die Bundesregierung als Gefahr für die Bevölkerung eingestuft hat. Die Verordnung hat das Ziel, Verbreitung und Missbrauch dieser Stoffe zu bekämpfen.

Mit der begleitenden Verordnung fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, den Verkauf von Lachgas (Distickstoffmonoxid), insbesondere an Kinder und Jugendliche, soweit einzuschränken, dass Missbrauch verhindert wird. Er bittet die Bundesregierung, zu prüfen, inwieweit mit der Aufnahme von Distickstoffmonoxid in die Anlage des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes dieses Ziel erreicht werden kann.

Barmer Ersatzkasse verliert Anfechtung eines Gutachtenauftrags durch ein Sozialgericht wegen Befangenheit

von Franjo Grotenhermen

Im Dezember 2023 erhielt ich ein Schreiben eines Sozialgerichts aus Nordrhein-Westfalen. Danach war ein Patient mit dem Gutachten, das die Krankenkasse hinsichtlich ihrer Ablehnung der Kostenübernahme einer cannabisbasierten Therapie bestätigt hatte, nicht zufrieden. Er hatte daher über seinen Anwalt beim Gericht ein Gegengutachten nach § 109 SGG beantragt. Ein solches Gegengutachten kann jeder Patient beantragen, ist aber leider eine ziemlich teure Angelegenheit.

Der Patient hatte mich über seinen Anwalt als Gegengutachter benannt. Allerdings hatte die Barmer versucht, meine Berufung durch das Gericht zu verhindern, indem sie mich als befangen darzustellen versuchte. In der vergangenen Woche kamen die Gerichtsakten mit dem Gutachtenauftrag bei mir an, und ich habe den Patienten bereits zur Begutachtung in meine Praxis eingeladen. Bisher kann ich nicht sagen, ob die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nach § 31 Abs. 6 SGB V im konkreten Fall nach meiner Ansicht vorliegen oder nicht. Das werde ich sorgfältig prüfen, und es ist keineswegs ein Einzelfall, wenn ich mich zu Ungunsten des Patienten ausspreche. Auch ich muss mich ans Gesetz halten und tue dies auch, auch wenn ich das Gesetz öffentlich kritisiere.

Schauen wir mal, ob ich zu dem gleichen Ergebnis gelange wie der Vorgutachter. Ich kenne den Vorgutachter bereits aus einem früheren Gerichtsverfahren. Damals hatte ich seiner Beurteilung widersprochen.

Häufige Fehler von Gutachtern

In meinem Schreiben an das Gericht hatte ich unter anderem angemerkt: „Das Hauptproblem, das sich nach meiner Einschätzung gegenwärtig bei der Begutachtung von Patienten, die eine Therapie mit Cannabis anstreben, zeigt, ist die zum Teil eklatante Unkenntnis der Thematik bei vielen Gutachtern. Ein Neurologe, ein Schmerztherapeut und andere Fachärzte kennen sich nicht automatisch mit dem Thema aus. So hat sich ein Gutachter in einem Verfahren vor einem Sozialgericht, in dem ich ein Gegengutachten nach Paragraf 109 SGG angefertigt habe, in seiner Stellungnahme auf nur eine einzige wissenschaftliche Quelle zum Thema Cannabis als Medizin bezogen, und diese wurde auch noch sinnentstellend zitiert. Es handelte sich um eine meiner Publikationen.“ Oder anders ausgedrückt: Der Gutachter kannte sich mit Cannabis überhaupt nicht aus, hatte aber den Gutachtenauftrag durch das Gericht dennoch angenommen.

Neben der Unkenntnis über die Thematik basiert der zweite häufige Fehler allerdings in der Tat auf einer Befangenheit des Gutachters. So meinte ein Gutachter einmal zu einem Patienten sinngemäß: „Die Krankenkassen müssen zwar seit 2017 in einigen Fällen die Kosten einer Cannabistherapie bezahlen, das bedeutet aber nicht, dass ich das auch befürworte.“ Im weiteren Verlauf der Begutachtung machte der Gutachter keinen Hehl daraus, dass Cannabis nach seiner Auffassung kein Medikament sei und er den Hype nicht nachvollziehen könne.

Ein Tipp für Gutachter: Machen Sie sich klar, dass sich die Begutachtung bei der Frage der Kostenübernahme einer Cannabistherapie grundsätzlich von der Begutachtung für andere Behandlungsverfahren unterscheidet. Bei anderen Behandlungsverfahren bekommt der Patient das Medikament oder eine andere angestrebte Therapie im Allgemeinen noch nicht, sondern es wird die Begutachtung vor Beginn der Therapie abgewartet. Häufig geht es um hohe Kosten, die der Patient nicht aufbringen kann, oder um ein nicht zugelassenes Arzneimittel. Bei der Behandlung mit Cannabis nehmen die Patienten häufig bereits das Medikament ein, sodass es häufig den Anschein hat, als gehe es ihnen eigentlich ganz gut. Versuchen Sie daher anhand der Vorgeschichte herauszubekommen, wie es dem Patienten ohne die Cannabistherapie ging, und wie es ihm jetzt mit Cannabis geht.

Häufige Fehler von Patienten

Häufig stellen sich Patienten zu Begutachtung in meiner Praxis vor, die an diesem Tag bereits eine ausreichend wirksame THC-Dosis eingenommen hatten. Das macht es schwierig, für mich als Gutachter zu beurteilen, wie schwer die Erkrankung bei dem Patienten gegenwärtig ohne Cannabis wäre. Stellen Sie sich vor, Sie wären Gutachter und sollen bei einem Patienten, den sie zum ersten Mal kennen lernen, beurteilen, ob ein schweres Krankheitsbild vorliegt. Wenn der Patient gut auf Cannabis anspricht, er vor der Begutachtung Cannabis eingenommen hat, wird der Gutachter in seinem Gutachten häufig schreiben, dass die erste Voraussetzung für eine Kostenübernahme, nämlich eine schwerwiegende Erkrankung, nicht vorliegt. Das führt dann regelmäßig zur Ablehnung des Kostenübernahmeantrags durch den Gerichtsgutachter. Schließlich kann er nicht erraten, wie es Ihnen ohne Cannabis geht.

Wenn man sich als Patient in die Lage des Gutachters versetzt, wird man verstehen, dass es sinnvoll ist, 2-3 Tage vor der Begutachtung sein Medikament abzusetzen. Nur dann kann der Gutachter erkennen, wie schwer Ihre Erkrankung ist. Wenn Sie dann noch ärztliche Bescheinigungen haben, aus denen hervorgeht, wie ihre gesundheitliche Situation unter der Cannabistherapie aussieht, erleichtern Sie es dem Gutachter, sich ein Gesamtbild zu schaffen. Vielleicht haben Sie auch eine Zeugenaussage von Partner/Partnerin oder nahen Verwandten, aus der hervorgeht, wie es Ihnen mit und ohne Cannabis geht.

Man kann natürlich auch als Gutachter entsprechende Informationen einholen. Wenn der Patient, der vor mir sitzt, völlig unauffällig wirkt, sich normal konzentrieren kann, nicht unruhig ist und auch sonst keine ADHS-Symptome aufweist, ein Bericht aus einem Krankenhaus oder einer Zeugenaussage der Mutter jedoch darstellt, wie dramatisch schlecht es dem betroffenen Patienten ohne Cannabis ging oder geht, so besteht die Möglichkeit, dem Gericht zu erläutern, dass hier der perfekte Beweis dafür vorliegt, dass Cannabis im konkreten Fall ein sehr wirksames Medikament ist und die Erkrankung des Patienten durch Cannabis so gut gelindert ist, dass man ihn kaum noch von Gesunden unterscheiden kann, ist ein wichtiger Schritt getan.

Ein wichtiger Tipp für Patienten: Schreiben Sie auf, welche Therapieverfahren sie im Lauf der Jahre durchgeführt haben, in welcher Dosierung, wie lange, mit welchen erwünschten Wirkungen und unerwünschten Nebenwirkungen. Das können Sie dem Gutachter übergeben. Schreiben Sie auf, wie es Ihnen ohne Cannabis und mit Cannabis geht. Dazu können Sie auch Zeugenaussagen Ihnen nahestehende Personen mitbringen.

Häufige Fehler von behandelnden Ärzten

Es ist nicht selten, dass einigen behandelnden Ärzten die Behandlungsleitlinien zur Therapie einer bestimmten Erkrankung nicht ausreichend bekannt sind. So hatte ich einmal einen Patienten mit neuropathischen Schmerzen zu begutachten, bei dem der MDK zu Recht darauf hingewiesen hatte, dass im konkreten Fall die Medikamente Gabapentin und Pregabalin nicht versucht worden waren. Diese beiden Medikamente werden vor allem zur Therapie der Epilepsie eingesetzt, können jedoch auch bei neuropathischen Schmerzen von Nutzen sein. Das war dem behandelnden Arzt aber offenbar nicht bekannt. Daher schrieb er in seinem Widerspruch gegen die Ablehnung durch die Krankenkasse, dass sein Patient keine Epilepsie habe, und er daher keine Therapie mit Gabapentin oder Pregabalin durchgeführt habe.

Ich habe daher der Krankenkasse recht gegeben, die erklärt hatte, dass die Behandlungsoptionen nicht ausgeschöpft waren, weil noch diese beiden Therapieoptionen bestanden. Mir war dabei klar, dass der Patient Cannabis sehr gut vertrug, und es auch wirksam war, während Gabapentin und Pregabalin im Vergleich dazu eher selten in ausreichend hohen Dosen allein wirksam und nebenwirkungsarm waren. Ich kann als Arzt zwar grundsätzlich gegen die Regelungen im Zusammenhang mit der Genehmigung der Kostenübernahme sein. Solange die Regeln allerdings bestehen, werde ich mich daran. Würde ich es nicht machen, wäre ich in der Tat befangen und sollte zukünftig keine Gutachten für Sozialgerichte mehr durchführen.

Ein Tipp für behandelnde Ärzte: Schauen Sie sich die Behandlungsleitlinien für die Erkrankung genau an. Sie müssen zu jeder Therapie entweder darlegen, dass sie unwirksam oder mit Nebenwirkungen behaftet war, oder dass sie nicht durchgeführt werden kann, etwa aufgrund von Allergien oder jahrelangen Wartezeiten für eine begleitende Psychotherapie. Sie können durchaus auch den Gutachter des MDK kontaktieren und ganz konkret fragen, welche Therapien denn nach Auffassung des Gutachters noch durchgeführt werden müssen.

Presseschau: Städtetag fordert Klarheit über Umgang mit Cannabis­Anbauvereinen (Deutsches Ärzteblatt)

Noch ist unklar, wie in einzelnen Regionen, Städten und Bundesländern die konkrete Umsetzung von Cannabis-Anbauclubs geregelt werden soll.

Städtetag fordert Klarheit über Umgang mit Cannabis­Anbauvereinen

Düsseldorf – Der Geschäftsführer des Städtetages NRW, Helmut Dedy, fordert von der Landesregierung Klarheit für den Umgang mit Cannabisanbauvereinigungen. „Die Kontrolle der Anbauvereine darf auf keinen Fall auch noch bei den Kommunen landen. Da ist das Land in der Verantwortung“, sagte Dedy der Rheinischen Post heute.

„Die Städte wissen noch immer nicht, was konkret auf sie zukommt. Es ist ein Unding, dass wenige Wochen vor dem Start der Anbauvereinigungen immer noch nicht klar ist, wer diese Clubs und ihre Cannabisproduktion kontrollieren soll“, sagte Dedy.

Die Anbauvereinigungen, die an ihre Mitglieder Cannabis für den Eigenkonsum abgeben können, sollen laut Bundesgesetz am 1. Juli starten. Erst Ende vergangener Woche hatte der Bundestag das Legalisierungsgesetz nachgebessert und engere Grenzen für den Cannabisanbau in Vereinen beschlossen.

Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium teilte der Rheinischen Post mit, die Umsetzung dieser Regelungen werde derzeit innerhalb der Landesregierung erarbeitet und rechtzeitig kommuniziert.

Weitere Meldungen der vergangenen Tage

Polizei legt erste Bilanz zu Cannabis-Verstößen vor Hamburger Kitas und Schulen vor (Die Welt)

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